Die deutsche Handball-Nationalmannschaft ist mit einem Sieg in die Hauptrunde der
Handball-Weltmeisterschaft in Schweden gestartet: Gegen Island zeigte
die Mannschaft von Bundestrainer Heiner Brand in Jönköping ihre bisher beste Turnierleistung
und gewann verdient mit 27:24 (15:13). Basis des Erfolgs war eine aufopferungsvoll kämpfende
Abwehr, die vor allem den isländischen Rückraum zeitweise zur Verzweiflung trieb.
Großen Anteil
am Sieg hatten die beiden Kieler
Christian Sprenger und
Dominik Klein:
Sprenger erzielte fünf Treffer
und war gemeinsam mit
Sebastian Preiß bester Torschütze der
deutschen Mannschaft.
Klein kam 20 Minuten vor Schluss, rackerte in
der Abwehr gegen Stefansson und den überragenden Isländer Petersson (7 Tore) und markierte
in der spannenden Schlussphase drei der letzten vier Treffer der DHB-Auswahl. Die kann sich nun
wieder berechtigte Hoffnungen auf die Teilnahme an der Olympia-Qualifikation machen, für die sie
mindestens Platz sieben erreichen muss.
Aron Palmarsson setzte in der ersten Halbzeit Akzente für die isländische
Aufholjagd und erzielte dabei zwei Tore. In der zweiten Hälfte war Palmarsson
jedoch gegen die starke deutsche Abwehr chancenlos.
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Starker Rückhalt: Silvio Heinevetter parierte 13 Bälle.
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Mit Wurfpech startete die deutsche Mannschaft in dieses wichtige erste Spiel der Hauptrunde. Auf
der Gegenseite bekam man Kreisläufer Gunnarsson nur schwer in den Griff - die Folge war ein 0:2-Rückstand.
Mehr als vier Minuten dauerte es, bis das DHB-Team zum ersten Mal einnetzen konnte: Kraus verwandelte
einen Siebenmeter sicher und gab damit das Startsignal für sechs ganz starke Minuten seiner Mannschaft.
Auf einmal lief es rund, Heinevetter hielt, die Abwehr ackerte - und vorne wurde konsequent abgeschlossen.
Der starke
Preiß, Hens mit einem Hammer, nochmal Kraus von der Siebenmeterlinie,
Pfahl und
Sprenger per Tempogegenstoß: Mit 6:2 führten die Deutschen nach elf Minuten,
eine Serie, die Sicherheit gab. Und die die Isländer so verunsicherte, dass sie bereits nach zehn Minuten
die erste Auszeit nahmen. Sicherheit gab auch, dass
Sprenger mit einem grandiosen
Doppelschlag die aufkommenden Isländer auf Distanz hielt. Als Kraus nach 21 Minuten das 13:8 erzielte,
schienen die Deutschen auf einem guten Weg. Doch Torhüter Gustavsson und einige Unkonzentriertheiten ließen Island
herankommen: Nach Hens' Tor zum 15:11 (27.) traf Deutschland nicht mehr, Stefansson und
Sigurdsson brachten
dafür den Olympia-Zweiten und letztjährigen EM-Dritten beim 15:13-Halbzeitstand für Deutschland wieder in
Schlagdistanz.
Die zweite Hälfte begannen die Deutschen nervös:
Preiß scheiterte zweimal
freistehend, und auch
Sprenger konnte seinen ersten Wurf nicht an
Gustavsson vorbei bringen. Doch auch die Isländer zeigten Nerven und konnten aus der deutschen
Schwäche zunächst kein Kapital schlagen. Nach
Sprengers 17:14 (36.) robbten
sich die bisher stets siegreichen Isländer Tor um Tor heran: Vor allem Petersson war nun kaum
zu bändigen, der für die Füchse Berlin spielende Rechtsaußen traf aus allen Lagen.
Sigurdsson war es,
der beim 17:18 den Anschluss herstellte. Brand reagierte und brachte
Klein
für Gensheimer und Glandorf für den müde werdenden Pfahl. Ein Schachzug, der sich auszahlen sollte.
Nachdem Stefansson per Siebenmeter den 18:18-Ausgleich (42.) erzielt hatte, war es Glandorf, der
sein Herz in die Hand nahm und für die anderen Rückraumspieler, die sich gegen die offensive
Abwehr der Isländer aufgerieben hatten, in die Bresche sprang: Sein Hammer zum 19:18 und
Sprengers
Heber zum 20:18 brachten wieder Ruhe ins deutsche Spiel, mit Glück traf Glandorf dann nach torlosen
vier Minuten zum 21:19 (47.). Haaß vergab freistehend vor Gustavsson die große Chance, den
Vorsprung auf drei Tore auszubauen. Doch anders als gegen Spanien war das nicht der Bruch im Spiel.
Die deutsche Mannschaft kämpfte weiter, Glandorf erzielte das wichtige 22:19, und dann hatte Heinevetter
seinen großen Auftritt: In Unterzahl kassierte er zwei freie von den Außen ein, erneut Glandorf erhöhte
auf 23:19 (54.). Islands Coach Gudmundsson nahm die Auszeit, die von der deutschen Bank und den
mit Adrenalin vollgepumpten Spielern bejubelt wurde. Als Klein vier Minuten
vor dem Ende einen Tempogegenstoß sicher verwandelte, war dies der Auftakt für eine rasante Schlussphase
mit Toren im Minutentakt. Glandorf traf mit seinem fünften Wurf zum ersten Mal nur den Pfosten, im Gegenzug
verwarf Petersson freistehend. Gegen die offene Deckung der Isländer war es Klein,
der die Schlusspunkte setzte: Zweimal lief er clever an den Kreis ein, zweimal traf der Kieler Linksaußen.
Spätestens nach dem 27:23 (59.) war nur noch Jubel in der deutschen Mannschaft. Auch Heiner Brand war
die Freude ins Gesicht geschrieben. "Das war ein enges Spiel, bei uns hat vieles geklappt", analysierte
der Bundestrainer. "Wir haben heute von Anfang an eine sensationelle Einstellung gezeigt, über 60 Minuten
konzentriert gespielt, jeder hat für den anderen gekämpft. So kann es weiter gehen."
Am Montag spielt die deutsche Mannschaft in der Hauptrundengruppe I gegen Ungarn.
Anwurf in Jönköping ist um 18.30 Uhr. Am
Dienstag dann trifft das DHB-Team um 16.15 Uhr auf Norwegen. Beide Spiele werden auch beim
Public Viewing in Deutschlands einzigem "Handballbahnhof" live und auf Großbildleinwand
gezeigt.
(Christian Robohm)
Lesen Sie auch den ausführlichen Spielbericht der Kieler Nachrichten.
Deutschland:-
Bitter (n.e.), Heinevetter (1.-60., 13 Paraden);
Hens (2), Gensheimer, Roggisch, Klein (3),
Pfahl (2), Preiß (5), Heinl, Glandorf (4), Christophersen (n.e.),
Kraus (4/2), Sprenger (5), Kaufmann, Haaß (1), Groetzki;
Trainer: Brand
Island:-
Gustavsson (1.-60., 14 Paraden, H. Gudmundsson; Svarvarsson, Palmarsson (2),
Ingimundarson, Hallgrimsson, Atlason (4), Olafsson, Sigurdsson (2), Gudjonsson, Stefansson (4/2),
Petersson (7), Jakobsson, Gunnarsson (5), Sveinsson, Kristjansson; Trainer: G. Gundmundsson
- Schiedsrichter:
-
Nikolic / Stojkovic (Serbien)
- Zeitstrafen:
-
Deutschland: 3 (2x Haaß (22., 37.), Klein (52.));
Island: 2 (Hallgrimsson (29.), Jakobsson (34.))
- Siebenmeter:
-
Deutschland: 3/2 (Gustavsson hält Kraus (41.));
Island: 2/2
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 0:2 (4.), 6:2 (11.), 6:4 (13.), 9:4 (15.), 10:7 (19.), 12:7 (20), 13:8 (21.), 13:10,
15:11 (27.), 15:13 (29.);
2. Hz.: 16:13, 17:14 (37.), 18:16 (38.), 18:18 (42.), 20:19 (44.), 24:19 (56.), 25:21 (57.), 26:22 (59.),
27:23.
- Zuschauer:
-
7000 (Kinnarps Arena, Jönköping (SWE))
Aus den Kieler Nachrichten vom 24.01.2011:
"Jetzt ist alles möglich"
Mit dem Sieg über Island feiert die deutsche Mannschaft ihre Rückkehr ins Turnier
Jönköping. Nach dem Zusammenstoß mit dem
Weltmeister war die deutsche Nationalmannschaft
in ihre Einzelteile zerfallen. Doch noch in
der Nacht nach der 23:30-Lehrstunde gegen Frankreich setzten sich
die Gedemütigten an einen Tisch und beschlossen,
es noch einmal miteinander zu versuchen.
Nach Tunesien (26:36) musste am Sonnabend
auch Island (24:27) erfahren, dass die
Deutschen nicht mehr länger das Kaninchen sein wollen.
Ob sie den Gegner unterschätzt hätten? Eine Frage,
die Gudjon Valur Sigurdsson herzhaft lachen ließ. "Die ist
gut, die merke ich mir." Der Linksaußen der Rhein-Neckar
Löwen war relativ fassungslos, derartiges beantworten
zu müssen. "Island unterschätzt die Deutschen -
das ist wirklich lustig." Sicher, sie hätten die Ereignisse
mitbekommen. Aber Frankreich und Spanien seien zwei
der vier weltbesten Teams, so überraschend wären die Niederlagen
deshalb nicht.
Der Ruf, den die Mannschaft von Heiner Brand genießt,
ist offenbar noch ein guter. Im ersten Spiel der Hauptrunde
bewies sie in Jönköping nun, dass ihr Abschied aus der
Weltspitze zumindest kein freier Fall ist. "Hätten wir vor
dem Spanien-Spiel gewusst, zu was wir fähig sind, hätten
wir das gewonnen", sagte Michael Kraus, der die jüngste
Kritikwelle größtenteils als ungerecht empfunden hatte.
"Das ist mir richtig auf den Zeiger gegangen." Aber: Ein
richtiger Rückschlag könne auch positiv sein. "Wir haben
kräftig Lehrgeld bezahlt, jetzt ist wieder alles möglich."
Nach einer Viertelstunde lagen die Isländer, mit vier
Punkten in die zweite Gruppenphase gestartet, bereits
4:9 zurück. "Wir wollten schnell spielen", sagte Kiels
Linksaußen Dominik Klein, der nach einem schönen Zuspiel
seines Vereinskollegen Christian Sprenger mit dem 27:23 (59.)
für die Entscheidung gesorgt hatte. "Immer
wenn Heine den Ball nur um Sekundenbruchteile zu lang
festgehalten hat, sprang sofort die ganze Bank auf." Heine
- das ist Torhüter Silvio Heinevetter. Bank - darauf
saßen die, die in diesem Moment nicht eingesetzt wurden,
aber trotzdem mitfieberten. Die zuletzt so leblose Mannschaft
hatte offensichtlich eine neue Energiequelle gefunden.
Das Island-Spiel, so Sprenger, könnte eine Geburtsstunde
gewesen sein. "Wir haben immer an den
Sieg geglaubt und uns auch nach dem 18:18 nicht aus der
Ruhe bringen lassen."
In der 40. Minute stand die Partie tatsächlich auf der
Kippe. Olafur Stefansson ("Sie waren besser, der Sieg
einigermaßen verdient") hatte ausgeglichen und die deutschen
Fans befürchteten die Wende. Zu logisch schien sie,
waren Kraus und Co zuletzt doch zu labil gewesen. Aber
ausgerechnet Holger Glandorf, der nun eingewechselt
wurde, beendete mit vier herrlichen Toren das Wanken.
"Wir hatten uns vorgenommen, mit Spaß und Mut zu
spielen. Weniger verbissen zu sein." Wie das Verbissene sich
über Nacht abstreifen lässt, das verriet er nicht.
Brand lobte den schlaksigen Linkshänder. Er hätte gemacht,
was er bisher nicht gemacht hätte. Den Sieg wollte
der Bundestrainer trotz großer Zufriedenheit nicht überbewertet
wissen. "Wir haben in diesem Spiel wahrscheinlich
unsere Grenze erreicht. Aber es ist gut, das einmal geschafft
zu haben." Ob seine Mannschaft in der Lage sei,
diese Leistung zu wiederholen, werde die Zukunft zeigen.
Die beginnt heute um 18.15 Uhr, Gegner ist Ungarn.
(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 24.01.2011)