Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014:
Auch abseits des Spielfeldes war in der vergangenen Saison
einiges los: Trainerkarussell, ein Weltmeister in der
Elternzeit, ein ungewöhnliches Comeback, ein ehemaliger
Champions-League-Sieger in der Krise - eine Rundreise
durch die Handball-Bundesliga.
- Berlin - Die Füchse Berlin gewannen
erstmals in ihrer Vereinsgeschichte
den DHB-Pokal.
Das Team von Dagur Sigurdsson
qualifizierte sich durch einen
30:28-Sieg gegen die MT Melsungen
für das Finale gegen die SG
Flensburg-Handewitt (30:26 gegen
die Löwen). Vor 12.850 Zuschauern
in der Hamburger o2-World entwickelte sich ein Drama,
in dem Nationaltorhüter Silvio
Heinevetter und der neunmalige
Torschütze Konstantin Irgopulo zu
den Helden wurden. Die Flensburger,
die nach einer 7:2-Führung
noch 21:22 (11:11) verloren, witterten
nach der vierten Finalniederlage
im DHB-Pokal in Folge Betrug.
Manager Dierk Schmäschke beschwerte
sich anschließend über
die Doppelfunktion von Füchse-Manager Bob Hanning, der als Vizepräsident
des Deutschen Handball-Bundes (DHB) auch Vorsitzender
der Schiedsrichterkommission
ist. Die Endrunde am 12./13.
April fand ohne den THW Kiel
statt. Die "Zebras" unterlagen im
Achtelfinale den Rhein-Neckar
Löwen mit 30:32 (14:16). Vor rund
7500 Zuschauern verlor der Titelverteidiger
erstmals nach 23 Jahren
wieder ein Heimspiel im
DHB-Pokal. Zuletzt hatte der
neunmalige Champion im November
1990 gegen TuSEM Essen
(15:25) verloren.
- Elternzeit - 1. April. Vielleicht
lag es an Berti Vogts, dass so
viele glaubten, Dominik Klein
würde in Elternzeit gehen. Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann
verpflichtet einen Ex-Bundestrainer,
um die deutsche Fußball-Nationalmannschaft
bei der WM zu
stoppen. Was nach April klang,
war wahr. Ein Scherz dagegen,
dass der Linksaußen des THW
Kiel sich bis zur Saison 2015/2016
ausschließlich um seinen sechs
Wochen alten Sohn Colin Marcel
kümmert. Seine Frau traut ihm zu,
trotz des Handballs ein fürsorglicher
Vater zu werden. "Wenn er zu
Hause ist, übernimmt er mit großer
Begeisterung alle Pflichten", sagt
Isabell Klein, die Kapitänin des
Handball-Nationalteams ist und in
der nächsten Saison wieder
für den Buxtehuder
SV spielen will. Ihr Mann
war von der großen Resonanz
seitens des Freundeskreises
und der Fans
völlig überrascht. Rund
die Hälfte gratulierte ihm
zu seiner Entscheidung.
"Das zeigt, dass dieser
Aprilscherz ein sensibles
Thema getroffen hat",
sagt der 30-Jährige. Tatsächlich
würde er sich eine
Diskussion darüber
wünschen, welche Optionen
es für Leistungssportler
geben könnte. "Ich beneide
alle, die Elternzeit
nehmen", sagt er, "auf
keinen Fall wollte ich
mich darüber lustig machen".
Würde er bis zum
Sommer 2015 aussetzen, wäre er
aber nicht mehr in der Verfassung,
um für einen Top-Verein wie den
THW zu spielen. Auch das Kapitel
Nationalmannschaft wäre dann
vorzeitig beendet. Außerdem seien
sie beide noch zu handballverrückt.
"Vielleicht mache ich es
beim zweiten Kind", sagt Klein.
"Und das ist kein Scherz."
- Siege - Der höchste Sieg in der
Bundesliga-Historie, das 44:17
des HSV gegen den Wilhelmshavener
HV (Saison 2007/08), blieb
unberührt, doch der Auswärtssieg
der Rhein-Neckar Löwen gegen
den ThSV Eisenach (42:19) rückte
auf Platz fünf in der ewigen Rangliste
vor.
Die höchsten Siege auf einen Blick:
- 1. HSV - Wilhelmshaven 44:17
(Saison 2007/08)
- 2. HSV - Stralsunder
HV 43:16 (Saison 2008/
09)
- 3. FA Göppingen - TuSEM Essen
43:17 (Saison 2008/09)
- 4. THW Kiel - VfL Pfullingen 48:25 (2003/04)
- 5. ThSV Eisenach (in
Coburg) - RN Löwen 19:42 (Saison
2013/14)
- Trainerwechsel - Nach über
neun Jahren trennte sich FA
Göppingen Anfang Dezember von
Trainer Velimir Petkovic. Ursprünglich
hätte der 57-Jährige
sein Amt im Sommer an den
Schweden Magnus Andersson
(HK Malmö) übergeben sollen.
Mit nur noch vier Punkten Vorsprung
auf die Abstiegsplätze
musste Petkovic, der 2011 und 2012
mit den Göppingern den EHF-Pokal
gewann, vorzeitig aufhören.
Aleksandar Knezevic kam als Interimscoach
und wird ab der kommenden
Saison als Sportlicher Leiter
fungieren. Auch Frank Carstens
musste im Dezember seinen Stuhl
beim SC Magdeburg räumen. Nach
dreieinhalb Jahren, in denen er den
SCM zweimal in den EHF-Cup
führte, lief sein Team den Erwartungen
hinterher. Uwe Jungandreas
(zuvor DHfK Leipzig) führte den
Meister des Jahres 2001 noch auf
Platz sieben. In der kommenden
Saison übernimmt Geir Sveinsson.
Der 49-Jährige, zuletzt beim österreichischen
Serienmeister A1 Bregenz
beschäftigt, unterschrieb einen
Zwei-Jahres-Vertrag. Eine
knapp zehnjährige Amtszeit endete
bei HBW Balingen-Weilstetten: Dr.
Rolf Brack musste vor dem Jahreswechsel
für den bereits als Nachfolger
feststehenden Markus Gaugisch
gehen. Brack wurde Nationaltrainer
der Schweiz.
- Abgesang - Geplant ist ein Riesenevent.
Am 6. September
2014 wollen die Rhein-Neckar Löwen
ihr Bundesliga-Heimspiel gegen
den HSV Hamburg in der
Frankfurter Arena austragen. Der
Tag des Handballs soll mehr als
50.000 Fans in das Fußballstadion
locken. Gut möglich, dass es
klappt. Aber: Die Mannheimer
müssen sich einen anderen Gegner
suchen. Der HSV steht nicht mehr
zur Verfügung. Am 3. Juni kam es
nämlich knüppeldick für die Hanseaten.
Auch im zweiten Anlauf
gab es keine Lizenz für die Bundesliga-
Teilnahme 2014/15. "Maßgeblicher
Grund für die Entscheidung
ist der weiterhin fehlende Nachweis
einer gesicherten wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit", hieß es in der
Begründung der HBL. Die Entscheidung
des Lizenzierungsausschusses
sei einstimmig gefallen,
erklärte HBL-Präsidiumsmitglied
und THW-Manager Klaus Elwardt.
"Es gab keine Alternative." Aus,
vorbei also. Nach zwölf Jahren und
fünf Titeln verschwindet der HSV
von der Bundesliga-Landkarte,
ausgerechnet ein Jahr nach dem
größten Triumph der Vereinsgeschichte,
dem Gewinn der Champions
League. In den Strudel waren
die Hanseaten geraten, nachdem
Präsident Andreas Rudolph den
Geldhahn zugedreht hatte, rund 20
Millionen Euro soll der Medizintechnik-Unternehmer seit 2005 in
den Klub gesteckt haben. Er wollte
nicht mehr. Jetzt fehlen 2,7 Millionen
Euro, der Insolvenzverwalter
muss die Scherben zusammenkehren,
der HSV ist Geschichte.
- Gestorben - Die Nachricht erreichte
die Spieler des THW
Kiel kurz vor dem Auswärtsspiel
bei Metalurg Skopje (19. April). 13
Jahre lang war Roland Breitenberger
(67), den alle nur "Rolli" nannten,
Betreuer des THW Kiel gewesen.
Am Karfreitag verstarb er nach
langer, schwerer Krankheit. Im Jahr
2010 hatte der gebürtige Badener
seinen Abschied genommen, so,
wie es seine Art gewesen war: Ohne
große Worte, er hörte einfach auf.
"Die Spieler stehen im Rampenlicht,
ich gehöre da gar nicht hin",
sagte er, der als A-Jugendlicher
Kreisläufer in der nordbadischen
Auswahl war. "Schade, dass das
Löwen-Spiel das letzte war, was er
vom THW gesehen hat", sagte Manager
Klaus Elwardt nach dem
31:21-Sieg in Skopje in der Mannschaftskabine.
"Er hätte dieses
noch erleben sollen." Der Kaufhaus-Detektiv, der nach eigenen
Schätzungen 6000 Diebe schnappte,
war mit seiner ruhigen, bescheidenen
Art schnell die gute
Seele geworden, ein "Urgestein"
(Alfred Gislason).
Spieler wie Ex-Kapitän Marcus Ahlm, die ihre gesamte
THW-Karriere mit dem gelernten
Werkzeugmacher verbrachten,
schätzten vor allem
seine Ehrlichkeit. "Leute wie
er tragen einen Verein", sagte
Ahlm einst über ihn. Für Igor
Anic war er sogar eine Art
Opa gewesen. "Eine Vaterfigur,
aber nicht so streng." Unter
dem Dach seines Hauses in
Altenholz hatte er sich sein eigenes
THW-Museum eingerichtet,
Tresen und Zapfanlage
inklusive. Die KN durften ihn
dort einmal besuchen. Es wurde eine
unvergessliche Zeitreise mit einem
besonderen Menschen.
- Rückkehrer - Die außergewöhnliche
Personalnot des
SC Magdeburg machte es möglich:
Thomas Knorr, zuletzt beim
Oberligisten Preetzer TSV aktiv,
kehrte noch einmal in die Bundesliga
zurück. Als siebter Akteur
rückt das Ex-Zebra auf diesem
Umweg in den elitären
"Klub der 500er" ein. "Es war reiner
Zufall, dass mich mein Kumpel
Kjell Landsberg (Abwehrchef
des SCM, d. Red.) angesprochen
hat", sagte der 42-Jährige. "Ich
war sofort Feuer und Flamme."
- Aufsteiger - Die TSG Friesenheim,
die SG BBM Bietigheim
und der HC Erlangen
mit Ex-Zebra Sebastian Preiß
steigen in die Erste Liga auf. Erlangen
wird die Heimspiele voraussichtlich
in Nürnberg austragen,
Bietigheim in Ludwigsburg.
- Elwardt - Zwei Tage nach der
Niederlage im Champions-League-Finale gegen die SG Flensburg-Handewitt (28:30) verkündete
der THW das "einvernehmliche
Ende" der Zusammenarbeit mit
Geschäftsführer Klaus Elwardt,
der im Juni 2011 als Nachfolger für
den erkrankten Uli Derad eingesprungen
war.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.06.2014)