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03.04.2008 Champions League / Mannschaft

"Handball-World": Kiel will gegen Barcelona die Historie endlich umschreiben

Stefan Lövgren blickt zurück und voraus

Von Frank Schneller, © 2008 www.handball-world.com:

Stefan Lövgren: "Wir können auch auswärts bestehen"
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Deutschland gegen Spanien - mal zwei. So lautet das Motto im Halbfinale der Champions League. Während Hamburg gegen Ciudad Real Neuland in der Königsklasse betritt, ist das zweite Gipfeltreffen ein Duell guter alter Bekannter, eine Neuauflage: THW Kiel gegen FC Barcelona. Vor diesem vorweggenommenen Traumfinale haben die Kieler, seit Kurzem schon wieder Pokalsieger, jedoch nicht die besten Erinnerungen an die gemeinsame Vergangenheit... Regisseur Stefan Lövgren ruft mit Frank Schneller die Erinnerung an die Historie, die es zwischen diesen beiden Superteams gibt, noch einmal ab.
Wenn am Sonntag in der Sparkassen-Arena das erste von zwei Halbfinalspielen zwischen Deutschlands Rekordmeister und dem sechsmaligen Champions League-Sieger angepfiffen wird, nimmt der amtierende Titelverteidiger bereits den vierten Anlauf in der Königsklasse, das Prestigeduell in der Endabrechnung endlich einmal für sich zu entscheiden. "Und zum vierten Mal spielen wir erst in Kiel und dann in Barcelona", sagt Stefan Lövgren. Der Regisseur ruft die Erinnerung an die Historie, die es zwischen diesen beiden Superteams gibt, noch einmal ab.

Kiel gegen Barcelona - das ist ein wenig wie die internationale Version von Kiel gegen Flensburg. Nur mit umgekehrten Vorzeichen bis dato. "Wir werden Vollgas geben, solange es geht", prophezeit Lövgren. Keine Frage: Das Kieler Spiel hat sich mit den Jahren verändert. Hochgeschwindigkeitshandball wird das genannt, was der THW - solange die Kraft reicht - aufs Parkett zaubert. Barcelona indes lebte derweil meist von der Strategie, zwei komplette Besetzungen aufbieten zu können - und damit einhergehend, auch das Tempo eines Spiels zu variieren. Stefan Lövgren ist einer der wenigen "Veteranen", die über einen wertvollen Erfahrungsschatz verfügen, was dieses Duell angeht. Nun will er noch einmal den ganz großen Wurf schaffen - einen Triumph über die Katalanen.

In jüngster Vergangenheit war man sich nicht mehr begegnet. Letztes Jahr, beim Champions League-Sieg des THW, hatte ausgerechnet die SG Flensburg-Handewitt den großen FC Barcelona aus dem Weg geräumt - zudem glich 'Barca' im vergangenen Wettbewerb mehr an ein uneingespieltes, bunt zusammen gewürfeltes Sammelsurium von Stars - und Ex-Stars. In der Campushalle wurde das Team regelrecht vom Parkett gefegt. Ein offenbarer Zerfall und Indiz dafür, dass eine Epoche zu Ende gegangen war.

Eine neue Ära hat inzwischen begonnen: Mittlerweile beeindruckt der aus lauter Hochkarätern bestehende Kader von Trainer Xesco Espar Moya nicht nur durch Namen, sondern auch wieder durch homogenes Spiel. "Hamburg, Ciudad, Barcelona und wir - es gab kein leichtes Los mehr. Das sind vier Weltklassemannschaften. Wenn wir unseren Titel verteidigen wollen", sagt Lövgren, "müssen wir Barcelona eben aus dem Weg räumen". Der schwedische Spielmacher des THW hat alle Duelle zwischen Kiel und Barcelona mitgemacht: "Es steht vier zu vier. Nach Siegen. Aber eins zu drei in der Gesamtrechnung. Diese acht Spiele waren stets ein Höhepunkt. Sportlich wie auch emotional. Solche Begegnungen machen einfach großen Spaß."

Lövgren, der im Halbfinale des Pokalwochenendes gegen die Rhein-Neckar Löwen rund 45 Minuten lang ein perfektes Spiel ablieferte, geht die Duelle noch einmal durch: "Lauter denkwürdige Spiele voller Dramatik, Rasse und Klasse", erinnert sich der 37-Jährige, "und immer fehlten uns ein paar Sekunden oder ein einziges Tor zum Triumph". Den einzigen Erfolg gegen den Erzrivalen feierte das Team von Trainer Noka Serdarusic ausgerechnet im weniger bedeutsamen EHF-Pokal. In diesen Finalspielen setzte sich der THW 2002 mit 36:29 und 24:28 durch.

Der Rückblick auf die Champions League-Bilanz der beiden Star-Ensembles indes bedrückt die Kieler Handballseele: Im April 2000 treffen die großen Rivalen im Finale aufeinander. Der THW gewinnt in der Ostseehalle 28:25, verliert aber bei 'Barca' - übrigens mit Christian Schwarzer - 24:29. "Das war das dramatischste Duell, die dubioseste Schlussphase in punkto Schiedsrichterleistung und der bitterste Ausgang. Wir haben lange darunter gelitten", erinnert sich Lövgren. Als der Gast in der letzten Minute beim Stand von 24:28 mit einem weiteren Tor ein Siebenmeterwerfen erzwingen kann, verleiten die Unparteiischen den angreifenden THW nach wenigen Sekunden mit einer absurden Zeitspiel-Warnung zum überhasteten Fehlwurf. Im Gegenzug fällt mit dem Schlusspfiff das 24:29 aus Kieler Sicht. Kiels eiserner Coach Serdarusic hat Tränen in den Augen - ein historischer, trauriger Moment. Der viele Jahre - eigentlich bis zum Gewinn des Titels 2007 - an Serdarusic nagte, ihn trotz aller Erfolge umtrieb. "Ich weiß, wie sehr sich Noka diese Trophäe gewünscht hatte", sagt Lövgren, der ihm den 'Pott' letztes Jahr bei der Champions-Feier persönlich auf den Dinner-Tisch wuchtete und sagte: "Hier Coach, der gehört Dir."

"Damals aber war es schon eine sehr bittere Erfahrung", so Lövgren, "man wusste ja nicht, wie nahe man diesem Titel noch einmal kommen würde. Und wir waren damals keineswegs schlechter." Nur eben einen Tick unglücklicher, vielleicht auch etwas weniger abgezockt oder wohl weniger gut gelitten bei den Referees.

Im März 2001 die Wiederholung - diesmal im Halbfinale: Kiel legt Zuhause ein 28:24 vor, aber in Barcelona scheitern Magnus Wislander und Co. erneut: 28:33. "Jedes Ausscheiden schmerzt, aber das verlorene Finale wog schwerer", beschreibt Lövgren die Gefühlslage in Kiel, wenn man an die Duelle mit Barcelona gedanklich noch einmal abruft. Im März 2005 das nächste Deja Vu: Kiel schafft einen 30:25-Heimsieg, die Katalanen drehen im Rückspiel den Spieß um - 27:33. Aus im Viertelfinale.

Vor der Neuauflage plagen den THW - einmal mehr - Personalsorgen: Christian Zeitz verletzt, Viktor Szilagyi ebenso, Filip Jicha wohl gleichermaßen außer Gefecht - es sei denn, seine Knöchelverletzung lässt sich rechtzeitig in den Griff bekommen. Viele andere Spieler sind angeschlagen - allen voran Kim Andersson, der beim Final Four ein Schatten seiner Selbst war.

Aber, im Vergleich zu früher sind die Hoffnungen auf einen Erfolg unverändert groß, denn: Kiel hat das Gewinner-Gen. Mittlerweile auch auf internationalem Parkett. Diesmal, so Lövgren, ist der THW nicht Außenseiter: "In der Vergangenheit war Barcelona stets leichter Favorit - diesmal sind wir aber der Titelverteidiger. 'Barca' hat zwar den Umbruch geschafft und wieder ein Topteam, wir müssen uns jedoch keinesfalls verstecken."

Ist es ein Nachteil, wieder erst Zuhause vorlegen zu müssen? "Anders herum wäre es auch mal angenehm gewesen", sagt Lövgren, "aber es ist wie es ist. Wir kalkulieren nicht lange herum - wir können auch auswärts bestehen." Er weiß: Will man einen Vorsprung verwalten, geht das im Handball oft genug schief.

Aber: Ist der Palau Blaugrana in Barcelona für Kiel nicht mittlerweile ein traumatischer Ort? "Nein, es sind ja nur noch ganz wenige Aktive dabei, die das alles aktiv mitgemacht haben und für die das eine Bedeutung haben könnte", erklärt Lövgren: Beim THW ist es nur er selbst - "und ich kann damit umgehen". Der Palau dürfte für einen wie ihn den Schrecken verloren haben. Bei 'Barca' sind es Torwart Daniel Baruffet, Demetrio Lozano, der bis auf 2005 alle Duelle mitmachte, 2002 übrigens im THW-Dress, und inzwischen wieder in Barcelona anheuerte. Sowie - ausgerechnet - Abwehrhüne Andrei Xepkin.

"El Gigante" hatte 2007 seine Handball-Rente unterbrochen und dem damals stark dezimierten THW mit einem spektakulären Comeback zum 'Triple' verholfen. Der 42-Jährige ist in Kiel seitdem ein Held, hilft nun aber seinem Ex-Verein Barcelona aus einem Personalengpass: Erneut kehrte er unlängst aufs Spielfeld zurück, um seinen achten (!) Champions League-Sieg zu erringen, diesmal wieder mit Barcelona. "Wir lieben Andrei alle", sagt Stefan Lövgren, "er hat bei uns ein sensationelles Gastspiel gegeben - nun aber ist er wieder auf der anderen Seite. Und wir können leider keine Rücksicht nehmen."

(von Frank Schneller, © 2008 www.handball-world.com)


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