 |
Marko Vujin war mit 11/4 Treffern
einmal mehr bester Schütze.
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Der THW Kiel hat im Meisterschaftskampf ein dickes
Ausrufezeichen gesetzt: Am Sonntagnachmittag gewannen
die "Zebras" ihr Spiel beim TBV Lemgo auch in der Höhe
verdient mit 46:24 (25:9) und stellten damit ihren
eigenen Bundesligarekord für den höchsten Auswärtssieg
ein. Allerdings gab es für die Kieler auch einen
großen Wermutstropfen: Kapitän
Filip Jicha
knickte in der 43. Spielminute um und konnte nicht
weiterspielen.
Erfolgreichste Torschützen vor 8.500 Zuschauern im Gerry-Weber-Stadion in
Halle (Westfalen) waren
Marko Vujin
mit 11/4 und
Niclas Ekberg mit 9/1
Treffern. Beim erschreckend schwachen Gastgeber erreichte
einzig der fünfmal erfolgreiche
Hendrik Pekeler
Normalform.
Ob der Kantersieg für die Tabellenführung reicht, entscheidet
sich am Sonntagabend: Die Rhein-Neckar Löwen benötigen im
Spitzenspiel gegen den HSV Hamburg einen Sieg mit neun
Toren Unterschied, um die Tabellenspitze zu verteidigen.
Bilderbuchstart dank Sjöstrand-Paraden
 |
Vor allem in der ersten Halbzeit zeigte
Johan Sjöstrand eine starke Partie.
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Es waren keine fünf Spielminuten im Gerry-Weber-Stadion
absolviert, als TBV-Trainer Niels Pfannenschmidt erstmals
die grüne Auszeitkarte auf den Zeitnehmertisch legte.
Fünf Spielminuten, in denen
Johan Sjöstrand
dreimal grandios parierte - einmal gegen Benjamin Herth und
zweimal gegen Patrick Zieker. Fünf Spielminuten, in denen
den Gastgebern gegen die offensive 3:2:1-Deckung mit
Filip Jicha an der Spitze
herzlich wenig einfallen wollte und sogar die
Ex-Nationalspieler Rolf Hermann und Florian Kehrmann
Ballverluste produzierten. Fünf Spielminuten, in denen
die "Zebras" durch schnelles Umschalten und dank
zweier
Ekberg-Treffer, einem
Wiencek-Gegenstoß und einem
Sigurdsson-Heber sogleich ein
4:0 vorgelegt hatten.
Partie nach 13 Minuten vorentschieden
Pfannenschmidt mahnte in seiner ersten Auszeit zur Ruhe,
doch erreichen konnte er seine bereits jetzt völlig
verunsicherte Mannschaft offenbar nicht - wenngleich
Hendrik Pekeler nach Wiederanpfiff
den ersten Lemgoer Treffer erzielte. Doch der THW knüpfte
weiterhin nahtlos an die starke zweite Halbzeit aus dem
Hannover-Heimspiel an und zwang die
Gastgeber zu weiteren Fehlern - auch dank des weiterhin
starken
Sjöstrand, der bei seiner
nächsten Großtat einen Gegenstoß Ziekers entschärfte.
 |
Die offensive Deckung des THW zwang den TBV Lemgo zu vielen Fehlern.
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Wahlweise mit
Aron Palmarsson
oder
Jicha an der Spitze der
Deckung erkämpften sich die Kieler weitere Ballgewinne, die
personellen Wechsel der Lipperländer verpufften. Als der
früh eingewechselte
Jallouz
aus dem Rückraum und
Jicha
per Gegenstoß auf 12:3 erhöhten, waren gerade einmal
13 Spielminuten absolviert - Pfannenschmidt nahm seine
zweite Auszeit.
16 Tore Vorsprung zur Pause
Der deutsche Rekordmeister dachte aber gar nicht daran,
trotz der frühen Vorentscheidung den Fuß vom Gaspedal zu
nehmen. Ein klares Indiz dafür: Nachdem der TBV Lemgo auf
eine 5:1-Deckung umgestellt hatte, ließ
Alfred Gislason sofort die
Partie unterbrechen, um sein Team auf die neue Situation
einzustellen. Und
Filip Jicha
und Co. meisterten sie bravourös: Nachdem
Pekeler,
der alle seine fünf Treffer im ersten Durchgang erzielte,
auf 6:14 "verkürzte", legte der THW noch einmal einen
8:0-Lauf hin: Der starke
Vujin
nutzte die relative Narrenfreiheit im Rückraum zu sechs
Treffern bis zum Seitenwechsel;
Jicha
traf in einer Überzahlsituation, in der Lemgo den Torhüter
durch einen sechsten Feldspieler ersetzte, zum 18:6 ins
leere Tor;
Sigurdsson tauchte
im Rückraum auf, um
Rene Toft Hansen
den Ball zum 20:6 durchzustecken - zu diesem Zeitpunkt
hatten die Kieler bereits den 14-Tore-Rückstand auf die
Rhein-Neckar Löwen egalisiert. Doch die unermüdlichen
"Zebras" machten bis zum Seitenwechsel weiter Druck und
gingen gar mit einem 25:9 in die Kabinen - wenngleich die
Gastgeber durch einen Treffer Possehls zumindest das
letzte Wort hatten.
THW verschläft Start in Hälfte zwei
 |
Die schwarz-weiße Fankolonie im Gerry-Weber-Stadion hatte
allen Grund zum Feiern.
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Als die Partie wieder angepfiffen wurde, hatten die Kieler
offenbar ihre Konzentration noch in der Kabine liegen lassen.
Zwar traf
Palmarsson mit seinem
fünften Tor zum 26:10, doch nach einem Ballverlust des
isländischen Spielmachers und einem halbherzigen Wurf
Vujins hatten zweimal Schneider
und Kehrmann innerhalb von 90 Sekunden auf 13:26 verkürzt.
Alfred Gislason nahm sofort seine
Auszeit und beorderte
Christian Zeitz
aufs Parkett. Tatsächlich verschwand das kurzzeitig
aufgebaute Selbstvertrauen bei den Gastgebern danach sehr
schnell wieder, zumal Schneider nach einem Trikottest
gegen
Toft Hansen auf die Strafbank
musste. Der THW zog im Gerry-Weber-Stadion, längst komplett
in der Hand des Kieler Anhangs, noch einmal unnachahmlich
das Tempo an, nutzte dabei nicht nur eiskalt jeden Ballverlust
der Gastgeber aus, sondern zeigte auch im gebundenen Spiel
eine Menge Spielwitz.
Niclas Ekberg
traf aus allen Lagen, und
Filip Jicha
warf zum 31:14 einmal mehr ins verwaiste Tor des TBV. Als
dem Tschechen in der 42. Spielminute - Lemgo hatte zuvor
gerade die letzte Auszeit genommen - ein weiterer Steal
gelang, waren die Kieler beim 34:14 erstmals mit zwanzig
Toren vorn.
Jicha-Verletzung trübt Party
Es hätte ein perfekter Auswärtssieg für den THW Kiel
werden können, wäre da nicht die 43. Spielminute gewesen:
Filip Jicha landete im Angriff
nach einem Sprung auf dem Fuß
Patrick Wienceks
und blieb verletzt liegen. Gestützt auf
Alfred Gislason
und
Dominik Klein humpelte der
Kapitän vom Spielfeld und wurde minutenlang hinter der
Kieler Bank behandelt.
Zwar konnte Jicha seinen
Teamkameraden auf dem Parkett nicht mehr helfen, doch
auch vom Spielfeldrand aus unterstützte er Palmarsson
und Co. lautstark. Und Jicha
sah "Zebras", die dem TBV Lemgo auch in der Schlussphase
überlegen waren. Zwar gelangen Nils Dresrüsse nun einige
Paraden, doch dank der sicher verwandelten
Vujin-Siebenmeter und dreier
Glanztaten des für die letzten acht Minuten gekommenen
Andreas Palicka betrug der
Vorsprung beim Schlusspfiff letztlich 22 Treffer. Damit
egalisierten die Kieler den Bundesligarekord für den höchsten
Auswärtssieg, den sie am 10. März 2004 beim
47:25-Erfolg in Minden aufgestellt
hatten.
Am nächsten Sonntag kommt Flensburg
Mit breiter Brust kann sich der THW nun auf das
77. Landesderby gegen die SG Flensburg-Handewitt
vorbereiten, das am nächsten Sonntag, den 11. Mai
um 15.15 Uhr in der Sparkassen-Arena angepfiffen wird.
Lesen Sie bitte auch
Ich bin stolz auf meine Mannschaft. Wir wollten heute die
Punkte mitnehmen, und das ist uns über eine ausgezeichnete
Abwehr und eine super Torwartleistung gelungen. Ich hatte
den Spielverlauf so nicht erwartet, wenngleich ich natürlich
darauf gesetzt habe, dass die junge Lemgoer Mannschaft mit
unserer offensiven Abwehr nicht so gut zurecht kommt. Wir
haben hingegen von unserer Erfahrung profitiert. Es tut mir
leid für Niels' gute Arbeit, dass wir das so ausgenutzt
haben. Natürlich trübt Filips
Verletzung ein wenig die Freude: Wenn er die nächsten
Spiele ausfällt, haben wir schwere Wochen vor uns.
Lemgos Trainer Niels Pfannenschmidt:
Das war ein Brett. Hut ab vor der Leistung des THW Kiel,
das war großes Kino. Leider war das heute ein Fernsehspiel
vor 8.500 Zuschauern hier in Halle. Wir hätten uns heute
gerne anders präsentiert. Es sah vielleicht so aus, als
ob wir uns nicht vorbereitet hätten. Aber Kiel hat uns mit
den ersten drei freien Bällen, die nicht ins Tor gingen,
den Zahn gezogen. Zwischendurch sah es dann so aus, als
ob wir wie die Kaninchen vor der Schlange agieren würden.
Die zweite Halbzeit war dann besser, wir haben mutiger
gespielt. Respekt vor der Leistung von Kiel, der THW hat
es trotz Umbruchs wieder geschafft, eine große Qualität
aufs Feld zu bekommen.
Lemgos Geschäftsführer Christian Sprdlik:
Heute ist ein Donnerwetter mit sintflutartigen Regenfällen
über uns hereingebrochen. Wir wurden überrollt. Nun heißt
es Mund abputzen und weiter machen. Niels und die Mannschaft
werden sich schnell wieder berappeln und das Positive aus
dieser Niederlage ziehen. Das Publikum heute war großartig,
wir fühlen uns hier sehr wohl.
Wir haben gegen Hannover schon Tore aufgeholt und auch
heute richtig Gas gegeben. Die Rhein-Neckar Löwen haben
mehr zu verlieren, wir stehen nicht unter Druck. Jetzt
sind wir ein wenig aus unserem Bau herausgekommen und
haben wieder vorgelegt. Wir hoffen natürlich, dass
Filip bald wieder fit ist.
Ein Riesen-Dankeschön geht an unsere Fans, die uns hier
wieder so großartig unterstützt und beinahe ein Heimspiel
aus dem Auswärtsspiel gemacht haben. Unsere Fans sind
unser Bonus - auch bei den kommenden Spielen können sie
unserer Mannschaft sehr helfen.
TBV Lemgo:-
Bauer (8.-25., 2 Paraden),
Dresrüsse (1.-8., 25.-60., 8/1 Paraden);
Lönn,
Kehrmann (4),
Possehl (2),
Schneider (3),
Hermann (2),
Pekeler (5),
Lemke (3),
Herth (1),
Haenen (1),
Ritterbach,
Zieker (3),
Niemeyer;
Trainer: Pfannenschmidt
THW Kiel:-
Sjöstrand (1.-52., 12 Paraden),
Palicka (52.-60., 3/1 Paraden);
Toft Hansen (2),
Sigurdsson (6),
Sprenger (n.e.),
Wiencek (4),
Ekberg (9/1),
Zeitz (2),
Jallouz (1),
Palmarsson (5),
Klein,
Jicha (6),
Vujin (11/4);
Trainer: Gislason
- Schiedsrichter:
-
Peter Behrens / Marc Fasthoff
- Zeitstrafen:
-
Lemgo: 4 (2x Hermann (19., 49.), Schneider (34.), Lemke (38.));
THW: 1 (Palmarsson (51.))
- Siebenmeter:
-
Lemgo: 2/1 (Palicka hält Haenen (55.));
THW: 6/5 (Dresrüsse hält Ekberg (27.))
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 0:4 (5.), 1:4, 1:6, 2:6, 2:10 (11.), 3:10, 3:12, 4:12, 4:13, 5:13,
5:14, 6:14 (16.), 6:22 (24.), 7:22, 7:24 (28.), 8:24, 8:25, 9:25;
2. Hz.: 10:25, 10:26, 13:26 (34.), 13:29, 14:29, 14:30, 14:34 (42.),
15:34, 15:35, 16:35, 16:37, 17:37, 17:38 (47.), 18:38, 18:39, 19:39,
19:40, 20:40 (52.), 20:41, 21:41, 21:44 (57.), 23:44, 23:45, 24:45, 24:46.
- Zuschauer:
-
8.500 (Gerry-Weber-Stadion, Halle (Westf.))
- Spielgrafik:
-
Aus den Kieler Nachrichten vom 05.05.2014:
Jicha-Verletzung überschattet denkwürdigen THW-Erfolg
Tscheche knickt bei Kieler 46:24 (25:9)-Gala in Lemgo um - Gislason fehlen die Worte
Halle. Um 16 Uhr wurde gestern das Punktspiel
zwischen dem THW Kiel und dem TBV Lemgo im mit 8500
Zuschauern gefüllten Gerry-Weber-Stadion im westfälischen
Halle angepfiffen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Zebras
noch 14 Tore Rückstand auf den Tabellenführer der
Handball-Bundesliga. Um 16.28 Uhr lösten sie die
Rhein-Neckar Löwen ab. Aber: Der THW bezahlte einen
denkwürdigen 46:24 (25:9)-Sieg mit der Verletzung von
Kapitän Filip Jicha
(Verdacht auf Bänderriss).
Die Demontage der Ostwestfalen deutete sich bereits nach
wenigen Minuten an. Johan Sjöstrand,
schon im Hinspiel (38:25) ein
zuverlässiger TBV-Schreck, parierte dreimal gegen Finn
Lemke und Patrick Zieker (2). Und seine Kollegen nutzten
den Ballbesitz, um nach vier Minuten mit 4:0 zu enteilen.
Im weiten Rund der Arena, in der vor dem Anpfiff bei der
Verabschiedung von Weltmeister Florian Kehrmann eine
Stimmung der Rührung vorgeherrscht hatte, machten sich
auf den Gesichtern der TBV-Fans bereits erste Anzeichen
von Frustration breit. Ihre schlimmsten Befürchtungen
sollten sich im Verlauf einer denkwürdigen Partie bestätigen.
Nach dem 37:20-Heimsieg gegen die
TSV Hannover-Burgdorf am vergangenen Mittwoch hatte
"Goggi" Sigurdsson die aktuelle
Situation als "Balanceakt" beschrieben. Es ginge darum,
bei der Löwenjagd nicht das aktuelle Geschehen aus den
Augen zu verlieren. Ihr Job sei, das Spiel in 3600 Sekunden
aufzuteilen, um es dann Sekunde für Sekunde abzuarbeiten.
"Angriff, Abwehr, Gegenstoß, Angriff, Abwehr, Gegenstoß."
Was sich banal anhörte, hatte in seiner Umsetzung für die
Lemgoer schmerzhafte Folgen. Dass eine Sekunde als
Maßeinheit im Handball durchaus seine Berechtigung hat,
musste der TBV auf brutale Art erfahren.
Als Zieker mit einem Lattenwurf das 2:4 verpasste, traf
der elfmalige Torschütze Marko Vujin
vier Sekunden später für den THW. Das 2:6 durch den Ex-Kieler
Hendrik Pekeler, der sich im ersten
Durchgang allein gegen die schwarz-weiße Übermacht stemmte,
beantwortete Aron Palmarsson acht
Sekunden später mit dem siebten Tor der Gäste, die mit ihrer
offensiven Deckung frühzeitig den ostwestfälischen Kinderriegel
geknackt hatten.
"Wir standen wie das Kaninchen vor der Schlange", sagte Niels
Pfannenschmiedt, der bereits in der 13. Minute seine zweite
Auszeit genommen hatte. Doch das richtige Rezept gegen die
Schockstarre fiel auch dem TBV-Trainer nicht ein. Selbst
Routiniers wie Ex-Nationalspieler Rolf Herrmann unterliefen
katastrophale Abspielfehler, Torhüter Nils Dresrüsse berührte
im ersten Durchgang kaum einen Ball.
Offenbar hatten die Gedemütigten sich in der Pause ein wenig
Mut zugesprochen. Die blutjunge Mannschaft absolvierte in der
zur Handball-Arena umgebauten Tennishalle ihr erstes Saisonspiel.
Die ungewohnte Umgebung, der namhafte Gegner, die Liveübertragung
im Fernsehen - in der "Bubi-Truppe" hatte sich mit dem Anwurf
nachhaltig die Angst eingenistet. Zu Beginn der zweiten Halbzeit
bekamen die Lemgoer ihre Nerven etwas besser in den Griff, ließen
durch einen 4:1-Lauf aufhorchen und verwandelten den THW
kurzzeitig wieder in einen Tabellenzweiten. Nur drei Minuten
nach Wiederanpfiff stoppte ein verärgerter
Alfred Gislason den Sinkflug. Der
THW-Trainer fand in der Auszeit die richtigen Worte, seine
Spieler besannen sich darauf, diese einmalige Chance zu nutzen,
das Torverhältnis nachhaltig aufzubessern. Ein Sieg, den der
Rekordmeister teuer bezahlte: Jicha
knickte in der 43. Minute um und kam, den linken Knöchel
eisgekühlt, nur noch einmal auf das Feld, um sich mit seinen
Kollegen bei den 200 mitgereisten Fans zu bedanken. "Einen
Sieg in dieser Höhe hätte ich nicht erwartet", sagte
Gislason, dem angesichts dieser
Gala die Worte fehlten. Ihm war die Höhe des Erfolges, Seite
an Seite mit dem von ihm geschätzten Pfannenschmiedt bei der
anschließenden Pressekonferenz sitzend, regelrecht unangenehm:
"Niels, das tut mir leid."
(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 05.05.2014)