Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014:
Kiel. Kaum ein Handballspiel, nach
dessen Abpfiff nicht die Schiedsrichter
zu Buhmännern abgestempelt
werden. Wie steht es um die Klasse
der Unparteiischen? Das Zebra-Journal sprach darüber mit Daniel
Stephan. Der Welthandballer des
Jahres 1998 arbeitet heute als Experte
für den Fernsehsender Sport1.
Mit Daniel Stephan sprach Wolf Paarmann.
- Zebra-Journal:
-
Herr Stephan, hat der Handball ein
Schiedsrichterproblem?
- Daniel Stephan:
-
Das glaube ich nicht, eine solche Einschätzung
ist mir auch zu pauschal. Auffällig
war aber, dass es in der Bundesliga
in den ersten Wochen einige schwächere
Leistungen gegeben hat. Aber im
weiteren Verlauf der Saison haben die
Schiedsrichter sich gefangen.
- Zebra-Journal:
-
Warum?
- Daniel Stephan:
-
Das weiß ich auch nicht. Es ist aber erkennbar,
dass sie unmittelbar nach
Lehrgängen andere Schwerpunkte setzen.
War das Kreisläuferspiel ein Thema,
wird das danach genauer betrachtet
und anders gepfiffen als vorher. Und
später dann wieder wie früher.
- Zebra-Journal:
-
Sind die Schiedsrichter also besser als
ihr Ruf?
- Daniel Stephan:
-
Grundsätzlich werden die negativen
Leistungen zu sehr aufgebauscht, die
guten kaum gewürdigt. Da muss ich
mich auch an die eigene Nase fassen.
Manchmal kommt es vor, dass wir Fernsehreporter
fast jeden Pfiff kommentieren.
Das dient der Sache
auch nicht, wobei man
natürlich nicht unkritisch
mit Schiedsrichterleistungen
umgehen darf.
Auch aufgrund der zahlreichen
Foren im Internet
ist es Alltag geworden,
alle Fehler endlos zu diskutieren.
Dabei werden
gerne Statistiken interpretiert,
die gar nichts aussagen.
Nur weil eine Mannschaft
acht Siebenmeter bekommt,
die andere aber nur einen, heißt
das nicht, dass eine Mannschaft
klar benachteiligt wurde.
- Zebra-Journal:
-
Würde es dem Handball nicht dienen,
die Zahl der Fehlentscheidungen
durch Hilfsmittel wie einen Videobeweis
zu minimieren?
- Daniel Stephan:
-
Davon halte ich gar nichts. Wer entscheidet
denn, wie oft jeder Trainer unterbrechen
darf? Zweimal pro Halbzeit?
Fünfmal? Schauen sich dann alle - Trainer,
Schiedsrichter, Kampfgericht - die
strittige Szene an, um eine Entscheidung
zu treffen? Und wie wird die getroffen?
Nein, das würde diesen schnellen
Sport völlig zerstören. Fehler gehören
dazu, wir sind alle keine Roboter.
Unser Sport lebt von Emotionen. So
lange sie im Rahmen bleiben, ist alles in
Ordnung.
- Zebra-Journal:
-
Es gibt einige Trainer, die sich, angelehnt
an den Basketball, zeitlich befristete
Angriffe wünschen....
- Daniel Stephan:
-
....davon halte ich auch nichts. Das würde
meiner Meinung nach nur dazu führen,
dass wild aufs Tor geballert wird.
Die Spielzüge würden zu kurz kommen,
die Spielkultur leiden. Die Regeln sind
gut, wenn überhaupt, sollten sie nur in
Nuancen verändert werden.
- Zebra-Journal:
-
Beispielsweise?
- Daniel Stephan:
-
Ich persönlich finde in manchen Fällen
die Doppelbestrafung, wie Siebenmeter
plus Zeitstrafe, zu hart. Die Regeln sind
aber nicht das Problem des Handballs,
viel wichtiger ist ein respektvolles Miteinander.
Daran hapert es zuweilen.
- Zebra-Journal:
-
Die Handball-Bundesliga hat versucht,
die Schiedsrichter dadurch
zu schützen, dass die Beteiligten
sich 48 Stunden nach einem Spiel
nicht über sie äußern durften. Eine
gute Idee?
- Daniel Stephan:
-
Nein, ich halte nichts von Maulkorb-Erlassen. Gut, dass der wieder
abgeschafft wurde. Eine Diskussion
ist richtig und wichtig, nur
sollte sie von Respekt geprägt
sein. Es ist die Tendenz zu erkennen,
dass sich die Vereinsverantwortlichen
zunehmend im Ton
vergreifen. Einerseits auch verständlich,
schließlich hat der
Druck auf sie in den letzten Jahren
stetig zugenommen. Es steht immer
mehr auf dem Spiel.
- Zebra-Journal:
-
Was könnten die Schiedsrichter
unternehmen, um sich beispielsweise
gegen zu aggressive Trainer
zu wehren?
- Daniel Stephan:
-
Die Schiedsrichter dürfen sich
nicht alles gefallen lassen und
müssen sich frühzeitig in einem
Spiel zur Wehr setzen. Wenn ich
Schiedsrichter wäre, würde ich
versuchen, den Trainern eine Gelbe
Karte zu zeigen, wenn seine
Mannschaft im Ballbesitz ist.
Dann bekommt der Gegner einen
Freiwurf zugesprochen. Das trifft
den Trainer und die Mannschaft,
gleichzeitig bekommt auch jeder
Zuschauer mit, dass der Trainer
sich nicht im Zaum halten konnte.
- Zebra-Journal:
-
Was war Ihnen als Spieler im Umgang
mit Schiedsrichtern wichtig?
- Daniel Stephan:
-
Sie sollten eine Linie haben. Das
muss nicht bei allen die gleiche
sein, aber es muss erkennbar sein,
was dem jeweiligen Paar wichtig
ist. Ich kam sehr gut mit Fleisch/Rieber zurecht, die lassen das
Spiel laufen, das gefiel mir. Sicher,
es ist auch hilfreich, wenn
man mit ihnen während des Spiels
strittige Situationen besprechen
kann. Aber wenn sie es nicht wollen,
weil es sie in ihrer Konzentration
stört, darf das für die Spieler
kein Problem sein. Hauptsache ist
doch, dass die Leistung der
Schiedsrichter besser wird.
- Zebra-Journal:
-
Der Handball wird immer professioneller,
die Schiedsrichter sind
nach wie vor Hobbyisten. Geht die
Schere auseinander?
- Daniel Stephan:
-
Ja, das denke ich schon. Ihre Leistungen
werden zwar stetig besser,
aber der Handball entwickelt sich
noch schneller. Wer am Sonntag
pfeift, dann drei Tage lang arbeiten
muss, um am Mittwochabend
nach einer womöglich 500 Kilometer
langen Anfahrt wieder zu
pfeifen, kann sich nur schwer zu
hundert Prozent konzentrieren.
- Zebra-Journal:
-
Wäre es dann nicht eine Idee, auch
Schiedsrichter zu Profis zu machen?
- Daniel Stephan:
-
Nein. Die Idee ist ja nicht neu. So
sollen ehemalige Spieler angelockt
werden, die dann vielleicht
den Vorteil hätten, mehr von Taktik
zu verstehen. Ich kann mir aber
nicht vorstellen, dass das viele
machen würden. Für mich wäre
das auf jeden Fall nicht interessant.
Ich hätte keine Lust, die Rolle
des Buhmanns zu spielen. Und
außerdem ist das auch nicht praktikabel.
- Zebra-Journal:
-
Warum nicht?
- Daniel Stephan:
-
Auch Ex-Handballer müssten erst
einmal entsprechende Lehrgänge
besuchen, Erfahrungen in unteren
Ligen sammeln. Auch sie könnten
nicht gleich in der 1. oder 2. Bundesliga
anfangen, der Weg bliebe
auch für sie lang und wäre deshalb
als berufliche Alternative nicht
wirklich interessant. Ich würde es
für sinnvoller halten, dass die
Schiedsrichter in den oberen Ligen
so gut bezahlt werden, dass sie
nur halbtags arbeiten müssten.
Dann hätten sie mehr Zeit für die
Vor- und Nachbereitung.
- Zebra-Journal:
-
Wie ließen sich die Leistungen der
Schiedsrichter denn noch verbessern?
- Daniel Stephan:
-
Ich erinnere mich daran, dass sie
regelmäßig zu unseren Trainingseinheiten
gekommen sind. Das
war eine gute Sache und sollte
wiederbelebt werden. Diese Begegnungen
haben dem gegenseitigen
Verständnis sehr geholfen.
Auch wäre es hilfreich, ehemalige
Spieler zu Lehrgängen einzuladen,
sie könnten dort wertvolle
Tipps geben. Noch mehr Schulungen
wären gut, aber das geht nur,
wenn auch die Zeit dafür da ist.
- Zebra-Journal:
-
Der Handball steht sich aber auch
selbst im Weg, oder? So ist Bob
Hanning Manager der Füchse
Berlin und Vorsitzender der
Schiedsrichterkommission im
Deutschen Handball-Bund (DHB)
in Personalunion....
- Daniel Stephan:
-
...das beißt sich und ist wirklich eine
sehr unglückliche Konstellation.
Einige Bundesligamanager
haben das ja auch schon angesprochen.
Ich weiß auch nicht, warum
die Schiedsrichter überhaupt beim
DHB angesiedelt sind, einem Verband,
der nicht wirklich professionell
geführt wird. Die Schiedsrichter
wären bei der Bundesliga
wahrscheinlich besser untergebracht.
- Zebra-Journal:
-
Beim "Final Four" um den DHB-Pokal
wurde nicht nur über die
Doppelrolle von Bob Hanning
diskutiert, sondern auch über die
Qualität der Gespanne, die dort
gepfiffen haben. Verständlich?
- Daniel Stephan:
-
Ja. Mit Schulze/Tönnies war nur
eines der Top-Gespanne da. Geipel/Helbig, die derzeit besten
Schiedsrichter in Deutschland,
waren nicht nominiert, weil sie
drei Tage später die Löwen in der
Liga gegen den THW Kiel pfeifen
sollten. Das ist keine Begründung,
schließlich gab es ein Halbfinale
ohne Beteiligung der Löwen (Melsungen
gegen Berlin, d. Red.). Bei
einem so wichtigen Ereignis müssen
die besten Schiedsrichter pfeifen,
wobei bei der ersten Partie
(Die SG Flensburg-Handewitt
siegte 30:26 gegen die Löwen, d.
Red.) das Paar Immel/Klein, im
Vergleich zu anderen Beteiligten,
einen guten Job gemacht hat.
- Zebra-Journal:
-
Sie haben einen Wunsch frei, um
die Situation zu verbessern. Welcher
wäre das?
- Daniel Stephan:
-
Ein Patentrezept habe ich nicht.
Die Schiedsrichter haben aber
auch deshalb ein so großes Nachwuchsproblem,
weil sie immer zu
Buhmännern gemacht werden.
Nach dem Viertelfinale in der
Champions League beispielsweise
redeten alle tagelang über die
angeblich schlechten Leistungen
der Rumänen bei der Niederlage
der Löwen in Barcelona. Aber es
fiel kaum ein gutes Wort über die
herausragende Leistung der Spanier
in Skopje (Vardar scheiterte
aufgrund der Auswärtstorregel an
Flensburg, d. Red.). Ich würde mir
wünschen, dass sich das ändert.
Mich hat beeindruckt, als im
olympischen Eishockey-Halbfinale
zwischen Kanada und den
USA Kanadier pfiffen, woran sich
offenbar niemand störte. Im
Handball derzeit undenkbar, aber
diese Entwicklung würde ich begrüßen.
(Mit Daniel Stephan sprach Wolf Paarmann, aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014)
Die Preisliste
Was bekommen die Schiedsrichter, die in der Ersten und Zweiten
Liga pfeifen? Bei den Männern werden pro Schiedsrichter und Einsatz
500 bzw. 300 Euro bezahlt (Spesen inklusive, Reisekosten extra),
bei den Frauen 250 bzw. 150. Findet das Frauenspiel in der 1.
Liga an einem Werktag statt, gibt es 50 Euro extra, also 300 Euro pro
Schiedsrichter, die diese Summe noch versteuern müssen.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014)