Der THW Kiel ist nach der Auswärtsniederlage in Magdeburg
wieder in die Erfolgsspur der DKB Handball-Bundesliga zurück gekehrt.
Am Mittwochabend besiegten die "Zebras" HBW Balingen-Weilstetten nach
ausgeglichenen ersten 20 Minuten letztlich deutlich mit 35:24 (20:12).
Bester Torschütze auf Seiten der ersatzgeschwächten Kieler war
Marko Vujin mit 8/1 Treffern. Den Serben
stoppte selbst ein ausgekugelter Daumen nicht in seinem Tordrang.
Die 10.285 Fans in der ausverkauften Sparkassen-Arena feierten mit
stehenden Ovationen den klaren Erfolg und das Bundesliga-Debüt von
Tjark Müller. Der 20-jährige Mittelmann
aus dem eigenen "Zebra"-Nachwuchs absolvierte seine ersten Minuten
auf dem Parkett der Sparkassen-Arena. THW-Trainer
Alfred Gislason hatte Müller,
der auch mit nach Porto zum Champions-League-Spiel gereist war, erneut
in den Kader berufen, weil mit Aron Palmarsson,
der nach seiner Knie-Operation in den nächsten vier Wochen geschont
werden wird, und Kreisläufer Patrick Wiencek
erneut zwei Spieler fehlten und Kapitän Filip Jicha
nach seiner Grippe noch nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war.
Angespannte Personalsituation
Filip Jicha - hier beim Siebenmeter -
stand nach einer Grippe wieder im Kader.
Die angespannte Personalsituation beim deutschen Rekordmeister sollte
sich in den 60 fairen Minuten, in denen es nur zwei Zeitstrafen für
HBW gab, erneut verschlechtern. Zunächst kugelte sich
Marko Vujin den Daumen aus, später traf
Wolfgang Strobel Rasmus Lauge mit einem
Wurf unglücklich im Gesicht. Der Däne blieb benommen liegen, kam
aber in der Schlussviertelstunde mit ordentlichem Schädelbrummen
und zwei lockeren Zähnen noch einmal zum Einsatz. Auch
Vujin kehrte wieder auf die Platte zurück.
Probleme in der Anfangsphase
Die Kieler Handballer hatten nur in den ersten zwanzig Minuten
Probleme mit den abstiegsbedrohten Gästen. Diese waren in Bestbesetzung
an die Förde gereist und fanden zunächst die Lücken in der nicht ganz
sattelfest auftretenden "Zebra"-Abwehr. Dem Kieler Angriffsspiel
drückten zunächst Jicha mit sicher verwandelten
Siebenmetern und Marko Vujin ihren Stempel
auf. Die Gäste kamen durch 1-1-Situationen und Rückraumwürfe immer wieder
zum Torerfolg. Als LaugeRene Toft Hansen
zum 8:6 bediente, und wenig später Sprenger zum
10:8 und Gudjon Valur Sigurdsson per Gegenstoß
zum 11:8 trafen, schienen sich die Kieler absetzen zu können. Doch nach
Wael Jallouz' 103-km/h-Kracher aus dem rechten
Rückraum zum 12:9 traf Tubic zum Anschluss. Als sich dann
Vujin bei einem Pfostentreffer den Daumen
auskugelte, nutzten die Gäste den Gegenstoß zum 11:12 (19.).
Nur ein weiteres Gegentor bis zur Pause
Wael Jallouz ballt nach einem
seiner drei Treffer die Faust.
Gislason reagierte und brachte
Johan Sjöstrand für den glücklosen
Andreas Palicka. Ein guter Schachzug, wie
sich herausstellte. Denn hinter einer nun stärker zupackenden Kieler
Abwehr entwickelte sich der Schwede zum Rückhalt seiner Mannschaft.
Nur noch einen Gegentreffer kassierten die Kieler in den elf Minuten
bis zum Seitenwechsel - und zogen vorentscheidend davon.
Christian Zeitz bediente den an den Kreis
eingelaufenen Sigurdsson zum 13:11, kurz
darauf passte Zeitz auf den vorne wie
hinten erneut stark spielenden Toft Hansen
zum 14:11, Jicha verwandelte nach Häfners
12:14 (22.) einen von Lauge herausgeholten
Siebenmeter, und Vujin vollstreckte zum
16:12. Der Torhunger des THW war damit aber noch nicht gestillt:
Toft Hansen verwandelte einen langen Pass
von Lauge zum 17:12, Sjöstrand
entschärfte einen Kempa-Versuch von Häfner und leitete den Gegenstoß
von Sigurdsson zum 18:12 ein, und
Jicha bediente Toft Hansen
zum 19:12. Rolf Brack zog seine Trumpfkarte und brachte Theuerkauf
als siebten Feldspieler. Doch ohne Erfolg: Weil der Kreisläufer selbst
warf und somit nicht zurückwechseln konnte, traf Jicha
gegen den "Torwart" Theuerkauf zum 20:12. Und hätte Sigurdssons
Ball aus der eigenen Hälfte nur eine Sekunde eher den Weg über die
Torlinie gefunden, der THW wäre sogar mit einem Neun-Tore-Vorsprung
in die Kabinen gegangen.
Verletzung bringt kurzfristig Unordnung
Erneut eine starke Partie in Angriff und Abwehr spielte
Rene Toft Hansen.
Aus dieser kamen die Kieler gut zurück. Erst bediente ZeitzDominik Klein, der per Heber vollstreckte,
dann erzielte der Linkshänder selbst das 22:13. Der unglückliche
Kopftreffer, den Lauge kassierte, brachte
dann kurzfristig Unordnung ins Kieler Spiel: Linksaußen
Sigurdsson übernahm die Mittelposition,
doch im Kieler Angriff schlichen sich Fehler ein. Da zudem Katsigiannis
im HBW-Tor einige starke Minuten hatte und auch
Jicha mit Atembeschwerden kurzfristig
draußen bleiben musste, kamen die Gäste durch Gegenstöße wieder
heran: Nach 46 Minuten und Martin Strobels Tor zum 20:25 war HBW
zumindest wieder in Reichweite. Gislason reagierte
und brachte sowohl Lauge als auch
Jicha wieder - die Überzahlsituation
nach Böhms Zeitstrafe nutzten Vujin und
Toft Hansen zum 27:20,
Klein markierte nach einem
Toft-Hansen-Block im Gegenstoß das 28:20,
und Jicha traf vom Kreis zum 29:20 (49.).
Binnen drei Minuten hatte der THW Kiel mit einem 4:0-Lauf die
Entscheidung erzwungen.
Mit viel Applaus wurde dann die Einwechslung von
Tjark Müller bedacht: Der THW-Nachwuchsmann
kam nach 53 Minuten und feierte sein Bundesliga-Debüt. Mit
Müller und einem Gegenstoß-Gewitter
schraubten die Kieler das Ergebnis noch auf 35:24. Besonders
spektakulär war dabei das Tor zum 34:22: Ekberg
hatte einen Ball von der eigenen Ecke und mit dem Rücken zum Feld
stehend nahezu "blind" mit einem Rückhandwurf zum an der Mittellinie
durchstartenden Wael Jallouz gepasst, der
den Ball mit Wucht ins Netz feuerte - dieses Tor riss die Zuschauer
von den Sitzen. Die Fans feierten im letzten Heimspiel im Oktober
ihre Mannschaft und stärkten ihr für die kommenden Auswärtsaufgaben
in Kielce, Wallau und Göppingen den Rücken. Für die "Zebraherde" geht
es am Freitag auf Champions-League-Tour: Via Frankfurt und Krakau geht
es nach Kielce, wo eine durch Weltmeister Julen Aguinagalde verstärkte
Weltklassemannschaft auf die Kieler wartet. Anpfiff der Partie beim
letztjährigen Königsklassen-Dritten ist am Sonnabend um 18.15 Uhr,
Eurosport überträgt live.
Wir haben große personelle Probleme. Filip
ist noch nicht wieder fit, Marko hat sich
den Daumen ausgekugelt, und mein Arzt war sicherlich nicht einverstanden
damit, dass ich Lauge noch einmal gebracht
habe. Insgesamt bin ich deshalb sehr zufrieden mit dem Sieg. Wir haben
weitestgehend gut angegriffen, und nach den ersten 20 Minuten haben wir
auch die HBW-Angreifer richtig zu fassen bekommen.
Johan Sjöstrand hat klasse gehalten. Ein
wenig sauer war ich nur, dass Rolf (Brack) nicht den siebten Feldspieler
gebracht hat. Ich habe drei Tage damit zugebracht, meine Spieler darauf
einzustellen (Gislason lacht). Im
Ernst: Ich bin sehr froh über die Leistung meiner Mannschaft, einige
Sachen haben besser als zuletzt funktioniert und auch unsere Neuen
kommen besser in Schwung. Wael kommt immer
besser rein und traut sich auch etwas zu.
Gefreut hat es mich, dass ich heute Tjark Müller
bringen konnte. Er ist zwar erst 20, hat aber schon drei Trainingslager
mit meiner Mannschaft absolviert. Er ist im Kommen und hat ein
Riesenpotenzial. Ziel ist es, dass er jetzt häufiger mit uns trainiert.
Es war gut, dass er heute mithelfen konnte, denn vor allem im Rückraum
hatten wir Probleme.
Balingens Trainer Dr. Rolf Brack:
Die ersten 20 Minuten waren ordentlich, bis zum 11:12 waren wir
richtig gut. Doch in der Abwehr spielen wir nur mit vier Leuten,
weil die Außen nicht mitmachen. Und der junge Müller
macht auf der anderen Seite genau das, was ihm aufgetragen wird.
Die THW-Deckung hat uns Probleme bereitet. Auch bis zum 20:25
hatten wir eine gute Phase, dann hat der THW die zweimalige
Unterzahl mit einem 5:0-Lauf bestraft. Uns hat die Konstanz
gefehlt. Es ist natürlich keine einfache Situation, zwei Mal in
Folge zweistellig zu verlieren. Die Niederlage gegen Wetzlar hat
Unruhe gebracht. Den siebten Feldspieler habe ich aus Respekt
vor Alfred heute auf der Bank gelassen.
Wir haben es gegen Ende der ersten Halbzeit einmal mit Theuerkauf
probiert, und das ist gleich schief gegangen. Der THW hat uns
heute gnadenlos ausgespielt.
Spiele gegen Balingen sind nicht wie alle anderen. Du
weißt nie, was dich gegen die erwartet. Dementsprechend
konzentriert sind wir in die Partie gegangen. Das war der
Schlüssel zum Erfolg. Trotz des hohen Sieges war es aber
schwieriger, als es aussah.
Balingens Abwehrspieler Daniel Wessig gegenüber den KN:
Wir hatten uns nach dem Wetzlar-Spiel einiges vorgenommen,
was leider nicht geklappt hat. Das Ergebnis ist ein bisschen
hoch ausgefallen. Aber so ist das, wenn die Gegenstoß-Maschinerie
des THW ins Rollen kommt.
Balingens Kreisläufer Christoph Theuerkauf gegenüber den KN:
Wir wollten den THW ein bisschen ärgern. Aber am Ende hat
sich die Qualität der besten Vereinsmannschaft der Welt
durchgesetzt.
Kiel. Der THW Kiel hat durch einen souveränen 35:24
(20:12)-Sieg gegen HBW Balingen-Weilstetten die
Tabellenführung in der Handball-Bundesliga verteidigt.
In einer lange sehr grauen Partie wurde es
gestern Abend erst unterhaltsam, als die Gäste für
Augenblicke den siebten Feldspieler einwechselten.
Es geschah eine Minute vor dem Abpfiff der ersten Halbzeit.
Zu einem Zeitpunkt, als die Zebras nach einem 14:12-Zwischenstand
fünf Tore in Folge erzielt hatten. Rolf Brack, Trainer der Balinger
und Erfinder des zusätzlichen Feldspielers, nahm Matthias Puhle
raus, brachte Christoph Theuerkauf. Die Grundregel bei dieser
Variante ist die, dass der Eingewechselte, leicht durch ein
farbiges Leibchen zu erkennen, nicht selbst abschließen sollte.
Wer mit dem Torwurf beschäftigt ist, hat nicht die nötige Zeit,
um sich wieder auswechseln zu lassen. Die Aufgabe der Verteidigung
ist die, dem Werfer eine Wurffalle zu stellen, ihm also den Weg
zu bereiten. Die Kieler Deckung hatte in diesem Spiel lange so
gewirkt, als würde sie für diese eine Wurffalle gegen Theuerkauf
üben. Immer wieder öffneten sie die Türen für einen Gast, der
nach der 18:31-Pleite gegen Wetzlar bis in die Haarspitzen
verunsichert war. Weil die Kieler offenbar Mitleid hatten, hielt
er lange mit.
Theuerkauf? Er scheiterte an Johan Sjöstrand,
der in der 19. Minute für den glücklosen Andreas Palicka
gekommen war. Weil er den Wechsel verpasste, rannte Theuerkauf selbst
ins Tor. Nur eine kleine Hürde für Filip Jicha,
der mit seinem fünften Tor das 20:12 erzielte. Pech für
"Goggi" Sigurdsson, dass auch schlechte
Halbzeiten nach exakt 30 Minuten enden. Die Sirene war kaum verklungen,
da rollte sein Wurf über das ganze Feld ins leere Tor. Die Fans in der
ersten Reihe nahmen den Isländer in den Arm, trösteten ihn. Doch so groß
wird sein Schmerz nicht gewesen sein, von Bedeutung wäre dieser Treffer
nicht gewesen.
Wegen ihrer Leidenschaft und ihrer Kampfkraft haben die Balinger sich
den Spitznamen "Gallier von der Alb" verdient. Jene Comicfiguren also,
die den Römern durch die Einnahme großer Mengen Zaubertrank das
Soldatenleben so schwer machten. Die Brack-Gallier hatten diesmal offenbar
zum falschen Getränk gegriffen. Möglich, dass es sich dabei um ein
leichtes Schlafmittel gehandelt hat. Die Deckung des Tabellen-15. erinnerte
über weite Strecken an ein Spalier, ein Kurzurlaub für die Zebras, die erst
vor einer Woche in Magdeburg (34:31) verprügelt
worden waren.
Mit einer Neun-Tore-Führung ließen die Gastgeber es ein wenig zu lässig
angehen, zudem musste Rasmus Lauge raus, der
Däne hatte einen Ball aus unmittelbarer Nähe ins Gesicht bekommen. Für
ihn übernahm Sigurdsson, wie beim
31:27-Sieg gegen den FC Porto am Sonnabend, die
Mittelposition. An seiner linken Seite durfte sich
Wael Jallouz versuchen, der unter großem
Beifall zum 24:18 (42.) traf. Der Jallouz-Hammer
sollte einer der wenigen Lichtblicke in einem Spiel sein, das im zweiten
Durchgang sanft entschlummerte. Die Gäste hatten in der Kabine offenbar
ein Gegenmittel für ihren Schlaftrunk gefunden, sie spielten ein Weilchen
mit breiterer Brust, verkürzten auf 25:20 (46.). Die Chance, ein fades
Spiel zu befeuern, hatten sie nicht, weil sie den Widerstand auch zügig
wieder einstellten.
Erwähnenswert war noch die Einwechslung von Tjark Müller,
der sonst in der "Zweiten" zu Hause ist. Der 20-Jährige hatte das A-Team nach
Porto begleitet, Trainer Alfred Gislason
wollte ihn einsetzen, doch der knappe Spielverlauf gab ein solches Experiment
nicht her. Gegen Balingen revanchierte sich Gislason
bei dem Mittelmann. "Das wünscht sich jeder, der seit der Jugend beim THW
spielt", bedankte sich Müller. "Einfach ein Traum."
Es blieb bis zum Ende eine Auseinandersetzung, die dem Rekordmeister gleich zwei
Wünsche erfüllte: Der 16. Liga-Heimsieg in Folge und eine geringe Arbeitsbelastung
vor dem Champions-League-Gipfel in der Gruppe B.
Am Sonnabend erwartet der polnische Meister Kielce den deutschen (18.15 Uhr/Eurosport).
(von Wolf Paarmann und Frank Molter, aus den Kieler Nachrichten vom 17.10.2013)