Aus den Kieler Nachrichten vom 15.01.2009:
Am Tag vor dem Beginn der
Weltmeisterschaft in Kroatien sprach Reimer
Plöhn für die Kieler Nachrichten mit Bundestrainer Heiner Brand über die Chancen des Titelverteidigers
beim Turnier, die wahren Favoriten und den Umbau im deutschen Team.
- Kieler Nachrichten:
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Und täglich grüßt das Murmeltier. Entsprechend dem Kinoklassiker
reisen die deutschen Handballer wieder einmal mit
Verletzungssorgen zu einem großen Turnier. Jetzt fällt Ihr
Spielmacher "Mimi" Kraus mit einem Muskelfaserriss in der
Wade aus. Mit welchen Gefühlen starten Sie in die WM, Herr
Brand?
- Heiner Brand:
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Zu der Verletzung kann ich
wenig sagen, das müssen die
Ärzte beurteilen. Kraus wird
aber mit nach Kroatien reisen, auch wenn er zunächst
nicht zur Verfügung steht. Nach seiner langen Verletzung
war er ohnehin nicht in bester Verfassung. außerdem
kann Martin Strobel für Kraus als Spielmacher einspringen.
Alles ist in der Schwebe, die Entscheidung
fällt vor Ort. Die jetzige Situation
ist aber noch bitterer als die vertrackten Voraussetzungen
der Vergangenheit. Damals hatten wir eine eingespielte
Mannschaft mit einigen Alternativen. Diese fehlen
aktuell völlig.
- Kieler Nachrichten:
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Vor einigen Monaten haben Sie
die Handball-Fans mit der Bemerkung
verschreckt, Titelverteidiger
Deutschland wäre nur noch Weltmeister auf dem Papier,
in einigen Zeitungen werden
Sie aber mit der WM-Vorgabe
"Halbfinale" zitiert. Das hört
sich wieder positiver an.
- Heiner Brand:
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Stimmt so aber nicht. Eine
Zielvorgabe Halbfinale habe ich nie ausgegeben. Ich weiß,
dass es ein ganz schweres Turnier wird. Wir müssen uns
hineinkämpfen und sehen was draus wird. Im Prinzip
habe ich eine gute Mannschaft beisammen, allerdings trägt
sie den Stempel Zukunft. Viele meiner jungen Leute werden
2012 bei Olympia erst richtig voll im Saft stehen,
noch fehlt ihnen die nötige Erfahrung.
In Kroatien sollten wir erst einmal in der Vorrunde
genügend Spiele gewinnen, um unter die ersten Drei zu
kommen und die Hauptrunde zu erreichen. Das ist schon
keine Selbstverständlichkeit. Die Stärken der Russen und
Polen sind bekannt, Tunesien
wird von einigen Trainern als Geheimfavorit gehandelt,
und Mazedonien kann an einem guten Tag jede Mannschaft
schlagen. Erst kürzlich lag Island zehn Minuten vor
Schluss mit zwölf Toren gegen dieses Team zurück. Nein,
Fakt ist, dass wir jedes Spiel ernst nehmen müssen.
- Kieler Nachrichten:
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Von der Weltmeistermannschaft 2007 fehlen mit Klimowets,
Fritz und Schwarzer ganz wichtige
Abwehrstützen. Ist die Deckung der Schwachpunkt im Team?
- Heiner Brand:
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Im Gegenteil. In der Vorbereitung
stand die Abwehr gut, alle drei Torhüter, Bitter, Lichtlein
und Heinevetter, waren sehr stark. Schwächen haben
wir zur Zeit vorne. Die Mannschaft
ist im Umbruch und angewiesen auf so wichtige
Kräfte wie Pascal Hens und Mimi Kraus. Beide waren
oder sind verletzt, das wirkt
sich leider aus.
- Kieler Nachrichten:
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Routiniers wie Fritz, Kehrmann,
Baur und Schwarzer sind nicht mehr im Kader. Die Hierarchie
ist aufgelöst. Gibt es schon neue Leithammel im Team, die auf
den Tisch hauen?
- Heiner Brand:
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Natürlich kann man Spieler
mit dieser großen Erfahrung nicht von heute auf morgen
ersetzen. Ich kann nicht zu einem der Nachfolger hingehen
und sagen: mach du es mal. Nein, das muss wachsen. Aber
Leute wie Kraus, Glandorf, Bitter oder Hens haben sich
allein durch ihre guten Leistungen Respekt im Kader erworben.
Intern machen die schon den Mund auf. Eine
neue Hackordnung hat sich entwickelt, ohne dass sich ein
neuer Leitwolf, wie es zum Beispiel Markus Baur war, herauskristallisiert
hätte.
- Kieler Nachrichten:
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Welche Teams sind Ihre WM-Favoriten?
- Heiner Brand:
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Natürlich die Franzosen, die individuell sicher am stärksten
auf der Welt besetzt sind.
Zum Beispiel die Kieler, Nikola Karabatic und
Thierry Omeyer, die an guten Tagen
ein Spiel allein entscheiden
können. Ganz hoch sind auch die Kroaten einzuschätzen,
die werden sich mit Schaum vorm Mund in die Spiele stürzen.
Auch Dänemark ist als Europameister eine Option,
mit Spanien rechne ich nicht.
- Kieler Nachrichten:
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Was wäre für Sie das Horrorszenario
bei diesem Turnier?
- Heiner Brand:
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Dass wir in der Vorrunde ausscheiden.
Das ist zwar nicht ausgeschlossen, aber wir werden
kein Spiel kampflos abgeben und uns Stück für Stück
ins Turnier hineinarbeiten. Leichte Siege, davon bin ich
überzeugt, wird es für uns überhaupt nicht geben. Gegen
eine positive Überraschung hätte ich allerdings auch
nichts einzuwenden.
(Das Gespräch führte Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 15.01.2009)