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19./20.01.2011 - Letzte Aktualisierung: 20.01.2011 WM 2011

Deutschland mit Beinahe-Debakel gegen Frankreich

Update #2 Spielbericht und KN-Bericht ergänzt ...

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat bei der Weltmeisterschaft in Schweden gegen Frankreich verloren und muss morgen gegen Tunesien eine deutliche Leistungssteigerung zeigen, will man das Vorrunden-Aus vermeiden. Gegen den Titelverteidiger hielt die deutsche Mannschaft 20 Minuten lang gut mit, dann jedoch ergab sie sich ihrem Schicksal. Am Ende gewannen die Franzosen, bei denen Thierry Omeyer und Jerome Fernandez überzeugten, mit 30:23 (13:10). Das Resultat schmeichelte dem Team von Heiner Brand, das fünf Minuten vor dem Ende noch mit zehn Toren in Rückstand gelegen hatte.
Bester deutscher Werfer war Michael Kraus mit 7/2 Toren, Christian Sprenger war einmal erfolgreich, Dominik Klein kam in der 38. Minute beim Stand von 12:18 in die Partie und erzielte keinen Treffer mehr.

Brand begann gegen Frankreich überraschend mit Silvio Heinevetter für den gegen Spanien überragenden Johannes Bitter im Tor. Außerdem ersetzte er Michael Haaß durch Michael Kraus, Holger Glandorf musste Adrian Pfahl weichen.

Die Deutschen kamen hellwach aus der Kabine, sie machten von Beginn an Druck. Preiß, Sprenger und noch zweimal Preiß sorgten bei Gegentreffern von Accambray und Karabatic für eine 4:2-Führung (9.). Doch schon zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass die Deutschen vor allem aus dem Positionsspiel ihre Probleme gegen die gut eingestellte Defensive der Franzosen und auch Omeyer in deren Tor haben würden. Kraus und Hens agierten druck- und glücklos, zu den Lichtblicken gehörte lediglich Pfahl, der das DHB-Team noch zweimal mit jeweils einem Treffer in Führung brachte. Das 7:6 in der 16. Minute stellte dann aber eine Wende zum Negativen im Spiel der deutschen Mannschaft dar: Nach Abalos Ausgleich, bei dem der Rechtsaußen ungeahndet im Kreis stehend werfen durfte, drosch Pfahl den Ball an die Latte, Fernandez machte das 8:7 (21.), Barachet verwandelte einen Tempogegenstoß zum 9:7, Fernandez sperrte Accambray den Weg zum 10:7 frei (23.). Brand reagierte mit einer Auszeit, brachte Kaufmann für den erneut enttäuschenden Hens. Der Bald-Flensburger traf nach sechs Minuten deutscher Torflaute zum 8:10-Anschluss, doch die Franzosen konterten eiskalt: In Überzahl erzielten Fernandez, Guigou und wenig später Karabatic drei Tore in Folge und damit das 13:8 für den Titelverteidiger. Doch die letzten drei Minuten der ersten Hälfte gehörten noch einmal den Deutschen: Kraus machte per Siebenmeter sein erstes Tor nach zuvor vier Fehlversuchen, und Kaufmann nährte die DHB-Hoffnungen mit dem 10:13-Anschluss.

Nach dem Wechsel wollten die Deutschen unbedingt verkürzen - jetzt mit Glandorf im Angriff. Doch der Lemgo spielte einen fatalen Fehlpass, den Guigou zum 15:11 für Frankreich verwandelte. Es folgte ein toller Fernandez-Pass auf Gille zum 16:11 und ein Paraden-Festival von Omeyer gegen Hens. Trotzdem verkürzten die Deutschen auf 12:16, Kraus mit seinem ersten Feldtor nach 34 Minuten sollte zur Attacke blasen. Diese wurde jedoch ebenso schnell wieder abgeblasen, weil Frankreich einen Tor-Viererpack nachlegte, von dem sich die DHB-Auswahl nicht mehr erholte. Beim 20:12 (43.) war die Partie faktisch entschieden: Kraus und Hens trauten sich nicht mehr, aufs Tor zu werfen. Und wenn doch mal etwas in Richtung Omeyer kam, fischte sich der Kieler Kult-Torhüter einen Ball nach dem nächsten. Auf der anderen Seite agierte Heinevetter genauso unglücklich wie die Abwehr vor ihm, die mit fortschreitender Spieldauer in ihre Einzelteile zerfiel. Doch wie zuvor gegen Spanien war die hohe Fehlerquote im Angriff entscheidend: Während Frankreich bis zur 45. Minute aus 34 Würfen 21 Tore gemacht hatte, waren es bei der gleichen Anzahl Versuchen auf der deutschen Seite nur 14 Treffer.

13 Minuten vor dem Ende wandten sich auch die letzten der vielen hundert deutschen Fans in Kristianstad und vor der Großbildleinwand im Kieler Hauptbahnhof mit Grausen vom Spielgeschehen ab: Ein Fehlpass- und Ungenauigkeiten-Festival "krönte" Hens mit einem Stürmerfoul - jetzt konnte es für die DHB-Auswahl nur noch darum gehen, ein Debakel abzuwenden. Doch die Energie und Konzentration war längst dem Frust gewichen: Beim Stand von 16:25 nahm Brand seine letzte Auszeit - acht Minuten vor dem Ende appellierte er an die Ehre seiner Mannschaft, sich nicht "zerfetzen" zu lassen. "Kämpft mal, so geht das nicht", rief ein erboster Brand. Seine Worte verhallten ungehört: Beim 28:18 (54.) durch Fernandez hatten die Franzosen erstmals zehn Tore vorgelegt. Gut nur, dass Onesta nun seine Ergänzungsspieler auf die Platte beorderte und seine Defensive auf einen "Nicht-Angriffs-Pakt" einschwor, was Kraus immerhin noch zu vier Toren und einer schmeichelhaften Resultatsverbesserung nutzte.

Nach der Partie war Bundestrainer Heiner Brand bedient - wohl auch, weil nun die Kritik an seiner Arbeit nach dem jetzt schon enttäuschenden WM-Turnier lauter werden dürfte. "Die erste Halbzeit war sehr gut erträglich", sagte Brand nach der Partie. "Wir haben bloß zu viele Gegenstöße kassiert. Das 10:13 zur Pause war in Ordnung." Nach der Pause seien dann alle Dämme gebrochen, so der Bundestrainer weiter. "Das geht nicht. Aber das Ergebnis spiegelt den Leistungsunterschied zwischen meiner Mannschaft und den Franzosen wider. Das müssen wir akzeptieren und nicht irgendwelchen Hirngespinsten hinterher jagen."

Weiter geht es für die DHB-Auswahl am Donnerstag um 18.30 Uhr mit dem Spiel gegen Tunesien. Um sich für die Hauptrunde zu qualifizieren, darf die deutsche Mannschaft dieses Spiel nicht höher als mit vier Toren verlieren. "Ich habe in der Schlussphase einige meiner Spieler geschont, damit sie ausgeruhter in die Partie gegen Tunesien gehen und wir uns für die Hauptrunde qualifizieren", erklärte Brand. "Wir müssen positiv an diese Partie heran gehen." Im Handballbahnhof Kiel wird erneut ein Public Viewing angeboten.

(Christian Robohm)

 

Lesen Sie auch den ausführlichen Spielbericht der Kieler Nachrichten.

Gruppe A, 4. Spieltag: 19.01.11, Mi., 18.15: Deutschland - Frankreich: 23:30 (10:13)

Flagge GER Deutschland:
Bitter (n.e.), Heinevetter (1.-60., 10 Paraden); Hens (2), Gensheimer, Roggisch, Klein, Pfahl (2), Preiß (3), Heinl, Glandorf (2), Christophersen, Kraus (7/2), Sprenger (1), Kaufmann (5), Haaß, Groetzki (1); Trainer: Brand
Frankreich:
Omeyer (1.-55., 14 Paraden), Karaboue (55.-60., 0 Paraden); Fernandez (4), Dinart, Accambray (5), Karabatic (4), Abalo (4), B. Gille (4), Barachet (3), Sorhaindo (2), Guigou (2), Joli (1/1), Honrubia (1), Roine (n.e.), Bingo (n.e.), Junillon (n.e.); Trainer: Onesta
Schiedsrichter:
Horacek / Novotny (Tschechien)
Zeitstrafen:
Deutschland: 5 (Preiß (24.), Kraus (41.), 2x Kaufmann (43., 48.), Haaß (49.));
Frankreich: 2 (2x B. Gille (44., 47.))
Siebenmeter:
Deutschland: 3/3;
Frankreich: 2/1 (Heinevetter hält Guigou (19.))
Spielfilm:
1. Hz.: 0:1 (5.), 3:1 (8.), 4:2, 4:4, 7:6 (16.), 7:10 (23.), 8:10, 8:13 (27.), 10:13 (29.) ;
2. Hz.: 10:14, 12:16 (34.), 12:20 (43.), 14:21 (45.), 15:22, 15:24 (50.), 17:25 (52.), 18:26, 18:28 (54.), 20:30 (58.), 23:30.
Zuschauer:
4500 (ausverkauft)(Kristianstad Arena, Kristianstad (SWE))

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2011:

Grinsende Muskelberge

Frankreich erteilt Deutschland eine bittere Lektion - Heiner Brand: "Das war desolat"
Kristianstad. Der 19. Januar 2011 wird der deutschen Nationalmannschaft noch lange in Erinnerung bleiben. Nach der blamablen 23:30 (10:13)-Niederlage gegen Frankreich muss das Team von Heiner Brand um den Einzug in die Hauptrunde bangen. Gegen Tunesien reicht heute Abend (18.30 Uhr/live ZDF) im letzten Gruppenspiel ein Unentschieden, aber das fühlt sich seit gestern trotzdem als hohe Hürde an.

Die Kristianstad-Arena war erstmals ausverkauft, 4500 Zuschauer sorgten für ein Fest. Ein kleines, aber immerhin. Sie wurden eine Weile gut unterhalten, weil die Deutschen überraschten. Brand hatte sich offenbar viele Gedanken gemacht. So stellte er Oliver Roggisch in die erste Sieben, derzeit einer der wenigen, die eine Mannschaft mit Strom versorgen können. Im Tor stand der gute Silvio Heinevetter, obwohl bei der Spanien-Niederlage noch Johannes Bitter geglänzt hatte. Als Regisseur durfte sich Michael Kraus versuchen. Den Hamburger, den Brand zuletzt so stark kritisiert hatte.

Die Franzosen konnten ihre Videos, die sie von den ersten Spielen angefertigt hatten, wegwerfen. Sie waren ohne Wert. Aber nach einer Viertelstunde hatten sie entschieden, dass es gegen diesen Gegner wohl genügt, sich auf die eigenen Stärken zu verlassen. Der Eindruck verfestigte sich, dass jeder Franzose muskulöser, breiter, selbstbewusster war. Vielleicht lag es an den engen Trikots. Wahrscheinlich ist aber, dass es einfach so ist. Beispielhaft die Szene in der 38. Minute, als Holger Glandorf sich Nikola Karabatic in den Weg stellte. Ein Fehler, traf der Ex-Kieler doch trotzdem ungerührt zum 17:12, den 92 Kilogramm schweren Deutschen schleppte er als leichtes Marschgepäck einfach mit.

"Das war ein Klassenunterschied, mit ihnen dürfen wir uns nicht auf eine Stufe stellen", fasste THW-Linksaußen Dominik Klein ein Debakel zusammen, das auf dem Weg in die Geschichtsbücher war. Die höchste Niederlage gegen Frankreich ist erst drei Jahre alt, Schauplatz war die EM 2008 in Norwegen (26:36). Diesmal führte der Weltmeister bereits nach 53 Minuten mit zehn Toren (28:18). Jerome Fernandez hatte einen herrlichen Pass des Linkshänders Xavier Barachet vom Kreis aus ins Tor gesetzt. Mit einem breiten Grinsen lief der Kapitän zurück. Freude über einen schönen Treffer, Freude darüber, den ersten richtigen WM-Test so entspannt bestanden zu haben. "Die Deutschen haben alles für den Sieg gegeben", sagte der Kieler Fernandez. Er ist eben ein Gentleman, einer, der Besiegte nicht verhöhnt. "Sie haben starke Rückraumspieler, aber unsere Abwehr hat nicht zugelassen, dass sie auch werfen konnten."

Ratlos umkreisten Pascal Hens und Co das französische Bollwerk, kaum einer fand den Mut, sich in diese Muskelberge zu stürzen. Kraus enttäuschte einmal mehr, Hens gelang gar nichts, und so nahm für eine kopflose deutsche Mannschaft eine bittere Lehrstunde ihren Lauf. Hätten die Franzosen in den Schlussminuten ihre Stammformation, inklusive Thierry Omeyer, nicht auf die Bank gesetzt, wäre dieser Tag doch noch ein historischer geworden.

Brand war auch so restlos bedient. Er riet seiner Mannschaft, sich zügig an einen Tisch zu setzen, um darüber nachzudenken, wie sie sich künftig präsentieren will. "So wie gegen Frankreich in der zweiten Halbzeit geht es nicht. Das war desolat." Das sagte er zweimal.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2011)


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