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28.08.2012 Bundesliga

Zebra-Journal: Die Löwen brüllen leiser

Jahr eins nach dem Abschied von Nielsen: Im Badischen kehrt der Realismus ein

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012:

Das Team der Rhein-Neckar-Löwen.
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Ein Umbruch. Wieder einmal. Nichts Neues also bei den Rhein-Neckar Löwen? Oh doch! Denn die Zeiten der flotten Sprüche, forschen Kampfansagen, großen Investitionen und realitätsfernen Ziele sind vorbei. Der Grund: Erst wollte Geldgeber Jesper Nielsen nicht mehr in die private Schatulle greifen, jetzt kann er es nicht mehr.
"Er ist nicht in der Situation, die ursprünglichen Verträge zu erfüllen. Aber wir haben uns getroffen und einen Vergleich gefunden", teilte Geschäftsführer Thorsten Storm schon zu Beginn der Saisonvorbereitung mit, um sogleich das leidige Thema zu den Akten zu legen: "Jetzt freuen wir uns auf die Zukunft." Und die sieht ein wenig anders aus, als es einmal geplant war. Der badische Bundesligist hat zwar nach wie vor reichlich Qualität im Kader, kann sich aber keine Fantasiegehälter und 15 Weltklasse-Profis mehr leisten. Auch deshalb wurden die langfristigen Verträge mit Karol Bielecki, Krzysztof Lijewski und Ivan Cupic aufgelöst. Ab sofort will und muss der Club verstärkt auf die Jugend setzen. Gleich neben der Trainingshalle in Kronau steht das Handball-Förderzentrum, dem in der Vergangenheit wenig Beachtung geschenkt wurde. Jetzt soll hier die Zukunft der Löwen liegen.

"Das ist ein Paradigmenwechsel. Wir schrauben unseren Altersschnitt von 30 auf 25 Jahre herunter", berichtet Storm, der 2007 bei den Badenern angetreten war, um Meister zu werden. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht, trotzdem glaubt er an die Löwen. "Das Projekt ist nicht gescheitert, sondern der schnelle Weg auf der Überholspur zu einem Ziel. Wir hatten ein anderes Konzept, als Jesper Nielsen sagte, er wolle hier den besten Club der Welt entwickeln. Es kann ein Weg sein, sich ein schnelles Auto zu kaufen und loszufahren. Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit: Man entwickelt sich Schritt für Schritt, fährt in einem Bus und nimmt alle mit. Das dauert länger, aber man kommt trotzdem an. Und zwar gemeinsam. Und genau das tun wir jetzt. Bescheidenheit und Kontinuität tun uns gut."

Zu diesem längeren Weg gehört der Einbau von Talenten, die über mehrere Jahre selbst ausgebildet wurden. So wie es einst bei Idol Uwe Gensheimer war, der von den 14- und 15-Jährigen im Förderzentrum verehrt wird. Alle wollen so werden wie er - und jetzt bekommen sie auch wieder eine realistische Chance. Das wurde schon gegen Ende der vergangenen Saison deutlich, als Trainer Gudmundur Gudmundsson den Worten endlich Taten folgen ließ. Kevin Bitz (19) und U-18-EM-Held Jonas Maier (18) kamen zum Einsatz, die Verpflichtung von A-Jugend-Bundesliga-Torschützenkönig Marius Steinhauser (HG Oftersheim/Schwetzingen) zeigt in dieselbe Richtung. "Ich stehe zu 100 Prozent hinter dieser neuen Ausrichtung und freue mich auf die neue Saison", unterstreicht Gudmundsson: "Ziel ist es nun, aus Topspielern und Talenten, aus wirklich tollen Typen eine Einheit zu formen, die zusammensteht und alles gibt. Immer. Dann stellt sich auch Erfolg ein." Nur mit Nachwuchskräften wollen die Löwen indes nicht in der Bundesliga bestehen. Weil sie wissen, dass dies nicht möglich ist - zumal ein Platz unter den Top Sechs angestrebt wird. "Man kann jungen Spielern wie Kevin Bitz nicht zumuten, sofort das volle Pensum zu bestreiten. Über kurz oder lang werden wir ihn und andere Jungs aber in der Liga sehen. Unser Trainer hat aber ganz klar den Auftrag, die jungen Leute einzubauen", sagt Storm, der stolz darauf ist, die Mannschaft mit Niklas Landin, Alexander Petersson, Matthias Gerlich, Kim Ekdahl Du Rietz sowie den Zwillingen Isaias und Gedeon Guardiola zusätzlich "sinnvoll verstärkt" zu haben.

Keine Frage: Trotz des reduzierten Etats nagen die Löwen nicht am Hungertuch, wie die Transfers zeigen. "Ich muss an meine Familie denken. In Mannheim verdiene ich besser", gesteht Petersson, der Berlin mit viel Wehmut verließ. Füchse-Manager Bob Hanning bestätigt das: "Alexander war unser teuerster Spieler, aber er bekommt bei den Löwen 50 oder 60 Prozent mehr Gehalt. Da können wir nicht mithalten." Gleichwohl hat sich Petersson sein Kapitel bei den Badenern etwas anders vorgestellt. Frühzeitig hatte er sich an die Löwen gebunden, zu einer Zeit, als das Geld bei Nielsen noch locker saß. "Diese Entwicklung ist traurig. Ziel war es, Hamburg und Kiel auf Augenhöhe zu begegnen. Daraus wird jetzt wohl nichts. Mit Berlin und Flensburg sollten wir in der nächsten Saison aber mithalten können", meint der Isländer. Von ihm und auch den anderen Neuen erhoffen sich die Löwen-Bosse einen Schub für die ganze Mannschaft. Es soll Schluss sein mit dem Dienst-nach-Vorschrift-Handball der vergangenen Jahre. Ekdahl Du Rietz, Shooting-Star der WM 2011, fiebert seinem Abenteuer schon entgegen. "Jeder Basketballer will in die NBA. Und jeder Handballer in die Bundesliga", unterstreicht er die Anziehungskraft der höchsten deutschen Spielklasse: "Die großen Hallen, die vielen Zuschauer, die Duelle mit den weltbesten Spielern - all das reizt mich. Jede Partie ist eine Party." Der Rechtshänder sprüht nur so vor Tatendrang. Und eines wird auch ganz schnell deutlich: Der Schwede möchte die Fans begeistern, ihnen etwas bieten: "Ich will meinen Teil zu einer vollen SAP-Arena beitragen. Wir wollen Spaß auf dem Feld haben und den Fans Freude bereiten." Fakt ist, dass die Löwen schon sehr früh in der Saison wissen werden, wo sie stehen. Zunächst geht es nach Göppingen, dann nach Melsungen. "Ein schwieriges Startprogramm", sagt Storm - auch mit Blick auf die Olympischen Spiele. Denn in London weilten Gudmundsson, Gedeon Guardiola, Petersson, Ekdahl Du Rietz, Landin und Zarko Sesum, weshalb sie den Großteil der Saisonvorbereitung verpassten. Es herrscht akuter Fehlstart-Alarm. Doch ab sofort wollen sie in Mannheim ja ausnahmsweise die Ruhe bewahren.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012)


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