Es ist vollbracht: Durch einen letztlich deutlichen 39:29 (18:16)-Erfolg
über den VfL Gummersbach hat der Triple-Gewinner THW Kiel einmal mehr
Sportgeschichte geschrieben und die Saison in der TOYOTA Handball-Bundesliga
verlustpunktfrei mit 68:0 Zählern beendet. 10.285 restlos begeisterte Zuschauer
in der Sparkassen-Arena-Kiel sahen noch einmal eine berauschende
Handball-Demonstration besonders im zweiten Durchgang, als der THW mit
einem beeindruckenden Angriffsfeuerwerk und einem überragenden
Andreas Palicka im Tor endgültig die
große Abschlussparty einläutete.
Gummersbach geht Tempo mit
Daniel Narcisse feiert in Usain-Bolt-Pose
die Meisterschaft.
Bevor Kim Andersson und Alfred Gislason
die Ehrungen der HBL zum Spieler und Trainer der Saison entgegen nahmen und die
Meisterschale von der Decke schwebte, hatten die "Zebras" noch eine letzte
Etappe auf dem Spielfeld vor sich. Und diese letzte Etappe auf dem Weg "zur Null"
gestaltete sich über 30 Minuten als eine der härteren. Der VfL Gummersbach verkaufte
sich gut, ging das hohe Tempo der
Kieler mit und legte durch zwei Putics-Treffer und einen Pfahl-Siebenmeter zunächst
vor. Die "Zebras" aber glichen dank zwei Geschossen Anderssons
und eines Passes des Schweden auf Sprenger jeweils postwendend
aus. Als Putics einen Aufsetzer dann über das Tor setzte und Narcisse
mit einem weiten Pass auf Klein das 4:3 einleitete, nahm
der Triplesieger langsam Fahrt auf. Bis zum 5:5 (9.) durch Sprem hielten die Oberbergischen
noch mit, dann aber setzten sich die Gastgeber unter dem Jubel der Fans ab:
Ilic mit einem Strafwurf, Marcus Ahlm,
der ein Andersson-Anspiel in der Luft annahm und zum
7:5 einnetzte, ein weiterer Treffer des Kapitäns und ein Gegenstoß von
Klein bedeuteten binnen vier Minuten eine scheinbar
beruhigende Vier-Tore-Führung.
Bis zur Pause alles offen
Kim Andersson war in seinem letzten THW-Spiel
nicht zu bremsen.
Diese verteidigten die "Zebras" auch noch bis zur 18. Spielminute, als
Christian Sprenger das 12:8 gelang. Dann aber
brachten zwei Gummersbacher ihre Farben wieder in die Partie zurück:
Aljosa Rezar parierte nun reihenweise die Würfe der Kieler, und vorne
zeigte Igor Anic eindrucksvoll, was er in seinen
Kieler Jahren von Marcus Ahlm gelernt hatte:
Der Franzose verkürzte zum 10:12, ließ artistisch das 11:13 folgen. Und
als Pfahl mit der zweiten Welle gar den 12:13-Anschluss erzielte, zog
Alfred Gislason die Notbremse in Form der
grünen Auszeitkarte.
Und tatsächlich konnten sich die Kieler wieder einen etwas größeren
Vorsprung erarbeiten: Ilic und
Andersson trafen zum 16:13, zudem zeigte
Andreas Palicka nun mehrere fantastische
Reflexe. Leider landeten die Abpraller zumeist wieder bei den Gästen,
die durch den fünften Anic-Treffer zum
16:18-Pausenstand die "Zu Null"-Feierlichkeiten auf einen späteren
Zeitpunkt verschoben.
Nach dem Seitenwechsel verkürzte Putics sogar noch auf 18:17,
doch dann zog der THW endgültig davon. Der bärenstarke
Marcus Ahlm sorgte mit seinem 100.
Saisontreffer für das 19:17, Jicha
und Andersson erhöhten auf 21:17.
Und als sich dann auch noch Andreas Palicka
in einen Rausch spielte, war es um die bis dahin stark
dagegen haltenden Gummersbacher endgültig geschehen. Mit einem
Doppelpack binnen 15 Sekunden sorgte Kim Andersson
in der 42. Spielminute für das 28:21 und dafür, dass die nimmermüden
Fans vom Anfeuer- in den Feiermodus umschalteten.
THW zündet sportliches Feuerwerk
In der Schlussphase rackerte Daniel Kubes
am Kreis und traf vom Siebenmeterstrich.
Doch der THW war noch nicht fertig, die letzten 18 Spielminuten
der unglaublichen Saison wurden noch einmal zu einem Handball-Feuerwerk,
zu einer Demonstration der Kieler Stärke: Sensationell, wie
Andreas Palicka sich zu immer weiteren
Großtaten aufschwang. Brillant, wie Kim AnderssonHenrik Lundström zum Kempa-Treffer zum
30:23 bediente oder wie der Linkshänder mit einem No-Look-Pass
Marcus Ahlm zum 32:23 in Szene setzte.
Und beeindruckend, mit welch einer Coolness Daniel Kubes
seinen allerersten THW-Siebenmeter zu seinem letzten Treffer im
schwarz-weißen Trikot zum 38:25 einnetzte. Die Zuschauer hielt
es schon lange nicht mehr auf den Sitzen, mit Standing Ovations
wurden die letzten Spielminuten begleitet, in denen Gummersbach
noch ein wenig Ergebniskosmetik betreiben konnte.
Nach dem Schlusspfiff, der Überreichung der Meisterschale und
den obligatorischen Bierduschen kamen die wohl traurigsten Minuten der
Kieler Fabelsaison: Es war Zeit für die Verabschiedung von fünf
Kieler Helden. Hanne Pries und ihr Kinderchor hatten sich für
jeden Spieler rührende Neu-Interpretationen von Pop-Hits einfallen
lassen, so wurde beispielsweise aus der aktuellen Top-Ten-Single "Little Talks" von der
isländischen Band Of Monsters And Men das "Megahandballtier
Kim", und aus "Hej Pippi Langstrumpf" wurde
"Hej Henrik Lundström". Milutin Dragicevic
sagte, er würde die zwei Jahre in Kiel in guter Erinnerung behalten.
"Die Handballwelt ist nicht sehr groß, wir werden uns in der
Zukunft sicherlich wiedersehen", so der Serbe weiter.
Daniel Kubes freute sich darüber,
zwei Jahre die Chance gehabt zu haben, mit der besten Mannschaft
der Welt vor den besten Fans der Welt spielen zu dürfen, und er
danke besonders Alfred Gislason für
den Einsatz im Champions-League-Finale.
Tobias Reichmann, der die Fans
mit "Moin moin, Ostseehalle" begrüßte, hofft, dass er in
einigen Jahren nach Kiel zurückkehren darf, um seinen bislang
drei schwarz-weißen Jahren weitere anhängen zu können.
Ein sichtlich gerührter Kim Andersson
richtete ein Riesenlob an die Fans: "Ohne euch wären wir nichts!". Und
Henrik Lundström hätte "nicht gedacht,
dass ich acht Jahre hier bleiben und dass ich mit drei Kindern
nach Schweden zurückkehren würde".
Als die Tränen bei Spielern und Fans ansatzweise getrocknet waren,
schwebten auch der Champions-League-Pokal und der DHB-Pokal von
der Decke, ehe Kapitän Marcus Ahlm die
letzten Worte in der Sparkassen-Arena-Kiel an die Fans richtete:
"Wir sehen uns gleich auf dem Rathausplatz!" Es dürfte eine lange
und unvergessliche Nacht werden - nach einer langen und unvergesslichen
Saison!
Party auf dem Rathausplatz
Von der Sparkassen-Arena fuhren die Zebras am Abend im Auto-Korso durch die Stadt zum Rathausplatz. Dort
wurden sie von Oberbürgermeister Peter Todeskino und Stadtpräsidentin Cathy Kietzer empfangen.
Tausende Fans hatten am Nachmittag bereits das Public Viewing auf dem Platz verfolgt, ehe
am Abend vor rund 20.000 schwarz-weißen Fans die große Triple-Sause startete. Bis Mitternacht
wurde unter dem Rathausturm gefeiert, dann verlagerte sich die Party in die umliegenden Kneipen.
Ein unbeschreibliches Gefühl, ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Ich hatte ziemlich Stress vor diesem Spiel, weil ich weiß, wie stark die
Gummersbacher sind. Ich bin überwältigt, dass die Mannschaft das geschafft hat.
gegenüber den KN:
Ich bin unendlich stolz auf diese Mannschaft. Die Null ist ein
Riesenbonus für die Karriere jedes einzelnen Spielers.
Das ist ein Rekord, der eingeholt, aber nicht mehr
übertroffen werden kann.
Null Minuspunkte in der besten Liga der Welt, das zeigt ja, was wir
für einen Kader haben und was wir für eine Truppe sind.
Ich glaube, es wird lange dauern, bis irgendjemand das wieder schafft.
Unfassbar, ich habe ja auch in Kiel gespielt und wir waren auch erfolgreich,
aber so etwas hat es noch nicht gegeben.
Die Saison "zu Null" zu beenden, das ist wirklich aller Ehren wert und allerherzlichste
Glückwünsche von mir und dem VfL Gummersbach.
Mann muss diese Dominanz anerkennen, grandiose Leistung, unfassbar.
THW-Aufsichtsratsvorsitzender Klaus-Hinrich Vater gegenüber den KN:
Das alles ist einfach unfassbar schön. Ein wenig Genugtuung ist
auch dabei, vor allem gegenüber denjenigen, die vor noch nicht
allzu langer Zeit davon gesprochen hatten, dass es vorbei sei
mit der Kieler Vorherrschaft.
Ex-Oberbürgermeister Torsten Albig gegenüber den KN:
Diese Jungs sind keine Legionäre. Sie nehmen die Stadt in den Arm.
HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann gegenüber den KN:
Ich hoffe einfach, dass die anderen Mannschaften in der nächsten
Saison aufholen und einen spannenderen Kampf abliefern werden.
"Zebras" rauschten mit der Null in eine lange Nacht
Handballmeister THW Kiel schloss mit 39:29 gegen Gummersbach die perfekte Saison ab
Kiel. Es sang der ehemalige Chor der Grundschule
Suchsdorf unter der Leitung von Hanne Pries. Er tat es
mit lediglich zwei Mikrofonen, die nicht so wirkten, als
könnten sie Kinderstimmen ernsthaft dabei helfen,
eine gewaltige Arena akustisch auszufüllen. Weil die
acht Mädchen aber jene fünf "Zebras" besangen, die
den Handball-Überflieger THW Kiel verlassen, endete
die Saison am Sonnabend an der Förde wie so oft: Mit
einem Sieg. Diesmal gegen Gummersbach (39:29). Und
mit allerfeinster Gänsehaut-Stimmung.
Wer das Glück hatte, eine Eintrittskarte für das letzte
Punktspiel des Triple-Siegers zu ergattern, erfuhr in lediglich
zweieinhalb Stunden, warum der THW Kiel ein ganz besonderer
Verein ist. Die Mannschaft von Alfred Gislason
bot auch in einem letztlich bedeutungslosen Spiel gegen den
VfL Gummersbach beste Unterhaltung.
Sicher, inzwischen wollten
auch jene die Null ins Ziel tragen, denen sie vor einigen Wochen
noch unwichtig gewesen war. Aber es war nicht nur die Makellosigkeit,
die den Kielern gegen einen engagierten Gast einmal mehr Flügel
verliehen hatte. Es war der Spaß daran, in dieser außergewöhnlichen
Mannschaft noch einmal zeigen zu können, woran sie so hart gearbeitet
hatten: Ihren Sport am Rande der Perfektion zu präsentieren.
Wie schwer es fallen muss, ein solches Team zu verlassen,
wurde besonders an Kim Andersson
deutlich. Der Linkshänder, von den 18 Managern und Trainern
der Bundesliga zum besten Spieler gekürt, warf nicht nur acht
Tore. Der Schwede, der künftig für AG Kopenhagen spielen wird,
passte den Ball auch immer wieder mit einer Präzision zu
Kreisläufer Marcus Ahlm, die mit dem
Wort "gespenstisch" unzureichend beschrieben ist.
So intensiv Andersson seine
Tore sonst bejubelt, so zurückhaltend machte er es diesmal.
Im Glauben, es könnte das letzte seiner mehr als 1400 Treffer
sein, die er in seiner siebenjährigen Dienstzeit beim Rekordmeister
geworfen hat.
Der Verein ist aber auch ein besonderer, weil er es versteht,
großen Spielern mit kleinen Gesten zu danken. So durfte
sich Daniel Kubes noch einmal als
Kreisläufer versuchen, um ein allerletztes Tor zu erzielen.
Doch so sehr sich die Kollegen mit ihren Anspielen auch mühten,
die Gummersbacher hatten ganz offensichtlich kein Interesse
daran, bei der Vergabe von Abschiedsgeschenken die Statisten
zu spielen. Erst ein Siebenmeter gab Kubes,
der selbst gefoult worden war, die Bühne für seinen Treffer. Der
Tscheche knallte den Ball oben rechts in den Winkel und ließ
sich feiern.
Vor der Siegerehrung liefen alle Spieler einzeln in die Halle
ein, die noch immer bis auf den letzten Platz gefüllt war. Auch
auf der Auswechselbank war keiner mehr frei - die Besiegten
wollten sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Im Halbdunkel
beklatschten auch sie jeden Kieler, der das Podest betrat. Als
letzter kam Alfred Gislason, vor dem
sogar Maskottchen Hein Daddel in die
Knie ging. Und während die Fans "Alfred, Alfred" skandierten,
schmiedeten Kapitän Marcus Ahlm und
Filip Jicha einen Plan. Wie zwei
Lausbuben steckten sie ihre Köpfe zusammen. Es dauerte nicht
lang, schließlich sollte der Trainer, der gerade zum besten
seines Fachs gewählt worden war, nichts davon ahnen. Es
war allerdings auch kein sonderlich komplexer Plan, ging
es doch im Kern darum, ihm ein XXL-Bierglas ins Genick
zu schütten.
Während Ahlm sich auf die
Übergabe der Schale vorbereitete, die im Verlauf der Party-Nacht
in zwei Teile zerfallen sollte, schlich sich sein Stellvertreter
im Rücken der Kollegen an den Isländer heran. Gislason,
sichtlich ergriffen von der Szenerie, erkannte die Gefahr
zu spät. Vielleicht hat er den Überfall aber auch wissentlich
erduldet, fallen bei einer Bierdusche doch auch die Tränen nicht
mehr auf. Tränen, die zeigen, welche Last in diesen Minuten auch
von seinen breiten Schultern gefallen ist. Es ist guter Brauch
geworden, dass an solchen Kehraus-Tagen der Kapitän das Wort
ergreift. "Diese magische Saison wird es nicht noch einmal geben",
sagte Ahlm und ein Hauch von Wehmut wehte
durch die Halle. Aber nicht lange, ist der große Schwede
doch eher ein pragmatischer Typ. "Kommt alle mit, jetzt
geht es auf den Rathausplatz."
(von Imke Schröder, Kerstin Börß, Merle Schaack, Wolf Paarmann, Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 04.06.2012)