Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014:
Alfred Gislason ist vom Handball-Magazin zum Trainer des Jahres gewählt
worden, einmal mehr. Ein Fachmann
also. Einer, der den SC Magdeburg
und den THW Kiel zu Champions-League-Siegern machte. Der in
Kiel in die großen Fußspuren von
Noka Serdarusic trat und die unglaubliche
Erfolgsgeschichte der Zebras
nahtlos fortsetzte. Der auf Island
längst eine lebende Legende ist. Aber
wer ist
Alfred Gislason eigentlich?
Das Zebra-Journal hat fünf Menschen
befragt, die den 54-Jährigen bestens
kennen und eine besondere Begegnung
mit ihm schildern.
Piet Krebs - Mannschaftskollege von Alfred Gislason bei TuSEM Essen
Meine erste Begegnung mit
Alfred Gislason: Es war
1982. Ein Vorbereitungsspiel irgendwo
im kalten Niedersachsen.
GWD Minden gegen Knattspyrnufelag
Reykjavik. Der Name
dieses Vereins war unaussprechbar,
der Kerl auf halblinks
unaufhaltbar. "Vielleicht braucht
der als Dämpfer einfach mal einen
auf die Schnauze", dachte ich
mir. Ja, genau so war das beim
Handball der 80-er Jahre.
Gesagt - getan. Einer muss es ja
tun. Der Kerl schüttelt anschließend
nur den Brummschädel und
spielt ohne Meckern weiter. Wenige
Minuten später die schnelle
Rache am anderen Halbkreis.
Mein Kiefer schmerzt - und dieser
hundsgemeine Ur-Wikinger
lächelt verschmitzt und verlässt
schnell den Tatort. Mein spontaner
Gedanke im Sinne der Völkerverständigung:
Das ist Einer.
Monate später sitze ich TUSEM-Manager
Klaus Schorn gegenüber
und unterschreibe meine
Wechselpapiere und den neuen
Arbeitsvertrag. Ab sofort also
Essener. Anschließend zieht
Schorn ein Foto aus der Jackentasche
und präsentiert mir stolz einen
weiteren Neuzugang: Das isländische
Kantholz ist ab sofort
mein Mitspieler. Unglaublich.
Gislason und Krebs auf einem
Mannschaftsfoto.
Im ersten Sommer-Trainingslager
biete ich ihm spontan meine
Hand zur Versöhnung und mein
Doppelzimmer zur Beherbergung.
Alfred lächelt und schlägt
ein. Fünf Jahre teilten wir auf unseren
Sportreisen das Hotelzimmer.
Und die Mini-Bar. Und während
ich kurz vor der Bettruhe
den Flaschenöffner und die Fernbedienung
verwaltete, machte
Alfred sich noch schnell Notizen
von besonders guten Übungen
und erfolgreichen Taktiken.
Schon damals war klar: Der Typ
wird seinen Weg gehen. Auch als
Trainer. Ein Handballer mit Haut
und Haaren. Und Herz.
Johann-Ingi Gunnarsson - Trainer des Jahres in Deutschland 1987 und erster isländischer Trainer des THW Kiel.
Auch mir ist meine erste Begegnung
mit ihm besonders
präsent. Ich betreute damals die
Junioren-Nationalmannschaft Islands
und hörte davon, dass es im
Norden, in Akureyri, einen besonders
starken Typen geben
sollte. Aus ihm, so wurde mir zugetragen,
könne einmal ein ganz
Großer werden. Ich nahm ihn also
mit zur Weltmeisterschaft
1979 in Dänemark. Wir spielten
damals unter anderem auch gegen
Deutschland mit
Uwe Schwenker.
Alfred war aber in
1:1-Situationen nicht so stark, besonders
die sogenannte "polnische
Finte", das Ausweichen
nach außen, beherrschte er nicht
besonders gut. Ich habe ihm gesagt,
dass er daran stark arbeiten
müsse, wenn er wieder einmal
zur Nationalmannschaft kommen
möchte. Jahre später traf ich
seine Eltern, die mir erzählten,
dass
Alfred unmittelbar nach seiner
Rückkehr von der WM damit
begann, diese Finte zu üben. Im
Wohnzimmer! An dem Ort, an
dem die schönsten Möbel standen.
Er setzte seinen Vater in
die Verteidigung und übte.
Ich bin mir sicher, dass er dabei
im Wohnzimmer alles
kaputt gemacht hat. Von
Alfred
könnte ich 200 Geschichten
erzählen, aber
diese erste ist mir besonders
präsent.
Uwe Schwenker - ehemaliger Manager des THW Kiel, dessen Trauzeuge Alfred Gislason vor zwei Jahren war - an dessen 53. Geburtstag.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran,
wie ich damals zum ersten Mal mit ihm
verhandelt habe. Ich wusste, dass
Alfred
ein Haus in Magdeburg besitzt, in das er
sich immer zurückzieht, um Ruhe zu finden,
neue Kraft zu sammeln. Ein ehemaliges
Kutscherhaus, das er Stein für Stein
selbst umgebaut hat. Dass er dort entspannt,
in seinem Garten, bei seinen Rosen.
Ich wollte aber nicht mit meinem Kieler
Kennzeichen nach Magdeburg fahren,
weil ich dachte, dann würde es schnell aufliegen,
dass wir uns getroffen haben. Dass
der THW Kiel Interesse an ihm hat. In
Magdeburg, einer Handballstadt, hätte das
gut passieren können. Als ich
Alfred davon
am Telefon erzählte, lachte er nur und
meinte, dass diese Gefahr nicht bestünde.
Er sagte, ich könne ihn jederzeit besuchen,
es würde niemandem auffallen. Als ich
schließlich sein Haus gefunden hatte,
wusste ich auch, dass meine Sorge wirklich
unbegründet war. Mein Navi teilte mir
schon 30 Kilometer vor Magdeburg mit,
dass ich jetzt die Autobahn verlassen soll.
Der Weg führte mich direkt in die Pampa.
Irgendwann sollte ich dann links auf einen
1,5 Kilometer langen Feldweg abbiegen.
Am Ende standen sechs Häuser, mehr als
20 Menschen leben hier bestimmt nicht.
Auch heute nutzt
Alfred jede freie Minute,
um dort zu sein.
Uwe "Casey" Brandenburg, der sich als Physiotherapeut seit mehr als 30 Jahren um die Zebras kümmert
Ich kann mich noch gut daran erinnern,
wie wir uns zum ersten
Mal getroffen haben.
Alfred hatte
damals seinen ersten oder zweiten
Arbeitstag in Kiel. Wir - Mannschaftsarzt
Dr. Detlev Brandecker,
Manager
Uwe Schwenker und ich
- saßen mit ihm in einem italienischen
Restaurant zusammen.
Detlev
und ich wollten von
Alfred erfahren,
wie er sich unsere künftige
Zusammenarbeit vorstellt. Uns
war es ein dringendes Anliegen,
dass die Spieler im athletischen
Bereich besser auf die extremen
Belastungen vorbereitet werden.
Unter
Noka (
Serdarusic, Vorgänger
von
Gislason in Kiel, d. Red.)
wurde zwar im konditionellen Bereich
sehr gut gearbeitet, aber die
Athletik, der ganzkörperliche Ansatz,
kam etwas zu kurz. Ich kannte
Alfred bis dahin nur als Spieler
vom TuSEM Essen, wusste nichts
über seine Arbeitsweise als Trainer.
Ich hatte damit gerechnet, mit
ihm um die Erweiterung der therapeutischen
Betreuung ringen zu
müssen. Und dann sagte er, dass
das für ihn ganz selbstverständlich
sei, und er sich selbst darum kümmern
würde. Ich erlebe ihn als einen
Trainer, der immer offen für
Neues ist. Als
Marcus (
Ahlm, der
ehemalige Kapitän, d. Red.) einmal
sehr detaillierte Fragen zum
Thema Ernährung hatte, die wir
alle nicht beantworten konnten,
rief
Alfred einen Professor aus
Berlin an und gab, als er ihn erreicht
hatte, das Handy an
Marcus
weiter, der sich von ihm alle Fragen
beantworten ließ, während ich
ihn behandelte.
Filip Jicha - Kapitän des THW Kiel
Mir ist die letzte Trainingseinheit
in der
Saison 2009/2010 besonders gut in Erinnerung
geblieben. Wir hatten
einige Wochen zuvor ein wichtiges
Spiel in Hamburg (
33:31, d.Red.) gewonnen, kurz darauf
auch noch das "Final4" der
Champions League in zwei
Spielen gegen Ciudad Real
(
29:27, d. Red.) und den FC
Barcelona (
36:34, d. Red.), in
denen wir zurückgelegen hatten.
Ich fand, wir hatten in diesen
Tagen einen richtig guten
Job gemacht. Uns fehlte noch
ein Sieg beim TV Großwallstadt
im letzten Saisonspiel, um die
Meisterschaft perfekt zu machen.
Wir hatten eine gute Phase
und waren uns sicher, dass wir
auch da beide Punkte machen
würden. Entsprechend gut war
die Stimmung, zumal es eben
die letzte Trainingseinheit
der Saison war. Unsere
gute Laune hat
Alfred
ganz offensichtlich
nicht gepasst. Er hat uns
einen Spielzug üben lassen,
bei dem ich den
Kreisläufer anspielen
sollte, der zwischen den
Positionen "1" und "2"
stand. Ich habe dreimal
auf
Igor Anic gepasst,
aber er konnte den Ball
nicht fangen.
Alfred hat
gesagt, dass das meine
Schuld gewesen sei, dass
ich diesen Spielzug nicht
richtig spielen könne.
Aus meiner Sicht war es
so, dass ich alles richtig
gemacht hatte, nur
Igor
den Ball eben nicht gefangen
hatte. Ich fühlte
mich ungerecht behandelt
und habe vor Wut
gegen die Wand getreten,
ich war richtig sauer. Wir hatten
alle den Spaß verloren und sind
entsprechend schlecht gelaunt
auch nach Großwallstadt gefahren.
Ich habe diesen Anschiss
noch immer nicht vergessen, inzwischen
aber verstanden, warum
er es gemacht hat - wir sind
deshalb nicht zu locker in das
letzte Spiel gegangen. Entschuldigen
würde
Alfred sich zwar
nie, aber die Art und Weise, wie
er mich nach dem Sieg (
27:24,
d. Red.) auf diese letzte Trainingseinheit
angesprochen hat,
habe ich als solche verstanden.
Er lächelte, als er sagte, dass wir
diesen Spielzug in der kommenden
Saison aus dem Programm
streichen werden, weil ich ihn ja
nicht beherrsche.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014)