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27.08.2012 Bundesliga

Zebra-Journal: Interview mit Alfred Gislason: "Habe in einem Tunnel gelebt"

Anstrengendste Saison der Karriere von Alfred Gislason - Nie so kaputt gewesen

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012:

Der Trainer und die Ernte der erfolgreichsten Saison in der Vereinsgeschichte. Alfred Gislason präsentiert stolz die Champions-League-Trophäe, den DHB-Pokal und die Meisterschale.
Klicken Sie zum Vergrößern! Der Trainer und die Ernte der erfolgreichsten Saison in der Vereinsgeschichte. Alfred Gislason präsentiert stolz die Champions-League-Trophäe, den DHB-Pokal und die Meisterschale.
Zum Saisonbeginn sprach KN-Redakteur Wolf Paarmann mit Alfred Gislason, Trainer des THW Kiel.
Zebra-Journal:
Herr Gislason, können Sie sich noch an die ersten Tage nach der Meisterfeier erinnern?
Alfred Gislason:
Ja, ich bin direkt in mein Haus in Wendgräben bei Magdeburg gefahren und habe erst einmal eine Woche im Garten gearbeitet. In diesen Tagen war ich mir zum ersten Mal in meiner Karriere nicht mehr sicher, ob ich wirklich, wie geplant, noch als 60-Jähriger Trainer in der Bundesliga sein kann.
Zebra-Journal:
Warum?
Alfred Gislason:
So kaputt war ich noch nie am Ende einer Saison. Daran bin ich aber auch ein wenig selbst schuld. Und Ihr natürlich, die Medien.
Zebra-Journal:
Sie sind Trainer des Jahres geworden, wurden auf dem Rathausplatz von 20.000 Fans gefeiert. Wie sollten Ihnen die Medien da das Leben schwer gemacht haben?
Alfred Gislason:
Ihr habt die Null so oft zu einem Thema gemacht, dass mich diese Zahl am Ende auch berührt hat. Im Mai, nach dem Sieg in Hamburg, war ich regelrecht besessen davon, die Saison ohne Minuspunkt zu beenden. Ich habe in einem Tunnel gelebt, mich auf jedes Spiel vorbereitet, als wäre es ein Endspiel. Dabei ging es in den letzten Bundesliga-Spielen doch eigentlich um nichts mehr.
Zebra-Journal:
Aber war nicht die ganze Mannschaft heiß darauf, mit 68:0 Punkten ins Ziel zu kommen?
Alfred Gislason:
Doch, die meisten Spieler schon. Aber ich habe es übertrieben. Ich weiß noch, dass ich im letzten Spiel gegen den VfL Gummersbach (39:29, d. Red.) fünf Minuten vor dem Abpfiff zu Marcus Ahlm gesagt habe, dass wir mit zwölf Toren Differenz gewinnen sollen. Dann hätten wir eine Tordifferenz von plus 300 gehabt. Marcus war so höflich, gar nicht darauf zu reagieren. Er hat bestimmt gedacht, dass ich jetzt endgültig übergeschnappt bin.
Zebra-Journal:
Lassen sich 68:0 Punkte wiederholen?
Alfred Gislason:
Das wird sehr, sehr schwer. Es darf auch nicht vergessen werden, dass bestimmt ein Drittel unserer Spiele sehr knapp gewesen ist. Die hätten wir auch verlieren können. Haben wir aber nicht, weil wir immer in den letzten zehn Minuten die größeren Reserven hatten. Diese Fitness wird uns jetzt zunächst einmal fehlen. Außerdem werden auch die Mannschaften aus dem Mittelfeld der Liga eine noch bessere Rolle spielen, weil sie davon profitieren werden, sich mehr oder weniger ungestört von Olympia vorbereitet zu haben. Wir starten mit zwei Auswärtsspielen in die Saison - es ist nicht ausgeschlossen, dass die Null auch danach noch stehen wird. Allerdings auf der anderen Seite.
Zebra-Journal:
Sie haben das Triple gewonnen, sind Meister ohne Minuspunkt geworden. Womit motivieren Sie sich denn jetzt noch?
Alfred Gislason:
Ich bin Perfektionist. Und in einer Sportart wie unserer ist es schwer, Perfektion zu erreichen. Spieler kommen und gehen, sie fallen verletzungsbedingt länger aus - es ist immer alles im Fluss. Ich ziehe meine Motivation daraus, mit den Neuzugängen eine Mannschaft zu formen, die das gleiche Niveau erreicht wie das Team in der vergangenen Saison. Wir wollen wieder Meister werden und das Final4 in Köln (Endrunde der Champions League, d. Red.) erreichen. Ich motiviere mich auch damit, immer neue Spielzüge zu entwickeln. Sollte mir das nicht mehr gelingen, höre ich auf.
Zebra-Journal:
Manchmal spielt Ihnen, so ist zu hören, dabei aber auch der Zufall in die Hände, oder?
Alfred Gislason:
Stimmt. Ich erinnere mich gut daran, dass ich einmal beim Videostudium des FC Barcelona eine neue Taktik gefunden habe. Ein Spielzug, der am Kreis aufgelöst wurde, allerdings deutlich schneller als sonst. Den habe ich übernommen, und mittlerweile spielen die meisten Spitzenteams auf der Welt diese Taktik auch. Als ich irgendwann mit Antonio Ortega, dem Trainer der Spanier, darüber gesprochen habe, dass ich einen seiner Schachzüge übernommen hatte, war er total überrascht. Den kannte er gar nicht! Der Pass war zufällig so gespielt worden, weil der Kreisläufer eigentlich an einer ganz falschen Stelle stand.
Zebra-Journal:
Nun litt die Vorbereitung unter den Olympischen Spielen, an denen sieben THW-Spieler teilgenommen haben. Wann hat Sie im Sommerurlaub zum ersten Mal dieses Handicap eingeholt?
Alfred Gislason:
Zwei Wochen bevor ich wieder nach Kiel gekommen bin. Da habe ich mir zum ersten Mal Gedanken gemacht, wie wir damit umgehen wollen. Meine größte Sorge war aber nicht die, dass die Spieler müde aus London zurückkehren würden. So anstrengend ist ein olympisches Turnier nicht. Ich habe nur bis zum Ende gebangt, dass sie auch alle gesund bleiben.
Zebra-Journal:
Wie ist die Vorbereitung aus Ihrer Sicht gelaufen?
Alfred Gislason:
Die Situation war schwierig. Ich hatte keinen Einfluss darauf, wie die Olympia-Fahrer in ihrer Vorbereitung trainieren. Die Grundlagen, Kraft und Kondition, kommen im Vorfeld einer großen Meisterschaft auf jeden Fall zu kurz. Es wird Monate dauern, das wieder aufzuholen, weil ich bei einem dreitägigen Spielrhythmus das Krafttraining entsprechend dosieren muss. Wir hatten nach den Spielen nur elf Tage, um uns einzuspielen. Das ist zu wenig. Zumal Kim Andersson auf einer zentralen Position eine riesige Lücke hinterlassen hat. Er hat im rechten Rückraum eine überragende Saison gespielt. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn er noch ein Jahr geblieben wäre. Aber: Sollte uns der Umbruch in dieser Saison gelingen, werden wir davon in den nächsten Jahren profitieren, auch wenn wir mit Thierry Omeyer (wechselt im Juni 2013 nach Montpellier HB, d. Red.) eine überragende Persönlichkeit definitiv verlieren werden.
Zebra-Journal:
Gut für Kiel, dass die Deutschen erstmals nicht bei den Spielen dabei waren...
Alfred Gislason:
Den Spielern hätte ich es gegönnt. Aber wenn auch Dominik Klein und Patrick Wiencek noch in London gewesen wären, hätte ich mir dort eine Garage gemietet und darauf gehofft, dass ab und zu einer meiner Spieler vorbeikommt, um mit mir zu trainieren.
Zebra-Journal:
Sieben Spieler sind Ihnen in der Saisonvorbereitung geblieben, für eine Startformation fehlte eigentlich nur ein Halblinker. Warum setzen Sie in den ersten Wochen nicht einfach auf diese Spieler?
Alfred Gislason:
Das funktioniert vielleicht am Anfang, wird sich später aber rächen. Unser Markenzeichen in der vergangenen Saison war, dass wir so viel rotieren konnten, ohne dabei im Niveau abzufallen. Das muss auch jetzt wieder unser Ziel sein. Deshalb hat der Super Globe in Katar (26. August bis 1. September, d. Red.) eine besondere Bedeutung für uns. Dort werden wir nur an der Taktik feilen, damit alle von Beginn an mitspielen können. Ich erinnere mich noch an die vorvergangene Saison, als wir die Meisterschaft verspielt haben, weil es uns nicht gelungen ist, Daniel Narcisse und Kim Andersson nach ihren langen Verletzungspausen wieder zu integrieren. Andere haben wohl geglaubt, sie können sich jetzt ein bisschen ausruhen, nachdem die beiden wieder dabei waren.
Zebra-Journal:
Sie starten mit drei Kreisläufern in die Saison. Es gibt nicht wenige Experten, die sagen, dass der THW auf dieser Position einen Spieler zu viel hat...
Alfred Gislason:
Das sehe ich natürlich anders. Sicher, es wäre besser gewesen, wenn Patrick Wiencek schon in der vergangenen Saison zu uns gekommen wäre. Wir hatten uns sehr darum bemüht, aber es hat leider nicht geklappt. Die jetzige Konstellation ist trotzdem ideal, weil Rene Toft Hansen und Wiencek ein Jahr lang von Marcus Ahlm lernen können. Passen sie gut auf, könnten sie in den nächsten Jahren ein richtig gutes Gespann werden. Ich werde allen ihre Einsätze geben, eine feste Reihenfolge gibt es nicht. Sicher, für Marcus spricht, dass er alle Abläufe kennt und in der vergangenen Saison überragend gespielt hat. Für Toft Hansen spricht, im Vergleich zu Wiencek, dass er mehr Erfahrung hat. Aber - es ist alles offen.
Zebra-Journal:
In der Vorbereitung waren fünf Spieler aus der A-Jugend dabei. Was trauen Sie ihnen zu?
Alfred Gislason:
Das sind alles gute Jungs. Raul (Alonso, Nachwuchstrainer, d. Red.) hat in den letzten Jahren einen super Job gemacht. Es ist nur ein logischer Schritt, sie jetzt noch stärker einzubinden. Ich bin mir sicher, dass wir sie früher oder später in der Bundesliga wiedersehen werden.
Zebra-Journal:
Wen erwarten Sie im Titelrennen ganz vorne?
Alfred Gislason:
Die üblichen Verdächtigen. Hamburg, Berlin und Flensburg. Die Berliner haben den Vorteil, dass nur ein Spieler (Ivan Nincevic, d. Red.) an den Spielen teilgenommen hat. Sie konnten also die Vorbereitung nahezu mit dem kompletten Kader bestreiten. Ich denke aber, dass Hamburg der härteste Konkurrent werden wird. Der HSV hat seinen Kader gut ergänzt und wird deutlich stärker auftreten als im vergangenen Jahr. Ich traue aber auch den Rhein-Neckar Löwen eine gute Rolle zu, mit diesem Kader sollte die Qualifikation für die Champions League auf jeden Fall möglich sein.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012. Das Gespräch führte Wolf Paarmann)


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