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29.09.2012 Bundesliga / Mannschaft

Kieler Nachrichten: Abpfiff: Die deutsche Jagd auf Dauersieger

Aus den Kieler Nachrichten vom 29.09.2012:

Wer Google beauftragt, einen Zusammenhang zwischen "THW Kiel" und "Langeweile" zu finden, erhält 306 000 Vorschläge. Nicht alle beschäftigten sich mit der Dominanz des Meisters, der vor 513 Tagen zum letzten Mal in der Handball-Bundesliga verlor. Der, das Finale um den Super Globe ausgeklammert, seit einem Jahr gar nicht mehr verloren hat.
Es finden sich Einträge zu den Auszubildenden eines Kieler Einkaufszentrums, die ein Wochenende unter dem Motto "Hassee ist Klasse" organisiert haben. Dabei durfte der Ortsverband des Technischen Hilfswerks (THW) nicht fehlen, der mit Aktionen für Jung und Alt die Langeweile vertrieb. Es war zu lesen von Christian Sprenger, Rechtsaußen des THW Kiel, der von seiner Internatszeit berichtet. Davon, dass er aus Langeweile mit dem Lernen begann und so ein guter Schüler wurde.

Das Gros der Vorschläge dreht sich aber um die Sorge, dass der THW auf seinem Überflug weiterhin vergessen wird, das eine oder andere Mal zu landen. Es schwingt Schadenfreude mit, wenn die "Welt" das Remis vor knapp zwei Wochen in Berlin (26:26) mit "THW endlich kielgeholt" betitelt. Für die "taz" war der erste Punktverlust nach 40 Liga-Siegen ein "Ergebniskratzer". Die "Berliner Morgenpost" wollte vor dem Gastspiel des Triple-Siegers gar eine "Sehnsucht nach Abwechslung" erkannt haben, die "FAZ" hatte die im Profisport einmalige Siegesserie zuvor in einen "Durchmarsch der Spielverderber" verwandelt. Aber nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung machte sich zuletzt ein ungewöhnlicher Umgang mit der besonderen Leistung dieses Teams breit. Auch die Manager der anderen Clubs sprachen von Langeweile und Play-offs, die Alleingänge des THW Kiel verhindern sollen.

Wie verzerrt das Bild ist, verdeutlichte am Dienstag eine Agenturmeldung, die den mühsamen Heimsieg der Kieler gegen einen starken SC Magdeburg (33:30) als "Rückkehr in die Erfolgsspur" bezeichnete. Als sei es ein Misserfolg, in Berlin, bei einem Mitkonkurrenten um die Meisterschaft, einmal nicht gewonnen zu haben.

Bei der Verbindung zwischen "THW Kiel" und "Langeweile" ist der Blick für das Detail abhanden gekommen. Sicher, die Kieler haben in der vergangenen Saison alle Titel gewonnen. Das gelingt aber nur, wenn auch das Glück mitspielt. So wie im Halbfinale der Champions League, als Henrik Lundström in der letzten Sekunde einen Hüftwurf von Alexander Petersson blockte. Es wäre das 25:25 gewesen. Oder im Pokal-Finale, als Flensburg ein gleichwertiger Gegner war.

In vielen Spielen senkte sich zudem erst in den letzten Minuten die Waagschale zu Gunsten der Kieler. Das war in der Liga unter anderem in Wetzlar, Magdeburg, Mannheim und Gummersbach so. Das war in der Champions League im Viertelfinal-Hinspiel in Zagreb so, als der THW ein 13:20 (36.) noch in ein 31:31 verwandelte. Warum das so ist? Weil in Kiel mehr und härter trainiert wird als anderswo. Weil Trainer und Mannschaft davon besessen sind, jedes Spiel zu gewinnen. Wer mit Alfred Gislason telefoniert, erwischt ihn in der Regel dabei, wie er Videos künftiger Gegner studiert. Nicht selten gähnt er bei diesen Gesprächen, weil er seit Stunden nichts anderes macht.

Offensichtlich ist bei der Betrachtung der Zahlen auch, dass die Kieler in Rückspielen oft die besseren Antworten haben, weil sie sich intensiver vorbereiten. Weil auch die Spieler heiß darauf sind, Lösungen zu finden. "Uns muss keiner motivieren", sagt Daniel Narcisse. "Wir kümmern uns nur um Taktik." Es spricht Bände, wenn ein Filip Jicha davon träumt, endlich einmal ein perfektes Spiel abzuliefern. Oder ein Marcus Ahlm in jedes Training mit der Wissbegier eines Schülers startet, obwohl er längst ein Meister ist. Oder.... Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.

In Amerika würden Gislason & Co als Attraktionen von einer Gala zur nächsten gereicht. Jeder Boulevard sich darum reißen, ihre Hände verewigen zu dürfen. Wahrscheinlich hätten die "Zebras" dort längst ihre eigene Show. Sicher, auch in Amerika hätte jeder Club das Ziel, sie zu schlagen. Diese Jagd aber würde mit mehr Sportsgeist, weniger Neid und ohne dieses sehnsüchtige Warten auf das Stolpern betrieben worden, das hier für den Umgang mit Siegern typisch zu sein scheint.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 29.09.2012)


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