Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012:
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Der Trainer und die Ernte der erfolgreichsten Saison in der Vereinsgeschichte. Alfred Gislason präsentiert
stolz die Champions-League-Trophäe, den DHB-Pokal und die Meisterschale.
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Zum Saisonbeginn sprach KN-Redakteur Wolf Paarmann mit
Alfred Gislason, Trainer des THW Kiel.
- Zebra-Journal:
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Herr Gislason, können Sie sich noch an die ersten Tage nach der
Meisterfeier erinnern?
- Alfred Gislason:
-
Ja, ich bin direkt in mein Haus
in Wendgräben bei Magdeburg
gefahren und habe erst einmal
eine Woche im Garten gearbeitet.
In diesen Tagen war ich mir
zum ersten Mal in meiner Karriere
nicht mehr sicher, ob ich
wirklich, wie geplant, noch als
60-Jähriger Trainer in der
Bundesliga sein kann.
- Zebra-Journal:
-
Warum?
- Alfred Gislason:
-
So kaputt war ich noch nie am
Ende einer Saison. Daran bin
ich aber auch ein wenig selbst
schuld. Und Ihr natürlich, die
Medien.
- Zebra-Journal:
-
Sie sind Trainer des Jahres geworden,
wurden auf dem Rathausplatz
von 20.000 Fans gefeiert.
Wie sollten Ihnen die Medien
da das Leben schwer gemacht
haben?
- Alfred Gislason:
-
Ihr habt die Null so oft zu einem
Thema gemacht, dass
mich diese Zahl am Ende auch
berührt hat. Im Mai, nach dem Sieg in Hamburg, war ich regelrecht
besessen davon, die
Saison ohne Minuspunkt zu
beenden. Ich habe in einem
Tunnel gelebt, mich auf jedes
Spiel vorbereitet, als wäre es
ein Endspiel. Dabei ging es in
den letzten Bundesliga-Spielen
doch eigentlich um nichts
mehr.
- Zebra-Journal:
-
Aber war nicht die ganze Mannschaft
heiß darauf, mit 68:0 Punkten
ins Ziel zu kommen?
- Alfred Gislason:
-
Doch, die meisten Spieler
schon. Aber ich habe es übertrieben.
Ich weiß noch, dass ich
im letzten Spiel gegen den VfL
Gummersbach (39:29, d. Red.)
fünf Minuten vor dem Abpfiff
zu Marcus Ahlm gesagt habe,
dass wir mit zwölf Toren Differenz
gewinnen sollen. Dann
hätten wir eine Tordifferenz
von plus 300 gehabt. Marcus
war so höflich, gar nicht darauf
zu reagieren. Er hat bestimmt
gedacht, dass ich jetzt endgültig
übergeschnappt bin.
- Zebra-Journal:
-
Lassen sich 68:0 Punkte wiederholen?
- Alfred Gislason:
-
Das wird sehr, sehr schwer. Es
darf auch nicht vergessen werden,
dass bestimmt ein Drittel
unserer Spiele sehr knapp gewesen
ist. Die hätten wir auch
verlieren können. Haben wir
aber nicht, weil wir immer in
den letzten zehn Minuten die
größeren Reserven hatten. Diese
Fitness wird uns jetzt zunächst
einmal fehlen. Außerdem
werden auch die Mannschaften
aus dem Mittelfeld
der Liga eine noch bessere Rolle
spielen, weil sie davon profitieren
werden, sich mehr oder
weniger ungestört von Olympia
vorbereitet zu haben. Wir
starten mit zwei Auswärtsspielen
in die Saison - es ist nicht
ausgeschlossen, dass die Null
auch danach noch stehen wird.
Allerdings auf der anderen Seite.
- Zebra-Journal:
-
Sie haben das Triple gewonnen,
sind Meister ohne Minuspunkt
geworden. Womit motivieren Sie
sich denn jetzt noch?
- Alfred Gislason:
-
Ich bin Perfektionist. Und in
einer Sportart wie unserer ist
es schwer, Perfektion zu erreichen.
Spieler kommen und gehen,
sie fallen verletzungsbedingt
länger aus - es ist immer
alles im Fluss. Ich ziehe meine
Motivation daraus, mit den
Neuzugängen eine Mannschaft
zu formen, die das gleiche Niveau
erreicht wie das Team in
der vergangenen Saison. Wir
wollen wieder Meister werden
und das Final4 in Köln (Endrunde
der Champions League,
d. Red.) erreichen. Ich motiviere
mich auch damit, immer
neue Spielzüge zu entwickeln.
Sollte mir das nicht mehr gelingen,
höre ich auf.
- Zebra-Journal:
-
Manchmal spielt Ihnen, so ist zu
hören, dabei aber auch der Zufall
in die Hände, oder?
- Alfred Gislason:
-
Stimmt. Ich erinnere mich gut
daran, dass ich einmal beim Videostudium
des FC Barcelona
eine neue Taktik gefunden habe.
Ein Spielzug, der am Kreis
aufgelöst wurde, allerdings
deutlich schneller als sonst.
Den habe ich übernommen,
und mittlerweile spielen die
meisten Spitzenteams auf der
Welt diese Taktik auch. Als ich
irgendwann mit Antonio Ortega,
dem Trainer der Spanier,
darüber gesprochen habe, dass
ich einen seiner Schachzüge
übernommen hatte, war er total
überrascht. Den kannte er
gar nicht! Der Pass war zufällig
so gespielt worden, weil der
Kreisläufer eigentlich an einer
ganz falschen Stelle stand.
- Zebra-Journal:
-
Nun litt die Vorbereitung unter
den Olympischen Spielen, an denen
sieben THW-Spieler teilgenommen
haben. Wann hat Sie im
Sommerurlaub zum ersten Mal
dieses Handicap eingeholt?
- Alfred Gislason:
-
Zwei Wochen bevor ich wieder
nach Kiel gekommen bin. Da
habe ich mir zum ersten Mal
Gedanken gemacht, wie wir
damit umgehen wollen. Meine
größte Sorge war aber nicht
die, dass die Spieler müde aus
London zurückkehren würden.
So anstrengend ist ein olympisches
Turnier nicht. Ich habe
nur bis zum Ende gebangt, dass
sie auch alle gesund bleiben.
- Zebra-Journal:
-
Wie ist die Vorbereitung aus Ihrer
Sicht gelaufen?
- Alfred Gislason:
-
Die Situation war schwierig.
Ich hatte keinen Einfluss darauf,
wie die Olympia-Fahrer in
ihrer Vorbereitung trainieren.
Die Grundlagen, Kraft und
Kondition, kommen im Vorfeld
einer großen Meisterschaft auf
jeden Fall zu kurz. Es wird Monate
dauern, das wieder aufzuholen,
weil ich bei einem dreitägigen
Spielrhythmus das
Krafttraining entsprechend
dosieren muss. Wir hatten nach
den Spielen nur elf Tage, um
uns einzuspielen. Das ist zu wenig.
Zumal Kim Andersson auf
einer zentralen Position eine
riesige Lücke hinterlassen hat.
Er hat im rechten Rückraum eine
überragende Saison gespielt.
Ich hätte mich sehr gefreut,
wenn er noch ein Jahr geblieben
wäre. Aber: Sollte uns
der Umbruch in dieser Saison
gelingen, werden wir davon in
den nächsten Jahren profitieren,
auch wenn wir mit Thierry Omeyer (wechselt im Juni 2013
nach Montpellier HB, d. Red.)
eine überragende Persönlichkeit
definitiv verlieren werden.
- Zebra-Journal:
-
Gut für Kiel, dass die Deutschen
erstmals nicht bei den Spielen dabei
waren...
- Alfred Gislason:
-
Den Spielern hätte ich es gegönnt.
Aber wenn auch Dominik Klein
und Patrick Wiencek
noch in London gewesen wären,
hätte ich mir dort eine Garage
gemietet und darauf gehofft,
dass ab und zu einer meiner
Spieler vorbeikommt, um
mit mir zu trainieren.
- Zebra-Journal:
-
Sieben Spieler sind Ihnen in der
Saisonvorbereitung geblieben,
für eine Startformation fehlte eigentlich
nur ein Halblinker. Warum
setzen Sie in den ersten Wochen
nicht einfach auf diese Spieler?
- Alfred Gislason:
-
Das funktioniert vielleicht am
Anfang, wird sich später aber
rächen. Unser Markenzeichen
in der vergangenen Saison war,
dass wir so viel rotieren konnten,
ohne dabei im Niveau abzufallen.
Das muss auch jetzt
wieder unser Ziel sein. Deshalb
hat der Super Globe in Katar
(26. August bis 1. September, d.
Red.) eine besondere Bedeutung
für uns. Dort werden wir
nur an der Taktik feilen, damit
alle von Beginn an mitspielen
können. Ich erinnere mich noch
an die vorvergangene Saison,
als wir die Meisterschaft verspielt
haben, weil es uns nicht
gelungen ist, Daniel Narcisse
und Kim Andersson nach ihren
langen Verletzungspausen wieder
zu integrieren. Andere haben
wohl geglaubt, sie können
sich jetzt ein bisschen ausruhen,
nachdem die beiden wieder
dabei waren.
- Zebra-Journal:
-
Sie starten mit drei Kreisläufern in
die Saison. Es gibt nicht wenige
Experten, die sagen, dass der
THW auf dieser Position einen
Spieler zu viel hat...
- Alfred Gislason:
-
Das sehe ich natürlich anders.
Sicher, es wäre besser gewesen,
wenn Patrick Wiencek schon in
der vergangenen Saison zu uns
gekommen wäre. Wir hatten
uns sehr darum bemüht, aber es
hat leider nicht geklappt. Die
jetzige Konstellation ist trotzdem
ideal, weil Rene Toft Hansen
und Wiencek ein Jahr lang
von Marcus Ahlm lernen können.
Passen sie gut auf, könnten
sie in den nächsten Jahren ein
richtig gutes Gespann werden.
Ich werde allen ihre Einsätze
geben, eine feste Reihenfolge
gibt es nicht. Sicher, für Marcus
spricht, dass er alle Abläufe
kennt und in der vergangenen
Saison überragend gespielt hat.
Für Toft Hansen spricht, im
Vergleich zu Wiencek, dass er
mehr Erfahrung hat. Aber - es
ist alles offen.
- Zebra-Journal:
-
In der Vorbereitung waren fünf
Spieler aus der A-Jugend dabei.
Was trauen Sie ihnen zu?
- Alfred Gislason:
-
Das sind alles gute Jungs. Raul (Alonso, Nachwuchstrainer, d.
Red.) hat in den letzten Jahren
einen super Job gemacht. Es ist
nur ein logischer Schritt, sie
jetzt noch stärker einzubinden.
Ich bin mir sicher, dass wir sie
früher oder später in der Bundesliga
wiedersehen werden.
- Zebra-Journal:
-
Wen erwarten Sie im Titelrennen
ganz vorne?
- Alfred Gislason:
-
Die üblichen Verdächtigen.
Hamburg, Berlin und Flensburg.
Die Berliner haben den
Vorteil, dass nur ein Spieler
(Ivan Nincevic, d. Red.) an den
Spielen teilgenommen hat. Sie
konnten also die Vorbereitung
nahezu mit dem kompletten
Kader bestreiten. Ich denke
aber, dass Hamburg der härteste
Konkurrent werden wird.
Der HSV hat seinen Kader gut
ergänzt und wird deutlich stärker
auftreten als im vergangenen
Jahr. Ich traue aber auch
den Rhein-Neckar Löwen eine
gute Rolle zu, mit diesem Kader
sollte die Qualifikation für die
Champions League auf jeden
Fall möglich sein.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012. Das Gespräch führte Wolf Paarmann)