Mit seinem 30. Saisonsieg verabschiedet sich der alte
und neue Meister THW Kiel aus der Bundesligasaison 2012/13.
Ein 32:29 (16:10)-Sieg, der für den gastgebenden TV Großwallstadt in
der ausverkauften f.a.n. frankenstolz arena in Aschaffenburg
den erstmaligen Abstieg aus der stärksten Liga der Welt
bedeutet. Mitte der zweiten Halbzeit hatten die Franken
zum zwischenzeitlichen 23:23 ausgeglichen und waren zu
dem Zeitpunkt in der Tabelle am langjährigen Rivalen VfL Gummersbach
(26:28 gegen Neuhausen) vorbei gezogen. Doch die "Zebras",
bei denen
Marko Vujin mit 7/4
Treffern erfolgreichster Schütze war, schlugen zurück und
besiegelten damit das Schicksal des TVG.
Großwallstadt braucht Handballwunder
Fast auf den Tag genau vor drei Jahren gab es schon einmal
dieses Traditionsduell am letzten Bundesliga-Spieltag in
Aschaffenburg: Am 5. Juni 2010 siegte der THW Kiel mit
27:24 und sorgte damit für rundum
strahlende Gesichter in der f.a.n. frankenstolz arena. Denn
damit sicherten sich die "Zebras" einst ihren 16. Meistertitel,
während sich der TV Großwallstadt mit einem Tor Vorsprung auf
die Füchse Berlin die Teilnahme am EHF-Cup sicherte.
Diesmal waren die Vorzeichen andere: Der THW Kiel stand
bereits seit Wochen zum nunmehr 18. Mal als deutscher
Meister fest, während der TV Großwallstadt ein Handballwunder
benötigte, um noch den sportlichen Klassenerhalt zu schaffen.
Ein Heimsieg (zuletzt 2001) oder ein Unentschieden (zuletzt 2004)
gegen den Rekordmeister allein würde nicht reichen, denn der
TVG war zudem auf die Schützenhilfe des bereits abgestiegenen
TV Neuhausen angewiesen, der zeitgleich beim VfL Gummersbach
mindestens einen Punkt mehr entführen musste als Großwallstadt
gegen den THW.
THW ohne drei Leistungsträger
Doch immerhin: Nach der höchsten Bundesliga-Niederlage der
Vereinsgeschichte (20:38 in Göppingen) hatte man in Unterfranken
beim 33:28-Erfolg in Lübbecke zuletzt Moral bewiesen. Es machte
sich ein kleines bisschen Hoffnung breit, zumal Großwallstadts
Linkshänder Runar Karason sich rechtzeitig zum Saisonausklang
wieder fit meldete, während die Kieler nach 60 Pflichtspielen
in dieser Saison auf dem Zahnfleisch krochen:
Alfred Gislason fehlten in
Aschaffenburg mit
Marcus Ahlm (Oberschenkelverletzung),
Aron Palmarsson (Knieoperation) und
Christian Zeitz (Mittelhandbruch)
gleich drei Leistungsträger, zudem ging es für den THW Kiel
selbst um nichts mehr in dieser Partie.
Konzentrierter Beginn der "Zebras"
Der THW Kiel zeigte vor 4.200 Zuschauern in der ausverkauften
f.a.n. frankenstolz arena aber von Beginn an, dass man nicht
gewillt war, die Zügel schleifen zu lassen und damit die
Entscheidung im Abstiegskampf zu beeinflussen. Die 6:0-Deckung
um
Rene Toft Hansen und
Momir Ilic funktionierte gut,
dahinter erwischte auch
Thierry Omeyer
einen guten Start. Großwallstadt hingegen wirkte nervös, was
sich beispielsweise nach dem 2:1 durch
Momir Ilic
zeigte: Joakim Larsson unterlief direkt beim Anwurf ein
Schrittfehler, und
Marko Vujin
rauschte per Gegenstoß zum 3:1 davon, ehe der von einer
Zeitstrafe zurückgekehrte
Toft Hansen
nach tollem Rückhandpass
Ilics gar
auf 4:1 erhöhte.
Klare Pausenführung für den THW
In der Folgezeit hielt Großwallstadt zwar dagegen, doch
der THW Kiel ließ die Gastgeber aber nicht zum Ausgleich
kommen.
Sprenger wurde
von
Vujin zum 5:2 bedient,
Ilic und
Vujin
verwandelten ihre Siebenmeter,
Sigurdsson
und
Toft Hansen trafen per Gegenstoß.
Und nachdem Rechtshänder Patrick Schmidt, der Karason früh im
rechten Rückraum beerbte, in der 22. Minute zum 10:13-Anschluss
traf, sollte dies der letzte Treffer der Gastgeber im ersten
Durchgang bleiben. Nach zwei Toren
Vujins
und einem
Ekberg-Siebenmeter zum
16:10-Halbzeitstand schien der Abstieg des Altmeisters schon
zur Pause beinahe besiegelt.
Großwallstadt dreht nach Seitenwechsel auf
Indes: In Aschaffenburg machte mittlerweile das Ergebnis aus
Gummersbach die Runde. Der VfL lag gegen den TV Neuhausen zur
Pause überraschend ebenfalls mit sechs Treffern hinten, und diese
Entwicklung setzte neue Kräfte bei den Zuschauern und auch bei
der Mannschaft von Peter David und Peter Meisinger frei. Tor
um Tor robbte sich der TVG an den THW heran, obwohl der
mittlerweile zwischen den Pfosten stehende
Andreas Palicka
einige hochkarätige Chancen entschärfte. So parierte der Schwede
zweimal gegen den völlig freien Michael Spatz und verhinderte
damit den 22:22-Ausgleich. Im Gegenzug holte
Narcisse
nach einem Wackler einen Siebenmeter heraus, und
Ekberg traf zum 23:21 für die "Zebras",
die gerade auf eine 3:2:1-Deckung umgestellt hatten. Doch die
Hoffnung des TVG auf den Klassenerhalt erreichte einen neuen
Höchststand, als der starke Linksaußen Max Holst per Strafwurf
den erneuten Anschluss schaffte und nach einem Ballverlust von
Narcisse per Gegenstoß tatsächlich
erstmals seit dem 1:1 zum 23:23 egalisierte. Die f.a.n frankenstolz
arena stand Kopf - nach 47 Spielminuten war der TV Großwallstadt
virtuell gerettet.
THW mit dem besseren Ende
Dann allerdings handelte sich David Graubner eine Zeitstrafe ein,
in Überzahl sorgten
Sprenger und
Narcisse für das 25:23 für den THW.
Graubner verkürzte zwar, doch nachdem
Palicka
gegen Karason zur Stelle war und Larsson vom Kreis nur den
Pfosten traf, waren die Kieler durch einen
Jicha-Sprungwurf
und einen
Sigurdsson-Gegenstoß wieder
auf 27:24 enteilt. Der TVG versuchte in den Schlussminuten noch
einmal alles, verkürzte mit offensiver Manndeckung 100 Sekunden
vor Schluss noch einmal von 24:29 auf 27:29. Doch die "Zebras"
ließen nichts mehr anbrennen:
Sprenger,
Narcisse und
Ilic
besiegelten mit ihren Treffern den erstmaligen Abstieg des
TV Großwallstadt aus der DKB Handball-Bundesliga. Die rundum
glücklichen Gesichter gab es diesmal woanders: In der Eugen-Haas-Halle
in Gummersbach, wo der gastgebende VfL trotz einer 26:28-Niederlage
gegen den stark auftrumpfenden TV Neuhausen den Klassenerhalt feiern
konnte.
Double-Feier auf dem Kieler Rathausplatz
Gefeiert wird natürlich auch in Kiel: Auf dem Rathausplatz
werden am Samstagabend mehr als 15.000 schwarz-weiße Fans
erwartet, wenn die Mannschaft des Double-Siegers - nach
dem Flug von Aschaffenburg nach Holtenau und der Busfahrt
zur Sparkassen-Arena geht es im kurzen Autokorso über die
Rathausstraße direkt zu den Fans - sich für eine
grandiose Spielzeit feiern lässt.
(Sascha Krokowski)
Lesen Sie bitte auch
- TV Großwallstadt:
-
Galia (37.-60. und ein Siebenmeter, 5 Paraden),
Wolff (1.-37., 7/1 Paraden);
Spatz (4),
Bühler,
Graubner (5),
Eisenkrätzer,
Holst (9/3),
Larsson (4),
Jakobsson,
Köhrmann,
Karason (1),
Schmidt (2),
Maas,
Pomeranz (4);
Trainer: David
- THW Kiel:
-
Omeyer (1.-30., 7 Paraden),
Palicka (31.-60., 8 Paraden);
Toft Hansen (3),
Sigurdsson (2),
Sprenger (4),
Ahlm (n.e.),
Wiencek (1),
Ekberg (3/2),
Zeitz (n.e.),
Narcisse (5),
Ilic (5/2),
Klein,
Jicha (2),
Vujin (7/4);
Trainer: Gislason
- Schiedsrichter:
-
Martin Harms / Jörg Mahlich
- Zeitstrafen:
-
Großwallstadt: 5 (Spatz (8.), Jakobsson (11.), 2x Larsson (12., 27.), Graubner (47.));
THW: 4 (2x Toft Hansen (5., 56.), Sprenger (17.),
Wiencek (32.))
- Siebenmeter:
-
Großwallstadt: 3/3;
THW: 9/8 (Wolff hält Vujin (27.))
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 0:1, 1:1, 1:4 (8.), 2:4, 2:5, 3:5, 3:6, 4:6, 4:7 (11.),
5:7, 5:8, 6:8, 6:9, 7:9, 7:10 (16.), 9:10 (19.), 9:13,
10:13 (22.), 10:16;
2. Hz.: 11:16, 11:17, 12:17, 12:18, 14:18 (36.), 14:19,
16:19, 16:20, 17:20, 17:21 (39.), 20:21 (43.), 20:22,
21:22, 21:23, 23:23 (47.), 23:25, 24:25, 24:29 (56.),
27:29 (59.), 27:30, 28:30, 28:31, 29:31, 29:32.
- Zuschauer:
-
4.200 (ausverkauft) (f.a.n. frankenstolz arena, Aschaffenburg)
- Spielgrafik:
-
Aus den Kieler Nachrichten vom 10.06.2013:
Ende einer Ära: TVG steigt ab
Gründungsmitglied der Handball-Bundesliga steht vor einem Scherbenhaufen - Gislason rechnet mit VfL-Bossen ab
Aschaffenburg. Großwallstadt trägt Trauer: Das
Gründungsmitglied der Handball-Bundesliga ist
abgestiegen. Ein Pünktchen fehlte dem Altmeister am
Ende zum Klassenerhalt. Doch der Niedergang des
ruhmreichen Klubs hatte sich schon lange vor der
29:32 (10:16)-Niederlage am Sonnabend gegen den
THW Kiel angekündigt. Wie es beim TVG nun weitergeht,
steht in den Sternen.
"Der Abstieg ist eine Katastrophe. Für den Verein,
für die Spieler und für die Region", sagte Sportdirektor
Peter Meisinger. "Ich habe die Hoffnung, dass es hier
noch irgendwie weitergeht. Doch dafür muss noch einiges
passieren." Nur zwei Spieler haben einen Vertrag, die
Lizenz für die 2. Liga ist längst nicht gesichert.
Meisinger und die Spieler standen noch lange nach dem
Schlusspfiff auf dem Parkett der Aschaffenburger
Frankenstolz-Arena und kämpften mit den Tränen. Sie
hatten bravourös gekämpft, hatten kurzzeitig sogar an
die Rettung geglaubt - doch am Ende war alles umsonst.
"Mit Blick auf das Ergebnis in Gummersbach hätte es für
uns nicht schlimmer kommen können", sagte Kapitän Sverre
Jakobsson.
Weil der VfL Gummersbach zeitgleich sein Heimspiel gegen
den TV Neuhausen verlor, hätte ein Punkt gegen die Kieler
am Ende gereicht. In der 47. Minute hatten die Gastgeber
zum 23:23 ausgeglichen, zeitgleich lag der VfL gegen
Neuhausen in eigener Halle 18:21 zurück. In diesen Sekunden
war der VfL auf einem Abstiegsplatz, mit dem TVG und den
Kielern der letzte "Dino", der seit Gründung der eingleisigen
Bundesliga ununterbrochen im Oberhaus mitgespielt hatte.
Doch die "Zebras" rafften sich noch einmal auf.
Andreas Palicka, nach dem Seitenwechsel
für Thierry Omeyer gekommen, hielt
ein paar wichtige Bälle. Vorne machten
Daniel Narcisse, ein Ex-Gummersbacher
wie Patrick Wiencek,
"Goggi" Sigurdsson und
Momir Ilic, den Unterschied aus.
Kiel, das wurde deutlich, wollte im Abstiegskampf keine
unglückliche Rolle im Duell der anderen Traditionsclubs einnehmen.
"Wir haben das Versprechen eingehalten, das ich dem Kölner
Express am Rande des Final4 gegeben habe", sagte
Alfred Gislason, der vor seinem Wechsel
zum THW im Sommer 2008 den VfL trainierte. "Aber ich schäme mich für
die neue Geschäftsführung des VfL, die mit einem verdienten Spieler wie
Vedran Zrnic so mies umgeht. Eigentlich hätten diese Personen das nicht
verdient!" Frank Flatten hatte den Kapitän, trotz eines bis Juni 2015
laufenden Vertrages, wegen angeblich "unloyalen Verhaltens" erst
kürzlich vor die Tür gesetzt.
Die Pleite des TV Großwallstadt gegen Kiel war nur der dramatische
Schlussakkord einer desaströsen Saison. "Eine so engagierte Leistung
wie heute hätten wir in einigen anderen Spielen zeigen müssen. Wir
Spieler haben in dieser Saison Fehler gemacht, der Vorstand aber
auch", sagte Jakobsson und sprach damit aus, was zuletzt immer
offensichtlicher geworden war. Neben sportlicher Unbeständigkeit
beschleunigte eine kontinuierliche Misswirtschaft in der
TVG-Führungsetage den tiefen Fall des einstigen Vorzeigeklubs.
Monatelang warteten die Spieler auf ihre Gehälter, vorübergehend
traten sie sogar in den Streik. Die Zeiten, in denen die "Wällster"
Titel en masse einheimsten und mit Spielern wie Kurt Klühspies,
Martin Schwalb oder Uli Roth den deutschen Handball dominierten,
sind längst vorbei.
Nach der zurückliegenden Seuchen-Saison droht der Verein nun auch
sein letztes Tafelsilber, die talentierten Nachwuchsspieler, zu
verlieren. "Ich werde mir jetzt auch einen neuen Verein suchen,
mit mir hat aus dem Vorstand niemand gesprochen", sagte Jonathan
Eisenkrätzer frustriert. Der 23-jährige Rückraumspieler steht
sinnbildlich für die Zukunft des Klubs.
Noch drängender als die fehlenden Spielerverträge sind aber die
finanziellen Probleme. Die Mainfranken bangen noch immer um die
Lizenz für die 2. Liga. "Die Geldgeber haben uns die Nachbesserungen
zugesichert. Zurzeit gilt die Lizenz aber als nicht erteilt", sagte
Liga-Geschäftsführer Frank Bohmann. Stichtag ist der 12. Juni. Bei
einem Lizenzentzug steigt der TVG in die 3. Liga ab und würde wieder
auf einer Leistungsstufe mit dem THW Kiel stehen - dann allerdings
mit der zweiten Mannschaft des Rekordmeisters. Bei einem
Zweitliga-Spielrecht für den TVG käme es zu Duellen mit dem TSV
Altenholz.
Ein solches Horrorszenario hält Meisinger nicht für ausgeschlossen.
"Man muss auf soliden Füßen stehen, ansonsten sollte man die Finger
davonlassen. Wenn es nicht geht, müssen wir aufgeben", sagte
Meisinger, der sich im Sommer offiziell zurückziehen wird und dann
nur noch als Berater zur Verfügung steht. Auch Trainer Peter David
("Ich bin als Trainer und Spieler noch nie abgestiegen") verlässt
den Verein. Sein Nachfolger Khalid Khan steht vor einer schwierigen
Aufgabe.
(von Ralf Abratis, Wolf Paarmann, Merle Schaack, Imke Schröder, aus den Kieler Nachrichten vom 10.06.2013)