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13.-31.01.2011 - Letzte Aktualisierung: 31.01.2011 WM 2011

Kieler Nachrichten: WM-Tagebuch

KN-Redakteur Wolf Paarmann berichtet aus Schweden

Update #14 Update vom 31.01.

Für die Kieler Nachrichten berichtet Redakteur Wolf Paarmann von der Handball-Weltmeisterschaft in Schweden. Täglich berichtet er in seinem WM-Tagebuch "Min Dagbok" aus Skandinavien.
Aus den Kieler Nachrichten vom 13.01.2011:
Plastik-Welt
Alles war gerichtet, und plötzlich stand die Teilnahme an der WM doch noch auf der Kippe. Anders als bei Torsten Jansen war der Bundestrainer diesmal unschuldig, als Hindernis scheine ich mir zu genügen. Am Dienstag vergaß ich in Hamburg am Bahnhof alle Plastikkarten (Kredit- und EC-Karte, Führerschein, ...) und bemerkte es erst, als ich auf Höhe Neumünster das Onlineticket bestätigen sollte. Ein Witz, dass meine Eile, den ICE um 19.05 Uhr zu erwischen, überflüssig war - er hatte mehrere Minuten Verspätung. Allerdings, und da muss ich eine Lanze für die zuletzt so Gescholtenen brechen, bemühte sich der Zugchef enorm. Er ließ mich ohne Kreditkarte mitfahren und sorgte dafür, dass der Dammtor-Bahnhof durchkämmt wurde, leider erfolglos.

Am Serviceschalter in Kiel gestrandet, sperrte ich verzweifelt meine Karten. Zu später Stunde funktioniert das nur im Dialog mit einem sprechenden Computer. Einer mit schlechten Ohren. Am Ende brüllte ich meine Daten so laut in mein Handy, dass sie in Kiel nun jeder kennen müsste. Nur gerecht, die Hamburger hatten sie ja schon längst. 21.30 Uhr. Meine Welt, so weit sie auf Plastik aufgebaut ist, lag am Boden.

Und dann rief Ute B. aus Hamburg an. Weil sie keinen Suchenden finden konnte, hatte sie die Kartensammlung mit nach Hause genommen und dort mit Hilfe der Adresse auf dem Presseausweis meine Privatnummer herausgefunden. Ein Engel, der den Fund in Gänze einem Freund aushändigte und sich von ihm, dem für sie Unbekannten, die Übergabe jeder einzelnen Karte und der 100 Euro Bargeld quittieren ließ. Ihr Finderlohn? Bilder aus Schweden ...

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 13.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 14.01.2011:

Vorrang für "Könige"
Angekommen! Die Sonne scheint, die Felder sind weiß. Winter in Südschweden und die Erkenntnis, dass das Schlagloch ein Problem ist, das die Deutschen nicht exklusiv haben. Ich bin am frühen Morgen in Malmö angekommen und von dort im Nebel ins 100 Kilometer entfernte Kristianstad gefahren, der neuen Heimat der deutschen Handballer. Warum ich einst die Fähre ab Travemünde gebucht habe, weiß ich nicht mehr. Für einen Kieler eine sinnlose Wahl. In meinem Fall war die neunstündige Überfahrt durch einen Zufall halbwegs stimmig, musste ich doch in Hamburg noch meine Kreditkarten abholen, die ich tags zuvor verloren hatte.

Die Kabine teilte ich mir mit einem Kollegen aus München. Mein Preis? 85 Euro, Auto inklusive. Eine spartanische, ehrliche Fähre. Trucker in Trainingsanzügen prägen das Restaurant, Reste des üppigen Abendessens bekommen als Frühstück eine neue Chance und auf TV-Schirmen versinkt ein großes Schiff. Finnlines kommt problemlos in Schweden an.

Hier lerne ich schnell, wer die Könige von Kristianstad sind. Als ich mir an der Sporthalle meinen Presseausweis abholen will, tauchen Thierry Omeyer & Co auf. "Sorry", sagt die nette Schwedin im Akkreditierungsbüro. "Jetzt müssen Sie leider warten." Da die Franzosen vergessen hatten, Passbilder zu verschicken, darf ich zusehen, wie sie sich in Seelenruhe fotografieren lassen. Aber: Nachdem ich endlich an die Reihe gekommen bin, streikt die Technik und meine Kollegen werden gebeten, am nächsten Tag wieder zu kommen.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 14.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 15.01.2011:

Müsli und Musik
Das Thermometer ist tief gefallen, in der Nacht hat es kräftig geschneit, und ich erwache, ohne mir erfrorene Finger abzubrechen. Das Wohnmobil hat seinen ersten Härtetest bestanden! Um flexibler zwischen den Spielorten pendeln zu können, habe ich mir einen Hymer 512 gemietet. Sechs Meter lang, bequemes Bett, Dusche, Toilette, Herd - es fehlt an nichts. Nur mir fehlte der Glaube daran, dass ein Auto auch im Winter Schutz bietet. Kann es. In "Charlottenborgs", einem Stadtteil von Kristianstad, lebe ich nun auf einem Parkplatz vor einer Jugendherberge, die nur zwei Kilometer vom Teamhotel und der Arena entfernt ist. Für die erste Nacht war es ein sehr beruhigendes Gefühl, neben einem Haus stehen zu dürfen, dessen Türcode ich kenne. Für zehn Euro am Tag darf ich das Mobil mit Strom versorgen. Denn nur dann, das habe ich gelernt, erwachen auch meine Steckdosen zum Leben.

8.15 Uhr. Der erste Kaffee ist fertig, dazu gibt es schwedisches Müsli und nette Musik - der Tag kann beginnen. Ich spüre, dass ich mutiger werde, die unmittelbare Nähe zu Gebäuden nicht mehr brauche. Vielleicht ziehe ich bald ins 15 Kilometer entfernte Ahus um, der Heimat von Jesper Larsson. Der ehemalige Torwart des Bundesligisten HSG Nordhorn und Mitglied im Organisationsteam der WM, hat mir den Campingplatz "Regenbogen" empfohlen. Strand, ganzjährig geöffnet, deutsche Küche. Heute lädt die Nationalmannschaft zum Medientag ein. Da schaue ich einmal vorbei, dann geht es zum Regenbogen.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 15.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 17.01.2011:

Bad im Schnee
Das Paradies lag hinter dem Nebel. Schneematsch auf den Straßen, schleswig-holsteinische Einsamkeit und Verkehrsschilder, auf denen die vielen Abzweigungen abgeklebt sind. Kein Durchgang, zu viel Schnee. Der Weg zum Campingplatz "Regenbogen", den mir der ehemalige schwedische Nationaltorhüter Jesper Larsson empfohlen hatte, war frei, und ich wurde erwartet.

Die Regenbogen AG, die mit einem neuen Konzept das klassische Campen um eine Luxusvariante erweitern möchte, hat ihren Sitz in Kiel. Der Chef hatte das Sonnabend-Tagebuch gelesen und die Kollegen in Ahus über mein Kommen informiert. Ich wurde herzlich empfangen und hatte bei den Stellplätzen freie Auswahl. Im Juli ist das Städtchen am Ostseestrand Veranstaltungsort für ein internationales Beachhandball-Turnier, 5000 Menschen tummeln sich dann auf diesem Platz. Heute bin ich allein. Das Gelände hat neben schmucken Vier-Bett-Hütten, die mit Fußbodenheizung für 70 Euro pro Nacht vermietet werden, auch Restaurant und Sauna zu bieten. Weil die Schweden, die rund herum in Häusern leben, beides offenbar gerne nutzen, war beides geöffnet. So endete der Sonnabend mit drei Saunagängen, einem Bad im Schnee und Schnitzel bei Kerzenlicht.

Die Infrastruktur für die Vorrunde ist nun perfekt. Wird es in den Hallen spät, so wie heute, übernachte ich auf dem Parkplatz vor der Jugendherberge in Kristianstad. Gibt es keine festen Termine, wie am spielfreien Dienstag, ziehe ich mich ins Seebad Ahus zurück. Ein Paradies mit Internetzugang.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 17.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 18.01.2011:

Malmö im Fieber
Tag fünf - und ich suche noch immer das Fieber. Die Schweden haben angekündigt, die beste WM aller Zeiten zu veranstalten. Wenn dem so ist, bekommt es allerdings kaum einer mit. In Göteborg brennt es im Scandinavium, wenn der Gastgeber vor knapp 12 000 Zuschauern spielt. Aber betreten Polen, Slowaken oder Argentinier die drittgrößte Multifunktionshalle des Landes, ist nur jeder sechste Platz besetzt.

Lund, eine der beiden Spielstätten für die Gruppe A, wurde als Handball-Hochburg angekündigt. Vier nationale Top-Clubs sollen hier beheimatet sein, doch in den Straßen deutet nichts auf ein Großereignis hin, das mitten in der behaglichen Studentenstadt ausgetragen wird. Ein einziges Banner verrät den Ort, an dem sich Fans zum Public Viewing treffen sollen. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen werden diese Zonen beworben, aber ein Ort der Begegnung sind sie nicht geworden. In Kristianstad stehen die schwedischen Nationalspieler in der Fußgängerzone als Pappkameraden herum. Weil den meisten von ihnen der rechte Arm abgebrochen wurde, strahlen auch sie wenig Zuversicht aus.

Es gibt derzeit offenbar nur einen Ort, an dem es auch ohne die schwedische Nationalmannschaft richtig heiß wird: Malmö. Kein Wunder, heißt die Nachbarstadt doch Kopenhagen. Die schmucke Arena, die 12 500 Zuschauern Platz bietet, ist von hier mit dem Auto in 16 Minuten zu erreichen. Und weil die Dänen zu den Spielen ihrer Auswahl in großen Scharen über die Öresundbrücke pilgern, hat Malmö etwas zu bieten, was vielen anderen schwedischen Städten fehlt - WM-Fieber.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 18.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 19.01.2011:

Wärme gut für Gas
Dauerregen und Plusgrade haben den Winter vertrieben. Gute Nachrichten, sind meine Gasvorräte doch knapp bemessen. Drei Elf-Liter-Flaschen habe ich dabei, mehr ließen sich nicht befestigen. Angeblich haben die Schweden ein anderes System, eines, das mit dem deutschen nicht harmoniert. Bleiben die Temperaturen so, wird es mir erspart bleiben, aus einem Stück Schlauch, zwei Schellen und einem Schraubenzieher ein Provisorium zu basteln. Allerdings, am Sonnabend geht es 220 Kilometer in den Norden, nach Jönköping. Nach der Niederlage der Tunesier gegen Ägypten kann nur noch eine Grippewelle verhindern, dass die Deutschen an der Hauptrunde teilnehmen.

Mitten in Jönköping gibt es einen Campingplatz mit dem ermutigenden Namen "Villa Björkhagen". Eine Nacht im Wohnmobil kostet 210 Kronen, knapp 20 Euro. Freier Eintritt Abenteuerbad und Sauna inklusive. Wer ein Hotel in einer WM-Stadt bucht, zahlt bis zu 240 Euro pro Nacht, ohne Bad und Sauna. Eine Alternative wäre, weitere 30 Kilometer nördlich, der Großparkplatz in Gränna. Die Gebühren werden nach Stunden berechnet, 24 für neun Euro. Ein Cafe und einen Imbiss soll es geben, Strom auch. Sollten beide Adressen heiße Luft sein, habe ich noch einen Trumpf: Johan Petersson. Der ehemalige Rechtsaußen des THW Kiel wohnt am herrlichen Vätternsee und arbeitet im Organisationsteam mit.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 19.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2011:

Kurze WM-Wege
Die WM in Schweden ist arm an Emotionen, aber gesegnet mit kurzen Wegen. Ein Beispiel: Eine Kollegin reiste mit dem Zug nach Kristianstad und wollte vom Bahnhof zu ihrem Hotel in die Innenstadt gebracht werden. Der Taxifahrer empfahl, zu Fuß gehen. Der Trip würde sich nicht lohnen, Bahnhof und Hotel wären nur durch eine Kirche getrennt.

Wer vom Mannschaftshotel zur Halle geht, bummelt ein paar hundert Meter durch die Fußgängerzone. Immer der Västra Storgatan entlang, bis linker Hand die Arena auftaucht. Wer die Fußball-Bundesliga verfolgen will, geht in die Sportsbar "O' Learys". So wie am Sonnabend die deutsche Nationalmannschaft. Wer am Montag am späten Abend keinen Schlaf fand, konnte sich wunderbar mit Arpad Sterbik eine Zigarette teilen. Weil der Torhüter der Spanier so gerne raucht, stand er meist auf der Straße, während seine Kollegen den Sieg über die Deutschen feierten. Im "Banken", einem Laden, der vom "O' Learys" und dem Mannschaftshotel "Quality Grand" nur Zentimeter entfernt ist, wird bis um 23 Uhr gespeist. Anschließend werden die Tische an die Seite geschoben, und das Restaurant macht als Tanzsaal Überstunden. Ob die Spanier auch tanzen können? Keine Ahnung.

Ich weiß aber, dass mir Stefan Kretzschmar seit Tagen mit dem Wunsch in den Ohren liegt, in seinem Sport1-Tagebuch über mein Leben im Wohnmobil berichten zu dürfen. Aber will ich das? Sollte ich nachgeben, glauben Sie einfach nichts. Bitte.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 21.01.2011:

Rauchen verboten?
Rökning Förbjuden - das Schild ist eindeutig, aber er tut es trotzdem. Genüsslich zieht er an seiner Zigarette, saugt den Rauch durch die Nase wieder ein und grinst. Weil er diese Situation kennt, dass er auf das Rauchen angesprochen wird, das auch hier im Presseraum von Kristianstad strengstens verboten ist. Aber - irgendetwas stimmt mit seiner Kippe nicht.

Sie glimmt wie ein Glühwürmchen, sie wird einfach nicht kürzer und der Aschenbecher fehlt. Die Lösung: Axel Heimken, Fotograf und seit 30 Jahren Raucher, ist auf eine elektrische Zigarette umgestiegen. Sie sieht genauso aus, ist ein paar Gramm schwerer und kehrt nach der Arbeit immer wieder brav in die Schachtel zurück. Sie liefert Schutz und Strom für ihren Akku. Hat die Schachtel ihre Stromreserven aufgebraucht, wird sie über ein Mini-USB-Kabel mit dem Computer verbunden und ihrerseits aufgeladen. Kabel, Schachtel, zwei Zigaretten: 79 Euro hat Heimken für das Modell "Vitasmoke" bezahlt. Nun raucht er im Bett, bei Langstreckenflügen, Restaurants und eben auch in Pressezentren. Der Filter wird mit Aromen beträufelt, auch eine Variante mit Nikotin soll es geben. Weil er früher Menthol-Zigaretten rauchte, hat er nun "Mint" gewählt. Der klassische Verbrennungsprozess ist für ihn seit acht Wochen Geschichte, und Verdampfen sei nicht verboten.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 21.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 22.01.2011:

Steinzeit mit Max
"Ratatata", "Ladiladilo", "Hands up" - die Sinnlos-Jingles in den Hallen bohren sich wie Würmer ins Hirn. Um abends die Ohren zu entspannen, habe ich meinen Laptop mit Jazzmusik gefüttert. Jetzt fehlen nur noch Boxen.

Weil Kristianstad ein Ort der kurzen Wege ist, fand ich ein Fachgeschäft direkt neben dem Mannschaftshotel. Ola, der Chef, wurde gerade von den Franzosen besucht und wirkte ähnlich beeindruckt wie die deutschen Handballer. Aber ihr Spiel gegen Spanien am Abend wollte er sich trotzdem nicht live ansehen, auch wenn er die Preise sehr fair findet. 400 Kronen (45 Euro) für zwei Spiele, das sei günstiger als der Besuch des städtischen Erstligisten.

Die Schweden seien zwar stolz darauf, diese WM ausrichten zu dürfen. Aber sie würden sich eben nur für ihr Team interessieren. Während das gegen Polen spielte, erlebten einige Tausend in der Kristianstad-Arena schweigend, dass diese Franzosen doch einen Gegner haben - sich selbst. Laut wurde es erst, als der Hallensprecher den Schweden-Sieg durchgab. Anschließend schwappte die eine oder andere Welle durch das Publikum, bislang hier ein Novum.

Mit Ola hoffen alle Schweden, dass die neue Mannschaft endlich aus dem Schatten der alten Helden heraustreten kann. Die tragen ihren Teil dazu bei, drehten einen Spot, in dem "Max" Wislander, Peter Gentzel und Per Carlen, in Felle gekleidet, extrem ungelenk mit einem Lederei hantieren. Dann geht in der Steinzeit gleißend das Licht an und Oscar Carlen und Co. verjagen die Neandertaler. Die Boxen? Zu teuer, aber Ola empfahl die Konkurrenz. Da wurde ich fündig.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 22.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 24.01.2011:

Tanz mit Heiner
Der Sonnabend fühlte sich an, als wäre ich in einer Postkarte gelandet. Blauer Himmel, Birkenwälder und Schnee. Ein Genuss für die Sinne, zumal in Schweden das Fahren beim Träumen nicht stört. Ein gelegentlicher Seitenblick empfiehlt sich trotz Tempolimit, sind die Bedingungen für Geisterfahrer doch optimal.

Weil die Einsamkeit Ausfahrten in sehr großen Abständen rechtfertigt, ist die Mittelleitplanke der E4 immer wieder durchbrochen. Vor Jönschöping, wie der Schwede die Stadt am Vätternsee ausspricht, finde ich nur einen Hinweis darauf, dass hier die WM-Hauptrunde ausgetragen wird. Schilder, die zum Campingplatz "Villa Björkhagen" führen, gibt es reichlich. Er sollte sich als Glücksgriff erweisen: Der Blick auf den See ist herrlich. Und, ein Zufall, die Halle ist nur 500 Meter entfernt.

So ging ich zu Fuß zur Arbeit und fand hinter dem Schwimmbad die WM-Stimmung. Horden isländischer Fans waren bester Laune, denn der Gegner schien ein leichter zu sein. Allerdings - meine Tochter Jule, die zeitgleich im Kieler Schloss beim Abschlussball um Preise tanzte, wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Sie hatte um Zwischenstände gebeten, die sie sich zurufen ließ, sobald sie bei Walzer und Foxtrott in die Nähe ihres Tisches kam. Beschwingt von den Zahlen wurde sie Zweite. Danke, Heiner Brand.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 24.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2011:

Spätes Ende
Schweden gegen Kroatien. Ich habe mich mit Kollegen verabredet, wir wollen dieses Spiel in einer Sportsbar sehen. Wie in jeder WM-Stadt gibt es auch hier einen Treffpunkt für die Fans. In Jönköping ist es der Nachtclub "Karlssons Salonger". Die Stimmung ist gemäßigt, der Bildschirm groß, und das Bier für hiesige Verhältnisse günstig.

Knapp fünf Euro kostet ein Spendrup's, trotz einer Mehrwertsteuer von 25 Prozent. Der Barkeeper erklärt, dass diese Sorte in Tankwagen angeliefert und aus einem 4000-Liter-Fass direkt ins Glas fließt. Ich entscheide mich für ein Paulaner Weizen, das knapp sieben Euro kostet.

Am Tresen sitzt, lässig im T-Shirt, Ljubomir Vranjes. Hier könne er unerkannt das Spiel verfolgen, sagt der Trainer der SG Flensburg, der uns das benachbarte "O'Leary's" empfiehlt. Dort würden sich die Schweden treffen. Südländisch ist die Begeisterung auch hier nicht, aber besser. Zumal die Gastgeber siegen.

Eine Stunde nach dem Abpfiff klingelt mein Handy, eine schwedische Nummer. Kim Andersson. Ich hatte ihn um einen Rückruf gebeten. Also meldet er sich, kurz nachdem er das WM-Halbfinale erreicht hat. Handballer eben. Als wir uns um Mitternacht voneinander verabschieden wollen, taucht plötzlich Johan Petersson auf und schleppt uns zurück ins "Karlssons". Hier wird inzwischen getanzt, Vranjes ist nicht mehr da. Petersson, der ehemalige Rechtsaußen des THW Kiel, arbeitet hier im Organisationsteam mit und hält offensichtlich viel von Rundumbetreuung. Um zwei Uhr geht das Licht an - und dann weiß auch Petersson keinen Rat mehr. Zum Glück.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 26.01.2011:

Tee mit Anett
Mein Wohnmobil ist ein Treffpunkt geworden. Wer am Vätternsee einen Spaziergang macht, hält auf einen Plausch an. Trinkt Kaffee, oder einen Jasmintee, wie Anett Sattler (27). Die kleinste Frau des Turniers ist der 1,55 Meter große Teil eines Duos, das Stefan Kretzschmar als Experte komplettiert. Sport1 hat sich für die Sparvariante entschieden, eine Frau und einen Mann gegen ein anderes Duo, ARD und ZDF.

Die Berlinerin verlässt die Halle deshalb oft als Letzte. Sie hält "Kretzsche" den Rücken frei, ist Kamerafrau und Cutterin in Personalunion, führt die Interviews nach dem Spiel. Als 14-Jährige schmückte sie ihr Zimmer mit Postern von Kretzschmar, "Blacky" Schwarzer und Daniel Stephan. Heute erlebt sie eine WM mit den Idolen von einst. Sie spielte zwei Jahrzehnte Handball, in Rangsdorf, einer Ortschaft südlich von Berlin. Als Rechtsaußen, aber auch auf der Mitte. Ihre Qualitäten, sagt sie, hätten aber eher darin bestanden, Geld für neue Hosen zu besorgen. Sie trainierte den achtjährigen Tobias Reichmann und kennt Christian Sprenger seit ihrer Kindheit, wuchs der doch im benachbarten Ludwigsfelde auf.

Bei den Kielern hat sie spätestens seit der jüngsten Meisterfeier bleibenden Eindruck hinterlassen. Im Kleid interviewte sie in Aschaffenburg, nach dem Sieg in Großwallstadt, Daniel Narcisse, während Filip Jicha ihr aus der Schale Bier in den Nacken goss. Weil sie die Ungerührte gab, entschieden sich die "Zebras" für die große Lösung und kippten gemeinsam alle Gläser über ihr aus. Erfolglos, Anett Sattler fragte weiter. Klatschnass.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 26.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2011:

Ab in die Sauna
Kurz nach dem Norwegen-Desaster fuhr ich durch den schwedischen Winter zurück nach Ahus, jenes Seebad in der Nähe von Kristianstad. Auf ein abschließendes Bier mit den deutschen Kollegen, die Schweden fluchtartig verlassen wollten, hatte ich verzichtet.

Die Promillegrenze liegt hier bei 0,2. Wer sie geringfügig überschreitet, muss den Führerschein abgeben und bis zu einem Jahr auf dessen Rückkehr warten. Wer sie deutlich übertrifft, muss, so ist zu lesen, mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe rechnen. Allerdings, so ist zu hören, sollen die Zellen einen gehobenen Standard haben.

Alkohol am Steuer konnte ich als Hindernis ausschalten, blieben die zahlreichen Blitzgeräte und die vielen Tiere. Zum Glück war den Wildschweinen klar gemacht worden, dass sie zum Überqueren der Straße nur einen bestimmten Korridor nutzen dürfen. Laut Beschilderung war der exakt 4,2 Kilometer lang. Fraglich ist nur, ob sie sich angesprochen fühlten, sahen sie doch aus wie Elche, nur ohne Geweih.

Begleitet wurde ich von einem Kollegen aus München, mit dem ich mir nun ein Häuschen auf dem Campingplatz teile, auf dem ich bereits die erste WM-Woche verbracht hatte. Nicole, die Chefin, hatte uns einen Schlüssel hinterlegt, so dass wir um Mitternacht noch einziehen konnten.

Da die deutsche Mannschaft sich vor dem schweren Spiel gegen Argentinien in ihrem Hotel in Kristianstad vergraben hat, fiel der Medientag als Treffpunkt für Journalisten und Spieler aus. Peinlich, aber irgendwie auch passend. Der Vorteil: Ich saß schon am frühen Abend in der Sauna.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2011:

Leere Tribünen
Deutschland spielt um Platz elf. Das wird spätestens auf dem Parkplatz vor der Kristianstad-Arena deutlich. In der Vorrunde war es stets eine knifflige Angelegenheit gewesen, für mein Wohnmobil eine Lücke zu finden. Gestern hätte ich hier mit einem Reisebus wenden können.

Auch in der Halle ist die Lage entspannt, die Kollegen begrüßen sich mit Handschlag. Eigentlich wollte ich die Franzosen in Malmö besuchen, die zeitgleich eine Plauderstunde mit Journalisten angesetzt hatten. Lustiger wäre es bestimmt gewesen, aber letztlich habe ich mich dagegen entschieden.

Dieses Spiel gegen Argentinien fühlte sich nach Abschied an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Heiner Brand zurücktreten wird. Da gehört es sich, einen Platz auf der leeren Tribüne zu füllen.

Viele sind nicht gekommen, die Stimmung ist gespenstisch. Der Lärmpegel wird von drei heißblütigen Fans der Argentinier und dessen Trainergespann, alle lässig in Jeans gekleidet, bestimmt. Kristianstad - das war die Rückseite der WM. Ohne große Emotionen. Aber nett, entspannt.

Ich werde die Stadt vermissen, dieses gemütliche Medienzentrum, dem ein Möbelhaus seine Fundgrube zur Verfügung gestellt hat. Besonders schick: Campingstühle mit Preisschild und Sofaecken mit Baldachin. In einer Turnhalle.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 29.01.2011:

Finales Kochen
Ich freue mich auf den Finaltag in Malmö. Noch weiß ich aber nicht, ob ich auch ein Ticket bekommen werde. Hätten die Deutschen es geschafft, wäre es kein Problem gewesen. Aber jetzt, als Reporter des Elften? Ich habe damit argumentiert, dass drei Spieler des THW Kiel dabei sein werden, dazu Filip Jicha, der als Welthandballer geehrt wird.

Der Weltverband (IHF) entscheidet darüber, aber er kann nicht antworten. Der Server steht in Kairo und wurde vorgestern Nacht von der Regierung abgeschaltet.

Gestern habe ich mit meinem Kollegen, mit dem ich mir eine Hütte in Ahus teile, erstmals richtig gekocht. Eine Wohltat nach zwei Wochen Tütensuppen und Ravioli-Dosen. Es mag als Prozess der Verweichlichung verstanden worden sein, dass ich mein Wohnmobil für ein paar Tage verlassen habe. Aber: Die Temperaturen sind stark gefallen, die zweite der drei Gasflaschen ist leer. Im Moment muss ich es nur auf Sparflamme heizen, um das Einfrieren der Leitungen zu verhindern. So bleibt eine Reserve für zwei kalte Nächte in Malmö. Da auch die Biervorräte erschöpft sind, habe ich den berüchtigten "Systembolaget" aufgesucht.

In Schweden hat der Staat das Alkohol-Monopol, wer Bier jenseits der 3,5-Prozent-Grenze kaufen will, muss in einen "Systemet" gehen, wie er im Volksmund heißt. Ich bin froh, kein Whiskey-Trinker zu sein. Ein Laphroaig kostet 419 Kronen (47 Euro), doppelt so viel wie in Deutschland. Der Preis für ein Weizenbier ist auch deutlich höher (2,40 Euro), aber am letzten Tag in Kristianstad ist es mir das wert.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 29.01.2011)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 31.01.2011:

Leiser Abschied
Vor 19 Tagen bin ich in Malmö angekommen. Leise, am frühen Morgen. Auf der Rundreise über Lund, Kristianstad und Jönköping erlebte ich die leise Seite der WM. Leere Hallen, wenig Feuer der Bevölkerung, aber viel Herzlichkeit. Nun also endlich würde ich das Zentrum erleben, die Hitze. Aber das Turnier bleibt sich auch hier treu. Ich kann mit meinem Wohnmobil bis zum Presseeingang der Malmö-Arena fahren und parke neben der riesigen Schüssel in einer Kiesgrube.

Einweiser gibt es nicht, jeder findet seinen Parkplatz selbst. In der Nacht zuvor habe ich erfahren, dass ich eine Finalkarte bekommen habe. Der Weltverband war nicht mehr in der Lage gewesen, die Journalisten zu informieren. Der Server steht in Kairo und die Internetverbindung nach Ägypten hat die Regierung vor Tagen gekappt. Aber der schwedische Verband war eingesprungen. Einen Campingplatz für die letzte Nacht in Schweden habe ich bereits gefunden, direkt an der Öresund-Brücke, zwei Kilometer von der Halle entfernt.

Tja, 19 Tage. Die Idee, in einem Wohnmobil zu reisen, war gut. An dieser Parallelwelt prallten die Leistungen der deutschen Mannschaft ab, meine Laune blieb bis zum Ende gut. Unvergessen wird mir dieser Blick bleiben, den ich auf den wunderschönen Vätternsee hatte. Unvergesslich auch, wie Nikola Karabatic gestern in den Katakomben im Trikot des Dänen Lars Christiansen Interviews gab, mit einer Flasche Bier in der Hand. Hej da Schweden, ich werde Dich vermissen.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 31.01.2011)


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