Die bisherige Bundesligabestmarke mit 62:6 Punkten
des TBV Lemgo aus der Saison 2003 ist nur noch Geschichte. Durch einen ungefährdeten
43:28 (21:14)-Erfolg des THW Kiel beim Zwangsabsteiger TuSEM Essen werden die Zebras sich
nach einer beeindruckenden Saison mit der Verteidigung des Doubles aus Meisterschaft
und Pokal auch noch diesen Rekord schnappen. Beim TuSEM, der nach der Anmeldung der Insolvenz
nahezu alle seine bundesligatauglichen Spieler verlor, war
Kim Andersson
mit 12 Toren erfolgreichster
Werfer.
Die Zebras waren direkt von ihrem Mallorca-Kurztrip, auf dem sich die Mannschaft vor allem
von Kapitän
Stefan Lövgren verabschiedete, via Flughafen
Düsseldorf mit dem Mannschaftsbus zur altehrwürdigen Grugahalle gebracht worden. Erstaunlich
frisch entstiegen die Kieler dem Bus, nur
Vid Kavticnik klagte
über Sprunggelenksschmerzen, weshalb
Alfred Gislason auf einen
Einsatz des Slowenen verzichtete. Kurz vor dem Ende des Aufwärmens meldete sich auch
Lövgren ab - die Wade zwickte, um einen Einsatz am Sonnabend im
letzten Plichtspiel seiner Karriere nicht zu gefährden, blieb der Schwede auf der Bank.
Gislason nutzte die Partie bei den schon vor dem Anpfiff hoffnungslos
unterlegen wirkenden Essenern, bei denen sechs Briten Erfahrungen für Olympia 2012 in London
sammeln, um auch Akteuren, die bisher wenig Einsatzzeiten zu verbuchen hatten, eine Chance zu geben.
So rückte
Tim-Philip Jurgeleit in die Startaufstellung. Trotz der
ungewöhnlichen Formation zeigten die Kieler von Beginn an, dass zwischen ihnen und
dem TuSEM Welten liegen. Die schnelle 4:0-Führung konterten die Gastgeber vor allem durch den 2,06-Meter-Riesen
Hruscak, doch mehr als der 3:4-Anschluss sollte dabei nicht herausspringen. Die Zebras
zogen durch fünf
Andersson-Treffer in Folge wieder auf 10:6 davon (13.)
und bauten in der Folge ihre Führung kontinuierlich aus. Ein
Jurgeleit-Doppelschlag zum
12:6 folgte,
Moritz Weltgen ging auf die Spielmacherposition und verwandelte zum Einstand
zwei Siebenmeter in einer Minute zum 14:6 - das Spiel war entschieden.
Morten Michelsen
löste
Thierry Omeyer im Tor ab, während sich bei TuSEM neben Hruscak
immer mehr in den Vordergrund spielte. Nach
Ahlms 18:9, der einen Traumpass
von
Zeitz verwandeln konnte, blieb der Kieler Angriff jedoch vier Minuten
lang ohne weiteren Treffer. Die Gastgeber nutzten diese kleine Schwächeperiode, um mit fünf Toren
in Folge auf 14:18 (27.) heranzukommen. Die Zebras reagierten, machten bis zur Pause noch einmal ernst
und kamen durch
Zeitz,
Ahlm und
Anics
verwandelten Siebenmeter zu drei weiteren Toren. Das Kieler 21:14 zur Halbzeit schmeichelte den Gastgebern,
die sich trotz des drückend überlegenen THW Kiel aber niemals aufgaben und so den Respekt der
Zuschauer und des Gegners verdienten.
Die zweite Hälfte geriet nun - trotz eines immer stärker treffenden Tovornik - noch mehr zum Schaulaufen als
die ersten dreißig Minuten. Den Torreigen eröffnete einmal mehr
Kim Andersson,
Lundström legte wenig später das 23:14 nach.
Anderssons
24:15 (36.) war dann allerdings wieder der Auftakt für torlose Kieler Minuten. Zwar nur drei an der Zahl,
die Fehler der Zebras aber nutzte TuSEM konsequent aus.
Wiencek und dreimal Tovornik verkürzten auf
19:24, ehe
Jicha mit zwei Toren innerhalb einer Minute
die Aufholjagd der Gastgeber beendete. Einige feine Paraden von
Michelsen ebneten
dann den Weg zum standesgemäßen Kantersieg. Nach Tovorniks 21:28 (42.) folgten zwei
Lundström-Treffer,
ein
Zeitz-Geschoss,
Anics Kreistreffer und
Anderssons neunter Treffer - die Zebras waren mal eben auf 33:21 davongezogen. Diese
Führung wurde in der Schlussviertelstunde gegen nun konditionell nachlassende Gastgeber sogar noch ausgebaut,
den Zuschauern bot der THW allerdings auch noch einige Handball-Feinkostscheiben. Feierlich wurde es dann
vier Minuten vor dem Ende, als mit Mark Dragunski die Gallionsfigur des Essener Auf- und Abstiegs ein
letztes Mal die heimische Platte betrat. Der 2,14-Meter-Riese war einmal mehr eingesprungen, als es
TuSEM besonders dreckig ging. Mit stehenden Ovationen verabschiedeten die Fans den Kreisläufer,
der beim Tor zum 28:42 zeigte, dass er nichts verlernt hat. Einem weiteren Dragunski-Tor stand dann
Michelsen im Weg, als er einen Siebenmeter des Esseners parieren konnte.
Am Ende freuten sich die Zuschauer über eine gelungene Heim-Abschiedsvorstellung ihres Teams. Trotz der
deftigen Niederlage hatte sich TuSEM in seinem letzten Bundesliga-Heimspiel vor dem Zwangsabstieg noch
einmal mächtig ins Zeug gelegt. Gegen den THW Kiel, der trotz der vielen Wechsel und der Strapazen der
vergangenen Tage eine gute Partie zeigte, war indes kein Kraut gewachsen. Die Kieler freuen sich nun
auf den Saisonausklang am kommenden Sonnabend. Dann geht es gegen den ehemaligen Erzrivalen aus
Flensburg, ehe der THW Kiel die Deutsche Meisterschaft und den DHB-Pokalsieg 2009 feiern wird.
Rund 15000 Fans werden nach dem Spiel auf dem Rathausplatz erwartet, um gemeinsam mit der Mannschaft
eine tolle Saison und diese zwei Titel zu feiern ...
(Christian Robohm)
Lesen Sie auch den ausführlichen Spielbericht der Kieler Nachrichten.
TuSEM-Trainer Krysztof Szargiej:
Ich möchte mich bei den Zuschauern und Fans bedanken, dass
sie uns treu geblieben sind. Wir haben heute den
Deutschen Meister und Pokalsieger und unsere
Mannschaft gesehen. Ich möchte mich außerdem bei
Alfred Gislason bedanken. Er hat verstanden,
welche Mannschaft TuSEM hat und heute nicht mit vollem Eifer
spielen lassen.
Es war ein sehr schönes Erlebnis.
Ich bin froh, dass wir nach dieser Reise das Spiel gewonnen haben
und sich keiner verletzt hat. Es war schön, hier vor voller Halle
zu spielen und ich hoffe, dass wir TuSEM Essen bald wieder
in der ersten Liga sehen werden.
Am Sonnabend steht zuerst das Spiel gegen Flensburg im Vordergrund. Wenn wir das
Spiel gewonnen haben, werden wir sicherlich einen Grund zum
Feiern finden (er lacht).
- TUSEM Essen:
-
Maiß (24.-60., 7 Paraden,
Kulhanek (1.-23., 4 Paraden);
Prieto (1),
Hruscak (6),
Dragunski (1),
McMillan,
Tovornik (12/1),
Vorontsov,
Krüger (1),
Williams (2),
McDermott,
Mohr,
Schütte (1),
Wiencek (4);
Trainer: Szargiej
- THW Kiel:
-
Omeyer (1.-16., 7 Paraden),
Michelsen (16.-60., 16 Paraden);
Lund (2)
Andersson (12),
Lundström (3),
Anic (9/1),
Lövgren (n.e.),
Ahlm (2),
Weltgen (2/2)
Zeitz (4),
Jurgeleit (6),
Karabatic,
Klein (1),
Jicha (2);
Trainer: Gislason
- Schiedsrichter:
-
Nils Blümel/Jörg Loppaschewski (beide Berlin)
- Zeitstrafen:
-
TUSEM: 3 (Krüger (28.), 2x Wienceck (32., 45.));
THW: 1 (Anic (25.))
- Siebenmeter:
-
TUSEM: 3/1 (Michelsen hält Tovornik (41.) und Dragunski (58.));
THW: 3/3
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 0:3 (3.), 2:4 (6.), 3:6 (9.), 4:8 (12.), 6:12 (15.), 8:15 (18.),
9:17 (21.), 11:18 (24.), 14:18 (27.), 14:21;
2. Hz.: 14:23 (33.), 15:24 (36.), 19:25 (39.), 20:28 (42.), 21:31 (45.),
21:33 (48.), 22:36 (51.), 24:39 (54.), 26:41 (57.), 28:43.
- Zuschauer:
-
4969 (Grugahalle, Essen)
- Spielgrafik:
-
Aus den Kieler Nachrichten vom 04.06.2009:
43:28-Sieg Countdown für Titelfeier
Müder THW in Essen ungefährdet
Essen - Nach dreitägiger Frustbewältigung auf Mallorca
musste der THW Kiel gestern beim 43:28 (21:14)
beim insolventen Absteiger TuSEM Essen zum Alltag
in der Handball-Bundesliga übergehen. Ein Alltag,
den die "Zebras" in dieser Zusammensetzung nie wieder
erleben werden.
Denn gestern wurde klar: Mit dem Countdown zur "Meisterfeier"
auf dem Kieler Rathausplatz am Sonnabend begann
gestern in der Grugahalle auch ein langer, schmerzhafter
Abschied. Müde "Zebras" trotteten in "Zeitlupe"
gegen ein Tabellenschlusslicht, das sich immerhin nie
den Stolz rauben ließ. Beim 14:18 (27.) und bis zum 20:26
(41.) waren die Essener wackere Gegner, die mit Patrik
Hruscak (6) und Pasqual Tovornik (12/1) gefährlich wurden
und mit Claran Williams einen Mittelmann in ihren
Reihen hatten, der in Deutschland die nötigen Fertigkeiten
erworben hat, um Handball-Entwicklungsland
England als Regisseur in die Olympischen Spiele 2012 zu
führen.
Erst mittags waren die Kieler
Spieler in Düsseldorf gelandet.
Ihr Coach Alfred Gislason
hatte ein frühes Einsehen mit seinen Schützlingen,
wechselte im Eishockey-Stil gleich blockweise. Youngster
Tim-Philip Jurgeleit bekam von Beginn an eine Chance
und ersetzte den verletzten
Vid Kavticnik (Fußgelenk)
engagiert und zuweilen eiskalt
(22:34, 49.). Morten Michelsen
löste Thierry Omeyer
ab (15.) und parierte 13 Bälle.
Nachdem Börge Lund sein
Team in der Rückraum-Mitte
zu einem beruhigenden 12:6
geführt hatte (15.), durfte sich
auch der Altenholzer Kapitän
Moritz Weltgen noch einmal
beweisen. Ebenso wie Kavticnik
wurde auch Stefan Lövgren (Wade) für Sonnabend
geschont.
"Wir haben nicht viel über Handball gesprochen auf
Mallorca. Der Schmerz sitzt tief", gestand Kim Andersson
ein und gab zu, dass es "schwer" sei, sich auf die Feier
am Sonnabend zu freuen: "Mit den Spielern, die uns
verlassen, verliere ich Lebensfreunde. Es wird noch
sehr traurig." Mit leeren Augen und versteinerten Mienen
waren die "Zebras" in die Halle gekommen. Nach dem
Spiel, das den Zuschauern immerhin vereinzelte "Zaubereien"
und den emotionalen Abschied von Ex-Nationalspieler
Mark Dragunski bot, sprach Filip Jicha noch immer
von "100 Prozent Enttäuschung. Nach dem Aufwachen
habe ich gemerkt, wie groß unsere Chance in Ciudad Real
war." Selbst der neue Bundesliga-Rekord, den der THW
mit mittlerweile 63:3 Punkten nun allein hält, taugte nicht
als numerisches Antibiotikum gegen die tief sitzende
Champions-League-Infektion. "Nein, jetzt in diesem Moment
ist mir der Rekord egal. Die Saison in der Bundesliga
war schön. Aber ich wollte die Champions League gewinnen
und will auch im nächsten Jahr mit der neuen Mannschaft
um Titel spielen", sagte THW-Torwart Thierry Omeyer. Artig gaben
die Kieler den Essener Fans Autogramme und
schlichen dann in die Kabine, um später mit
dem Bus die Heimreise nach Kiel anzutreten.
"Erst einmal müssen wir das letzte Spiel gegen
Flensburg gewinnen. Dann werden wir
bestimmt einen Grund finden, zu feiern", so
Alfred Gislason. Zur
Erinnerung: Der THW ist die mit Abstand beste
Mannschaft Deutschlands, Meister und Pokalsieger. Das
alles ist - Grund genug.
(von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 04.06.2009)