Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012:
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Als C-Jugendlicher meldete sich Patrick Wiencek
aus der Niederrhein-Auswahl ab: Handball und Schule, das war ihm zuviel geworden.
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Als Christian Schwarzer nach der
WM 2007 seine Karriere beendete,
hinterließ er am Kreis eine große Lücke. Seitdem war in
der deutschen Nationalmannschaft keiner in der Lage, sie zu
schließen. Mit
Patrick Wiencek könnte sich das ändern.
Am Kreis steht derzeit die größte
Baustelle. Christoph Theuerkauf
ist flink, kann aber keine
Sperren stellen und auch nicht
decken. Er muss für Oliver Roggisch
ausgewechselt werden,
der kein Angriffsspieler ist.
Zwei halbe Kreisläufer versuchen,
was ein Wiencek bald alleine
lösen kann.
Der blonde Hüne
geht mit dieser Rolle
unaufgeregt um.
Natürlich sei er in
seinem Innersten ein
wenig nervös gewesen,
aber das würde
er nicht zeigen, sagte
Wiencek, der am Tag
nach dem
24:23-Gruppensieg gegen Mazedonien bei der
Europameisterschaft in Serbien
erstmals von Journalisten umlagert
worden war. Der gebürtige
Duisburger hatte innerhalb von
zwei Minuten zwei wichtige Tore
geworfen und dem Team von
Martin Heuberger nach
der Auftaktniederlage gegen Tschechien
den Traum vom Erreichen
der Hauptrunde gerettet. Er
blickt gelassen aus 2,01 Metern
Höhe herab, spricht mit leiser
Stimme, sein Handschlag ist ein
ganz sanfter. Ehrlich erzählt er
eine Geschichte, die für einen
Handballer in Deutschland ungewöhnlich
ist. Als Quereinsteiger
war er vor drei Jahren von
Heuberger ins Junioren-Team
berufen und prompt Weltmeister
geworden. Bis dato
war er kaum aufgefallen.
Als C-Jugendlicher hatte
er sich aus der Niederrhein-Auswahl abgemeldet.
Handball, Auswahl,
Schule - ihm sei
einfach alles zu viel geworden.
Vor knapp sechs Jahren
verpflichtete ihn der
TuSEM Essen, doch eingesetzt
wurde der Anlagenmechaniker
beim
Oberligisten TV Jahn
Hiesfeld. Eine Nominierung für
die deutsche A-Nationalmannschaft,
in der er am
1. Dezember 2009 gegen Weißrussland sein
Debüt geben sollte, war da noch
eine Fata Morgana. Dann stürzte
Essen in die Insolvenz, die Arrivierten
flüchteten, und
Wiencek
rückte nach. Er sollte helfen,
den Traditionsclub zu retten.
Und er half. So gut, dass der
VfL Gummersbach sich für ihn
erwärmte und anschließend der
THW.
Wiencek wird ein außergewöhnliches
Talent nachgesagt.
Er würde, so sein einstiger
VfL-Kollege Adrian Wagner, in
der Deckung immer richtig stehen.
Dass er im Mittelblock
nicht nur steht, trug ihm den
Spitznamen "Bamm-Bamm"
ein. Jenes kräftige Kerlchen aus
der Vorabendserie "Familie
Feuerstein", das sich mit seiner
Riesenkeule durch die Steinzeit
prügelt. "Wahrscheinlich heiße
ich so, weil ich in der Abwehr
ziemlich fest zupacke", sagt der
23-Jährige.
Wiencek hat stürmische Zeiten
erlebt. So schickte ihn VfL-Trainer
Sead Hasanefendic aus
der Trainingshalle nach Hause,
als er erfuhr, dass Wiencek nach
Kiel wechseln würde. Und nicht
nur das - er suspendierte ihn für
drei Monate. "Den ersten Ärger
kann ich verstehen", sagt Wiencek.
"Die Suspendierung
fand ich übertrieben." Sicher, es
wäre ein Fehler gewesen, dem
THW zuzusagen, ohne mit den
VfL-Verantwortlichen gesprochen
zu haben. "Aber an der Situation
hätte sich nichts geändert.
Ich wäre sowieso nach Kiel
gegangen." Die ungewollte
Freizeit hatte der Formel-1-Fan
genutzt, um seinen in Duisburg-Walsum lebenden Eltern bei Renovierungsarbeiten
zu helfen.
Mit Konsequenzen: Die Bohrmaschine
spielte verrückt und
verdrehte seine Hand derart,
dass er sie sich brach. "Das war
unglücklich", sagt Wiencek und
wirkt dabei so, als würde er seinem
Vater, der Maurer ist, jederzeit
wieder auf dem Bau helfen.
Weil die deutsche Nationalmannschaft
trotz des wichtigen Sieges gegen Mazedonien lediglich
EM-Siebter wurde und die
Olympia-Qualifikation verpasste,
konnte Wiencek sich
ganz auf seinen neuen Verein
konzentrieren, bei dem er einen
Dreijahresvertrag unterschrieben
hat. Er erlebte die Kieler
Woche als Tourist und fand in
Projensdorf eine Wohnung - Wiencek
ist in seiner neuen Heimat
schon angekommen.
Das sagt Alfred Gislason:
Er bringt alle Voraussetzungen
mit, einmal der beste
deutsche Kreisläufer zu werden.
Er wird viel lernen müssen,
aber seine Einsätze bekommen.
Mein Plan ist, alle
drei Kreisläufer einzusetzen.
Wenn er diese erste Saison für
sich richtig zu nutzen weiß,
dann halte ich es nicht für
ausgeschlossen, dass er auch
in zehn Jahren noch für den
THW spielen wird.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012)