Der THW Kiel bleibt in der Bundesliga auf Titelkurs: Am Samstag Abend besiegten die
Zebras den Wilhelmshavener HV mit 40:20 (22:10) und feierten nach dem
28:31 gegen die SG Kronau/Östringen ihre Rückkehr im
Titelrennen. Gegen die ebenfalls ersatzgeschwächten Gäste vom Jadebusen war der Sieg
lediglich zwölf Minuten in Gefahr - dann zogen die Zebras das Tempo an und
dominierten Ball und Gegner nach Belieben. Aus einer Mannschaft, die trotz der
langen Verletztenliste tolle Kombinationen für die Fans bot, ragte
Kim Andersson
mit neun erzielten Toren, sieben davon in der zweiten Halbzeit, heraus. Bestnoten
verdienten sich auch Mittelmann
Dominik Klein,
Pelle Linders
und
Henrik Lundström.
Als Spiel der "Versehrtenliga" wurde die Partie zwischen den beiden norddeutschen Klubs
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Christian Köhrmanns Griff in Zeitz' Gesicht löste Kiels Handbremse
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vor dem Anpfiff verspottet, mussten doch die Kieler - wie inzwischen leider gewohnt - auf
fünf ihrer Stammkräfte verzichten. Auch der WHV, bei dem Abwehrchef Jacek Bedzikowski (Kieferbruch),
Torwart Adam Weiner (Ellenbogen-OP), Oliver Köhrmann (Gehirnerschütterung), Bostjan Hribar
(umgeknickt), Tobias Schröder (Knieprobleme) und der gesperrte Manuel Liniger fehlten, konnte alles
andere als in Bestbesetzung in der Ostseehalle auflaufen. Nur zwei Mann aus der eigentlichen
Startaufstellung konnte Gäste-Trainer Michael Biegler aufbieten, doch das ließen sich die
Niedersachsne zunächst nicht anmerken. Bedächtig spielten sie ihre Angriffe aus, trafen dabei
auf ebenso bedächtige Kieler. Immer wieder fand der WHV Lücken am Kreis, ging beim 5:4 (11.)
aber letztmalig in Führung. Ein Griff von Spielmacher Christian Köhrmann ins Gesicht
von
Christian Zeitz löste beim THW die Handbremse. Das Publikum
war da, die Zebras ein wenig an der Ehre gepackt. Zweimal
Linders und
Kavticnik nutzten die Überzahl zum 8:5, als
Lundström wenig
später per Gegenstoß das 9:5 erzielte, zog Biegler die grüne Auszeitkarte. Doch zu spät: Die Kieler
Abwehr packte nun wesentlich etnschlossener zu, zwang Wilhelmshavens junge Truppe zu Fehlern.
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Ließ sich behandeln: Karabatic verzichtete vorsichtshalber auf einen
Einsatz in der zweiten Hälfte
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Ein weiterer "Viererpack" in weniger als drei Minuten stutzte den WHV auf 6:13 zurecht, Gylfi
Gylfason konnte wenig später noch einmal auf 10:14 verkürzen - dann regierte in der Ostseehalle
nur noch der THW. Sechs Minuten lang nahmen die Kieler ihren Gegner nach allen Regeln der Kunst
auseinander, ob nun
Kleins rotzfrecher Wurf,
Karabatics
Abpraller-Kempa nach dem vom guten Meyer parierten
Zeitz-Gegenstoß,
Lundströms lupenreiner Kempa nach feinem
Karabatic-Pass oder
Lindes sicherer Abschluss
nach einer schnellen Kombination - der THW zauberte sich die Müdigkeit aus den Gliedern und
begeisterte sein Publikum. Dass erlebte eine Steigerung nur noch kurz vor dem Halbzeitpfiff.
Am Kreis hatte sich
Andrei Xepkin freigelaufen, bat um den Ball.
Dominik Klein passte auf
El Gigante und der
vollstreckte zum 22:10-Halbzeitstand - die Halle sprang auf, feierte den mittlerweile 42-Jährigen
mit stehenden Ovationen und bedachte eine tolle Kieler Mannschaft mit großem Applaus - die
Gänsehautstimmung aus dem
Champions League-Finale war in die Ostseehalle
zurück gekehrt.
Die Samstag Abend-Party war angerichtet - und die Zebras waren für ihre Fans hervorragende Gastgeber.
Was folgte, war die Halbzeit des
Kim Andersson. Mit kürzeren Haaren und
alter Wucht hämmerte der Kieler Halbrechte fortan die Bälle ins gegnerische Tor, dass dem WHV-Keeper
Hören und Sehen vergehen konnte. Zudem spielte sich
Moritz Weltgen, der
nach der Pause den mit einer Bein-Blessur pausierenden
Karabatic
ersetzte, frei, brachte Tempo ins Spiel und zeigte einige feine Aktionen und Anspiele.
Als
Weltgen in Unterzahl,
Xepkin hatte vom
schwachen Unparteiischen-Gespann seine zweite Zeitstrafe gesehen, und angezeigtem Zeitspiel
zum 28:13 traf, brandete erneut Riesenjubel in der Ostseehalle auf. Einige Traum-Tore später
gab es Siebenmeter für den THW Kiel.
Noka Serdarusic schickte den
Weltgen zur Ausführung, der sich mit einem eiskalt verwandelten Strafwurf
für das Vertrauen bedankte. Nach Köhrmanns 18:31 (46.) passierte auf Wilhelmshavener Seite
fünf Minuten lang nichts mehr. Dafür sorgen
Klein per Gegenstoß,
Kim Andersson mit einem 119 (!) Km/h-Geschoss und
Linders
für umjubelten Kurzweil, der kurz darauf gestört wurde. Katzirz, nach einigen unfeinen Aktionen in
der ersten Halbzeit eh schon Buhmann des Publikums, hatte sein Knie direkt in die Weichteile
Linders' gerammt, der minutenlang auf der Platte liegen blieb.
"Pelle, Pelle"-Rufe und erlösender Applaus, als er gehend die Spielfläche verließ, begleiteten
die Schrecksekunden, ehe die Handball-Sause mit der La Ola-Welle in die Schlussphase ging.
Zwei
Lundström-Gegenstöße und
Kim Andersson mit
dem 40. Tor (56.) sorgten weiterhin für Jubel, ein krönender zweiter Treffer von
Xepkin wollte trotz aller Bemühungen allerdings nicht mehr gelingen.
Den Fans war dies egal, sie feierten ihren THW, der im Kampf um die Meisterschaft noch längst
nicht aufgegeben hat. Und sie feierten den Champions League-Sieger, der trotz aller Belastungen und
Widrigkeiten einen kurzweiligen Handball-Abend veranstaltete, dabei aber gleichzeitig Kräfte
sparen konnte. Die sind auch bitter nötig, wartet doch bereits am Dienstag Abend eine
neue Herausforderung auf die Kieler: Ab 19.30 Uhr ist Eintracht Hildesheim zu Gast. Noch sechs
Kraftakte bis zum Triple, sechs mal noch zittern ...
(Christian Robohm)
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Lesen Sie auch den ausführlichen Spielbericht der Kieler Nachrichten.
Das Spiel heute war nach den Belastungen der letzten Wochen ein bisschen mentale
Entspannung. Uns war es ganz recht, dass wir heute gegen ein Team spielen durften, was nicht
ganz oben angesiedelt ist. Man soll es nach einem Champions League-Sieg nicht glauben, aber
nach der Niederlage in Kronau war die Stimmung
die letzten Tage im Keller. Das zeigt, dass meine Jungs unglaublich schwer mit
Niederlagen leben können. Wichtig war heute, dass einige Spieler auch Pausen bekommen
konnten. Nikola Karabatic hatte in er ersten Halbzeit
signalisiert, dass er angeschlagen sei und zur Sicherheit lieber ausgewechselt werden würde.
Zu Karabatics Rolle beim THW:
Nikola ist der beste Halblinke der Welt und der kompakteste Spieler
in ganz Europa. Seine Leistungen in Abwehr und Angriff sind enorm. Ich kann mir einen THW
ohne Nikola kaum noch vorstellen und hoffe, dass er bleibt.
Zum Meisterschaftskampf:
Es spricht nicht viel für uns, mit unserem Aufgebot sind wir einfach nicht variabel genug, können
nicht den Handball spielen, wie noch vor einigen Wochen. Deshalb sehe ich den HSV mit seinem
kompletten Kader mit der Nase vorn. Aber meine Jungs werden alles geben und werden nicht aufgeben.
In den nächsten 2-3 Wochen wird Nikola die Ruhe finden, um sich
mit der Vertragssituation auseinander setzen zu können. Ich bin ruhig und gelassen, was seine
Entscheidung anbetrifft. Wer Nikola kennt, weiß, dass er für sein
Spiel die besondere Atmosphäre der Zuschauer braucht. Und die bekommt er in Kiel und in der Bundesliga.
Nikola weiß was er tut und was er am THW und seinem Trainer hat.
WHV-Trainer Michael Biegler:
Bevor ich zur Spielanalyse komme: Mir war es heute wichtig, Zeit gefunden zu haben, um
dem THW zu gratulieren. Die Leistung der Kieler in der Champions League war überragend angesichts
der personellen Schwierigkeiten, ich bin total begeistert und finde es sehr bemerkenswert, wie
in Kiel damit umgegangen wurde - a la Boneur! Heute hatte der THW leichtes Spiel, zu meiner eigentlichen
Startsieben gehörten im heutigen Kader nur Gylfason und Ljubanovic. Meine Jungs haben sich brauchbar
geschlagen, jedoch ein paar Stockfehler und Fehlwürfe zu viel gemacht. In der Schlussphase haben
sie zudem die Gelegenheiten ausgelassen, das Ergebnis einigermaßen erträglich zu
gestalten. Als mich vor der Halle ein alter Bekannter ansprach, wir mögen doch bitte den
ohne fünf antretenden THW nicht so ärgern, musste ich schmunzeln. Denn wenn beim THW fünf Spieler
fehlen, haben die verbliebenen immer noch eine ganz andere Qualität als beim WHV. Dennoch: Für meine
Youngster war es ein Erlebnis, in dieser Halle nicht nur dabei sein zu können, sondern auch zu spielen.
Deshalb nehmen wir auf jeden Fall etwas Positives mit - dem THW wünsche ich nun auch noch den Meistertitel.
WHV-Manager Dieter Koopmann gegenüber den KN:
Mein Respekt gegenüber dem THW wächst von Jahr zu Jahr.
WHV-Spieler Christian Köhrmann gegenüber den KN:
Bei uns konnten diejenigen Spielpraxis
sammeln, die sonst auf der Bank sitzen. Wir
haben extra langsam und teilweise ganz gut gespielt,
hatten aber schlechte Phasen. Kiel ist
eben einfach eine Klasse-Mannschaft. Mit der Höhe
der Niederlage sind wir unzufrieden.
THW-Linksaußen Henrik Lundström gegenüber den KN:
Nach dem Kronau-Spiel wollten wir heute etwas
wiedergutmachen.
THW-Linkshänder Kim Andersson gegenüber den KN:
Ach, ich weiß nicht, ob ich in den
letzten Wochen nicht so gut gespielt habe. Ich habe
einfach nicht so oft getroffen. Ich habe mir nicht
so viele Gedanken gemacht. Die Hauptsache
ist, dass die Mannschaft gewinnt. Heute hatte ich
ein bisschen mehr Glück bei meinen Würfen. Wir
wollen Meister werden, und das war ein Schritt in
die richtige Richtung.
Lesen Sie auch Zwei Minuten: Die THW-Kolumne nach dem Spieltag mit Moritz Weltgen..
THW Kiel:-
Omeyer (43.-60., 5 Paraden),
M. Andersson (1.-43., 5 Paraden);
Linders (7),
Xepkin (1),
K. Andersson (9/1),
Lundström (7),
Kavticnik (2/1),
Weltgen (3/1),
Zeitz (1),
Karabatic (3),
Klein (7);
Trainer: Serdarusic
Wilhelmshavener HV:-
Meyer (1.-30., 38.-60., 10 Paraden),
Putera (31.-38., 1 Parade);
Ljubanovic (4),
Gylfason (4),
Habbe (2),
Bonath,
Katzirz,
Staszwski,
Behrends (1),
Rui (1),
C. Köhrmann (8/5);
Trainer: Biegler
- Schiedsrichter:
-
Schaller (Leipzig) / Wutzler (Frankenberg).
- Zeitstrafen:
-
THW: 2 (2x Xepkin (10., 37.));
Wilhelmshaven: 5 (2x Katzirz (9., 22.), C. Köhrmann (11.), Gylfason (13.), Ljubanovic (29.))
- Siebenmeter:
-
THW: 6/3 (Meyer hält Kavticnik (9.) und Lundström (11.),
Weltgen an die Latte (57.));
Wilhelmshaven: 5/5
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 0:1 (3.), 2:2 (5.), 4:4 (8.), 4:5 (11.), 7:5 (13.), 9:5 (14.), 11:6 (17.), 13:6 (20.),
14:8 (22.), 18:10 (25.), 20:10 (28.), 22:10;
2. Hz.: 23:11 (32.), 24:12 (33.), 25:12 (34.), 27:13 (38.), 28:14 (40.), 30:16 (43.), 31:17 (44.),
32:18 (48.), 39:18 (54.), 40:19, 40:20 (57.), 40:20
- Zuschauer:
-
10250 (ausverkauft) (Ostseehalle, Kiel)
- Spielgraphik:
-
Aus den Kieler Nachrichten vom 07.05.2007:
Wilhelmshaven nur ein Spielball für die Zebras
THW Kiel gewann locker mit 40:20 - Neun Andersson-Tore - Karabatic mit Wadenprellung
Kiel - Dass sich der THW Kiel am Sonnabend in der ausverkauften Ostseehalle
gegen einen nur zehn Minuten lang ebenbürtigen Wilhelmshavener
HV mit 40:20 (22:10) durchsetzte, ist beruhigend. Mehr nicht. Es beruhigt
Spieler-, Trainer- und Publikumsseelen ebenso sehr, wie es den
argen Konkurrenten aus Hamburg beunruhigen mag. Es setzte ein Signal,
dessen sich auch THW-Trainer Noka Serdarusic bewusst ist.
"Die Stimmung nach der Niederlage in Kronau war im Keller. Ich habe gesehen,
dass meine Spieler mit Niederlagen nur schwer leben können", sagte Serdarusic
und zeigte sich froh, "dass wir heute nicht gegen einen Gegner aus dem oberen Tabellendrittel
spielen mussten". Der Gegner am Sonnabend hieß Wilhelmshavener HV - oder zumindest das,
was davon noch übrig war. "Nur Gylfason und Ljubanovic stehen
normalerweise in meiner Startaufstellung. Dafür haben sich meine Jungs brauchbar
geschlagen", sagte WHV-Trainer Michael Biegler. Und doch, die Gäste kamen nach
dem 5:5 (12.) nicht mehr über ein Statistendasein hinaus. Spätestens beim 11:6 (18.)
durch den treffsicheren Henrik Lundström - dem
1000. Saisontreffer des THW - ließ sich der THW-Tempo-Titan nicht mehr
aufhalten.
Somit lag das Bemerkenswerte dieses Abends nicht in dem Duell zweier Erstligisten,
sondern "zwischen den Zeilen" unterhaltsamer 60 Minuten. Es fand sich in
der Beharrlichkeit der Kieler, die dann, wenn es passte, mit Kabinettstückchen
glänzten: Bei einem Kempa-Trick beispielsweise, den
Lundström nach einem schönen Pass von
Nikola Karabatic zum
18:10 (27.) vollstreckte, in einer Phase, in der dem WHV zwischen dem 14:10 (23.) und
der Halbzeitpause (22:10) kein Treffer gelang.
Es wurde offenbar in der liebevollen Sensibilität des Publikums, das die Zeichen
der Zeit auch nach dem hampions-League-Triumph erkannt hat, das den
Endspurt im Meisterrennen annimmt, das sich und die Spieler auch bei einem 15-Tore-Vorsprung
per La-Ola zum Lachen bringt, das den dritten Treffer des 42-jährigen
Andrei Xepkin zum 22:10 (30.) für
wenige Sekunden zur größten Sache der Welt deklariert und ihn ebenso ehrt wie
den jungen Moritz Weltgen.
So geriet die zweite Halbzeit endgültig zur Party. Eine Party, die erst
Karabatic (Wadenprellung) und später - nach rüdem
Einsatz von David Katzirz - auch Pelle Linders
(Schambeinprellung) nur auf der Bank erlebten. Im Fall von Linders gab
THW-Arzt Detlev Brandecker gestern bereits
Entwarnung. Linders, Lundström sowie
Dominik Klein auf der Position in der
Rückraum-Mitte hießen nicht nur wegen ihrer jeweils sieben Tore die auffälligsten
THW-Akteure. Hinzu kam der endlich wieder befreit aufspielende
Kim Andersson (9).
Dennoch, Serdarusic bleibt in Bezug auf
das Rennen um den Meistertitel skeptisch. "Für uns spricht nicht viel, wir sind nicht
variabel. Der HSV hat die Nase vorn, aber wir werden nicht aufgeben." Die nächste
Hürde heißt morgen Abend (20 Uhr, Ostseehalle) Eintracht Hildesheim. Der Tabellenletzte
beendete gestern (36:35) überraschend
die letzten Meisterträume des SC Magdeburg. Bleibt der HSV als einziger
Konkurrent um die Schale: Am Sonnabend mühte sich der Zweite gegen Melsungen zu
einem 38:32 (18:16) und verlor dabei Torsten Jansen (Rückenverletzung). "Der
Spielplan ist unmenschlich, die Akkus sind leer", sagte HSV-Trainer Martin Schwalb.
Und vielleicht spielte auch das 40:20 des THW eine kleine Rolle, das die Kieler beruhigte
und die Hamburger - beunruhigte.
(von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 07.05.2007)