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Christian Zeitz und Markus Baur drehen nach dessen entscheidenden
Tor jubelnd ab.
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Die deutsche Handball-Nationalmannschaft steht im
Halbfinale der
Europameisterschaft!
In einem wahren Handball-Krimi besiegte das DHB-Team im "Endspiel" der
Hauptrundengruppe 2 die Auswahl Schwedens mit
31:29 (16:18). Erst in den Schlussminuten drehte sich das Blatt zugunsten
des Teams von Bundestrainer Heiner Brand, aber erst der Treffer von Markus Baur
drei Sekunden vor dem Ende machte den Einzug ins
Halbfinale perfekt. Am Samstag
trifft Deutschland nun auf Dänemark. Beste Werfer im DHB-Dress waren Holger
Glandorf und Pascal Hens mit je sieben Toren, für Schweden traf
Kim Andersson neun Mal ins Netz.
Der Erfolg war allerdings schwer erkauft, denn Oliver Roggisch wird mit einem
Muskelfaserriss in der Wade mit Sicherheit für das Halbfinale ausfallen,
auch Michael Kraus verletzte sich. Sein Einsatz am Samstag ist ungewiss.
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Starkes Spiel: Pascal Hens traf sieben Mal
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Die Ausgangslage vor diesem Krimi war klar: Gewinnt Deutschland die Partie,
ist der Halbfinaleinzug vollbracht - bei einem Sieg der Schweden oder einem
Remis wären die Skandinavier in die nächste Runde eingezogen. Dementsprechend
motiviert gingen beide Mannschaft von Beginn an zur Sache. Zunächst kamen die
Schweden besser ins Spiel, führten schnell mit 2:0. Es dauerte sechs Minuten, bis
die deutsche Auswahl zum ersten Mal ausgleichen konnte. Markus Baur von der
Siebenmeterlinie traf zum 4:4. Bereits zu diesem Zeitpunkt stellten die Beobachter
eine im Vergleich zu den restlichen Turnierspielen gute Trefferquote im Angriff des
Brand-Teams fest. Vor allem Pascal Hens und Holger Glandorf hatten endlich die richtige
Justierung ihrer Visiere gewählt, trafen immer wieder gegen einen dieses Mal blassen
Schweden-Keeper Tomas Svensson, der sich bereits nach 14 Minuten entnervt auswechseln ließ.
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Purer Wille: Der verletzte Oliver Roggisch sieht Markus Baur jubeln.
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So gut es im Angriff lief, so bescheiden starteten die Deutschen in der Abwehr. Dabei stellten
besonders THW-Rückraum-Ass
Kim Andersson und das ehemalige
Zebra
Martin Boquist die deutsche Verteidigung vor nahezu unlösbare
Aufgaben. Elf Tore konnten sich die beiden bis zum Pausentee auf ihr Habenkonto schreiben,
trafen ihrerseits nach Belieben. Verhindern konnte dies auch ein
Henning Fritz nicht,
dessen Einwechslung für den bis dato glücklosen Jogi Bitter der Defensive mehr Stabilität verlieh.
Dennoch: Trotz einer zwischenzeitlichen 9:7-Führung (13.) konnte die DHB-Auswahl die Bigpoints
der ersten Hälfte nicht setzen, auch weil Dan Beutler im schwedischen Tor ein wenig mehr
zu fassen bekam als Svensson. Ein Doppelschlag von
Kim Andersson brachte
Schweden beim 13:11 (22.) wieder mit zwei Toren in Führung, Heiner Brand zog die grüne Auszeit-Karte
und forderte von seinem Angriff, der in dieser Phase hektisch agierte, mehr Geduld - mit kurzem Wiederhall
durch den Ausgleich von Glandorf. Im Spiel vier gegen vier - in der ansonsten fairen Partie
hatte es kurz vor der Pause je zwei Zeitstrafen auf beiden Seiten gegeben, erzielte
Henrik Lundström den 18:16-Halbzeitstand für Schweden. Deutschland drohte das Aus.
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In diesem Moment scheiter Holger Glandorf am schwedischen Abwehrbollwerk - insgesamt
traf der Nordhorner aber sieben Mal.
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War die erste Halbzeit schon von Spannung geprägt, so sollte die zweite dramatisch werden. Das DHB-Team
erwischte den besseren Start, glich binnen 90 Sekunden durch Glandorf und Hens aus. Ein erneuter
Doppelschlag vom überragenden
Kim Andersson brachte die Schweden
wieder mit zwei Toren in Führung, ehe Roggisch verletzt auf die Bank musste (37.) - böse
Ahnungen rief das Fehlen des Abwehr-Asses in den vielen deutschen Fans in Trondheim hervor.
Doch dieses Mal konnten
Sebastian Preiß und Andrej Klimowets die
entstandene Lücke hervorragend schließen, zudem ging die Defensive nun aggressiver auf die
Rückraumschützen der Schweden. Trotzdem: Als kurz nach Hens' 25:24 (45.) auch noch Michael Kraus
verletzt ausschied, glich die deutsche Bank mehr einem Lazarett als einem zu allem entschlossenen Team.
Christian Zeitz kam nun auf die Platte und sorgte für Akzente: Zunächst
glich er zum 26:26 aus (50.). Als Andersson nach einem Zweikampf
mit Preiß am Ohr blutend kurz außerhalb der Platte behandelt werden musste,
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Ein heißer Kampf zwischen Deutschland und Schweden.
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War die e
stockte urplötzlich das schwedische Angriffsspiel. Und auch in der skandinavischen Defensive offenbarten
sich Lücken, die Klimowets zum 27:26 nutzen konnte. Eine grandiose Parade von Bitter, der nach einem
"Hallo-wach-Kopftreffer" von Lars Kaufmann in der Halbzeitpause inzwischen wieder zwischen den Pfosten stand,
leitete den Tempogegenstoß von Kehrmann ein, den dieser sicher zum 28:26 abschloss. Deutschland
war am Zug, doch in der immer mehr Fahrt aufnehmenden Partie wollten sich die Schweden keinesfalls
kampflos ergeben - sie witterten auch nach
Zeitz'-Hammer zum 29:27 und
Hens' durch die Beine von Beutler gehendes 30:27 (56.) noch ihre Chance auf das Remis. Das DHB-Team
versuchte, mit lang ausgespielten Angriffen die Zeit von der Uhr zu nehmen, doch selbst nach
Bitters gehaltenem
Lundström-Siebenmeter und Baurs abgefangenen
Andersson-Pass durfte nicht aufgeatmet werden. Vier torlose Minuten -
Doder und Lennartsson bedankten sich zum 29:30 aus schwedischer Sicht. Noch zwanzig Sekunden waren da zu spielen,
Scheden-Coach Ingemar Linnell ordnete eine offene Manndeckung an, Heiner Brand nahm vierzehn Sekunden
vor Ende die letzte Auszeit.
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Geschafft! Deutschland feierte mit einer Jubeltraube den Halbfinaleinzug.
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"Ball halten, sicher abspielen - mehr können wir nicht tun!" Gesagt getan - der finale Bodenpass
landete bei Baur, der zwei Sekunden vor dem Ende alles klar machte - Deutschland steht im
Halbfinale
der diesjährigen
Europameisterschaft!
Am kommenden Samstag treffen die Deutschen dort auf Dänemark, im zweiten Halbfinale kämpfen
Thierry Omeyer und Nikola Karabatic gegen
Kroatien um den zweiten Finalteilnehmer. Die Kroaten hatten zuvor mit einem 23:23-Remis
Gastgeber Norwegen ausgeschaltet.
(Christian Robohm)
Im ersten Spiel des Tages in der deutschen Gruppe 2
schlug Ungarn erwartungsgemäß den mit der zweiten Garnitur spielenden
amtierenden Europameister Frankreich mit 31:28 (15:11)
(siehe Spielbericht).
Spanien schlug Island indes mit 33:26 (18:15).
Lesen Sie bitte auch den ausführlichen Spielbericht der KN.
Bundestrainer Heiner Brand gegenüber der ARD:
Insgesamt war der Sieg heute verdient, wir haben eine sehr starke Leistung - die
beste des bisherigen Turniers - abgeliefert. In der Abwehr hatten wir zu Beginn einige
Probleme, dafür zeigte der Angriff sein bisher bestes Spiel. Oliver Roggisch wird
mit einem Muskelfaserriss wahrscheinlich für das Wochenende ausfallen, sodass
er auch gegen Dänemark wohl nicht eingesetzt werden kann. Die Dänen liegen uns sicher
besser als Frankreich, wenngleich wir das Testspiel in Kiel nicht als Maßstab nehmen
dürfen.
gegenüber den KN:
Dieses Spiel ist nach unseren bisher gezeigten
Leistungen eine kleine Überraschung für mich gewesen. Wir haben
uns im Angriff enorm verbessert. Dänemark hat eine gute Truppe,
sonst wären sie nicht Erster geworden.
Johannes Bitter gegenüber der ARD:
Heute hatten wir einfach mehr Glück. Es war ein knappes Spiel, in dem die Schweden
zeitweilig sogar überlegen waren, wir am Ende aber einfach mehr an uns geglaubt haben.
Wir haben mehr gekämpft, wollten unbedingt siegen. Dass Lars Kaufmann mir in der
Pause den Ball ins Gesicht geworfen hat, hat bei mir eine zusätzliche Portion
Adrenalin freigesetzt. Zum Halbfinale: Die Dänen haben sich mit Sicherheit nicht uns
als Gegner gewünscht, trotzdem wird es ein ganz anderes Spiel als zuletzt in Kiel.
Dänemark hat bisher eine Super-EM gespielt, aber wir müssen trotz
unserer Ausfälle einfach weiter machen!
TV-Experte Christian Schwarzer gegenüber den KN:
Kämpferisch war das erste Sahne.
Das war deutscher Handball wie man
ihn kennt. So muss es sein. Mit mir
können sie eben nicht verlieren.
Michael Kraus gegenüber den KN:
Jetzt sind wir wieder ganz dick dabei. Man
hat gesehen, wie wir alle zusammengehalten
haben. Die ganze Bank hat
mitgezittert - so muss es sein.
Florian Kehrmann gegenüber den KN:
Was genau den Ausschlag gegeben
hat, kann man gar nicht genau sagen. Als Mannschaft haben wir super gekämpft.
Im Halbfinale ist jetzt alles möglich.
Schweden-Keeper Tomas Svensson gegenüber den KN:
Wir haben zwei Tage hintereinander
Glück gehabt, diesmal nicht. Deutschland hat es verdient. Sie hatten
in den entscheidenden Situationen mehr Selbstbewusstsein als wir.
Ich bin trotzdem stolz, was unsere junge Mannschaft geleistet hat.
Schweden-Keeper Dan Beutler gegenüber den KN:
Wir waren
nur zwei Tore vom Halbfinale entfernt. Natürlich sind wir enttäuscht,
man darf aber nicht vergessen, dass wir gegen eine gute Mannschaft
ausgeschieden sind, die verdient gewonnen hat.
- Deutschland:
-
Fritz (14.-40., 5 Paraden),
Bitter (1.-14., 41.-60., 10 Paraden);
Hens (7),
Roggisch,
Klein,
Preiß (1),
Glandorf (7),
Baur (5/4),
Zeitz (2),
Jansen,
Klimovets (4),
Kraus,
Kehrmann (5),
Kaufmann (n.e.);
Trainer: Brand
- Schweden:
-
Svensson (1.-17., 54.-60., 3 Paraden),
Beutler (18.-54., 11 Paraden);
Boquist (6),
Lundström (2/2),
Kim Andersson (9),
Källman (1),
Jernemyr,
Pettersson (n.e.),
Lennartsson (4/1),
Doder (3),
Ahlm (1),
Arrhenius (1),
Larholm (1/1),
Carlen (1);
Trainer: Linnell
- Schiedsrichter:
-
Visekruna / Stanojevic (SRB)
- Zeitstrafen:
-
Deutschland: 5 (2x Roggisch (29., 33.), 2x Klimowets (30., 48.), Kehrmann (60.)) ;
Schweden: 3 (Larholm (29.), Jernemyr (30.), Andersson (38.))
- Siebenmeter:
-
Deutschland: 5/4 (Beutler hält Baur (49.)) ;
Schweden: 7/4 (Andersson gegen Fritz an die Latte (15.),
Beutler hält Larholm (35.) und Lundström (58.))
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 0:2, 1:3 (3.), 2:4, 4:4 (6.), 5:6 (8.), 7:6 (11.), 9:7 (13.), 9:9 (17.), 10:9, 10:11 (21.), 11:11, 11:13,
12:14 (25.), 14:14 (27.), 14:16, 15:17 (29.), 16:18;
2. Hz.: 18:18 (32.), 19:19, 19:21 (37.), 21:21 (38.), 24:22 (41.), 24:24, 26:26 (50.), 28:26 (53.),
28:27, 30:27 (56.), 30:29 (60.), 31:29.
- Zuschauer:
-
2915 (Trondheim Spektrum, Trondheim (NOR))
Aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2008:
Mit Zitterpartie und Kämpferherz ins Halbfinale
31:29-Sieg über Schweden - Jetzt gegen Dänemark - Roggisch schwer verletzt - Baur machte alles klar
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Nach dem Sieg feierten die Deutschen bei McDonald's.
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Trondheim - Zwei blaue Augen und ein Lachen. Nach den Niederlagen
gegen Spanien und Frankreich saß die deutsche Nationalmannschaft
in Norwegen schon auf gepackten Koffern.
Doch nach dem dramatischen 31:29 (16:18)-Sieg gegen Schweden
hat der Weltmeister gestern Abend tatsächlich noch den Einzug
ins Halbfinale perfekt gemacht. Gegner ist morgen in Lillehammer
der WM-Dritte Dänemark (18 Uhr, ARD).
Die Entscheidung fiel wieder einmal
in den letzten Sekunden. 30:28 führten die Deutschen, als
Henrik Lundström zum Siebenmeter antrat.
Gegen Johannes Bitter. Schweden gegen Deutschland, oder THW
Kiel gegen den HSV Hamburg. Im Bundesliga-Derby hatten die "Zebras"
sechs Siebenmeter gegen Bitter verworfen. Aber nicht Lundström.
Der Schwede wollte den Hünen auf dessen linker Seite knacken.
Halbhoch. Und verwarf. "Das ist einzige Stelle, auf die man bei
Bitter auf keinen Fall zielen darf", ärgerte sich der Linksaußen.
Ein Unentschieden hätte den Skandinaviern genügt, doch der
Weltmeister blieb auf der Zielgeraden eiskalt. Der gute
Christian Zeitz spielte Markus Baur frei und
Kapitän traf zum 31:29. Eine Erlösung für das deutsche Team, das in
Norwegen bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich hat. "Das
ganze Turnier ist für uns eine einzige Achterbahnfahrt", meinte Oliver
Roggisch. "Aber heute war der Wille da. Wir wollten unbedingt gewinnen
und haben die entscheidenden zehn Prozent gebracht." Auch der
Abwehrchef, der sich aber mit gemischten Gefühlen freuen musste.
In der 38. Minute hatte ihm das rechte Bein den Dienst versagt. Bei
einem Gegenstoß, ohne Kontakt mit einem Schweden. "Da hat es plötzlich
geknallt", sagt Roggisch, der einen Muskelfasserriss und damit das
EM-Aus befürchtet. "Das wird
wohl nichts mehr." Angeschlagen auch Michael Kraus, der im zweiten
Durchgang einen Schlag auf den linken Unterarm erhalten hatte. Die
Hand wurde taub, das Gefühl war weg. Auch hinter dem morgigen
Einsatz von Kraus ("Ich hatte höllische Schmerzen") steht ein Fragezeichen.
Zwischendurch erinnerte das Spielfeld an ein Feldlazarett. Überall
lagen verletzte Spieler, umringt von besorgten Betreuern. Beide
Mannschaften hatten in diesem intensiven Ringen alles gegeben. Am
Ende entschieden Kleinigkeiten. Zweimal hatten die Skandinavier in
der Hauptrunde zuvor ein Spiel noch in der letzten Sekunde gedreht,
diesmal war das Glück auf der Seite der Deutschen. Sie hatten
es sich mit einer enormen Leistungssteigerung nach der Pause
auch verdient. Bis dahin ließ die Abwehr jenes Feuer vermissen, das sie
tags zuvor bei der 23:26-Niederlage gegen Frankreich gehabt hatte. Vor
allem gegen Kim Andersson fanden
die Deutschen kein Rezept. Der Linkshänder des THW Kiel warf
neun Tore, war mit einem Fehlpass in dieser unglaublichen Schlussminute
aber auch an der Niederlage beteiligt. In den Reihen der Deutschen
meldete sich endlich der siebenfache
Torschütze Pascal Hens zurück. Der Hamburger, bislang eine Enttäuschung, avancierte neben
Holger Glandorf (7) zum Matchwinner einer Mannschaft, der nun wieder
alle Türen offen stehen. Nach dem Sieg verschwand das Team geschlossen
zu McDonalds, heute morgen reist es nach Lillehammer
weiter, um das zu schaffen, womit eigentlich keiner mehr gerechnet
hatte - die Goldmedaille gewinnen.
(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2008)