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13.01.2012 EM 2012

Kieler Nachrichten: Der erste Härtetest für die Demokratie

Nationaltrainer Martin Heuberger setzt bei der EM auf Mitsprache

Aus den Kieler Nachrichten vom 13.01.2012:

Vom 15. bis 29. Januar 2012 findet die EM 2012 in Serbien statt.
Klicken Sie für weitere Infos! Vom 15. bis 29. Januar 2012 findet die EM 2012 in Serbien statt.
Düsseldorf. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat das Projekt "London" begonnen. Gestern Morgen flog das Team von Martin Heuberger von Düsseldorf nach Belgrad, von dort reiste sie ins 250 Kilometer entfernte Nis. Hier beginnt für die Deutschen am Sonntag (17.20 Uhr/ZDF) gegen Tschechien die Vorrunde der Europameisterschaft, in der auch Schweden und Mazedonien Gegner sein werden. Die drei besten Teams erreichen die Hauptrunde, in der sich entscheidet, welche beide Nationen sich an der Abendkasse noch über ein Ticket für ein Olympia-Qualifikationsturnier freuen dürfen.
Selten waren die Prognosen trostloser. Zwar animierte der Fernsehsender Sport1, der 30 EM-Spiele übertragen wird, die Deutschen zuletzt, optimistische Spots zu drehen. So sollten sie öffentlich ihren Willen bekunden, Europameister werden zu wollen. Gewünscht, gesagt. Doch kaum waren die Filmchen abgedreht, rupfte Sport1-Experte Stefan Kretzschmar sie in der "Sportbild". Der Ex-Nationalspieler behauptete, dass "diese Jungs" gar keine Lust hätten, für Deutschland zu spielen. Der Adler auf der Brust sei eher eine Belastung. Unterhaltungen würden im Hotel lediglich per Facebook und durch Zimmerwände geführt, auf dem Feld eine Hierarchie fehlen, ein Anführer. Kretzschmar bezweifelte auch, dass Heuberger der geeignete Mann sei, der diese Mannschaft, die schwierige Charaktere beinhalten soll, führen kann.

Ein Blick auf die Zahlen gibt ihm recht. Heuberger hat seit seinem Amtsantritt im Juli vergangenen Jahres vier seiner fünf Länderspiele verloren. Beim Supercup verlor der Schutterwalder, der den Dauer-Trainer Heiner Brand beerbte, alle drei Spiele und handelte sich harsche Kritik ein, weil er großzügig gewechselt und so mögliche Erfolgserlebnisse gegen Dänemark, Schweden und Spanien verspielt hatte. Erfolge, die einer verängstigten Mannschaft möglicherweise neuen Mut eingeflößt hätten. Auch in den beiden Testspielen gegen die Ungarn (36:33/21:22) am vergangenen Wochenende setzte Heuberger auf Rotation und riskierte gegen einen Gegner mit überschaubarer Klasse eine Blamage. Die blieb nicht aus, die Niederlage in Magdeburg war eine ganz peinliche.

Wichtiger als der Erfolg, so scheint es, ist Heuberger das Teamgefühl. Er will den Glauben vermitteln, dass jeder wichtig ist. Das war im Brand-Zeitalter anders. Heuberger, der sieben Jahre als Co-Trainer wirkte, kennt die Mannschaft ganz genau. Auch er weiß, dass ein Anführer fehlt. Torhüter Johannes Bitter wäre der einzige Kandidat. Doch der Hamburger hat seinen Abschied eingereicht und fährt in diesen Tagen lieber mit der Familie Ski.

Heuberger weiß auch, dass die Achse Torhüter/Mittelmann/Kreisläufer keine funktionierende ist. Torhüter Silvio Heinevetter ist bislang den Nachweis schuldig geblieben, ein ganzes Turnier auf hohem Niveau bestreiten zu können. Die Probleme auf dem Regiestuhl sind hinlänglich bekannt, und am Kreis hat Heuberger gar ein Experiment gewagt. Den Bald-Kieler Patrick Wiencek einzuladen, war sicher richtig. Der 22-Jährige ist ein Typ wie einst Klaus-Dieter Petersen. Unerschrocken, zuverlässig - einer, der ein Fels werden könnte. Aber mit der Nominierung von Christoph Theuerkauf hat er einen Schachzug gemacht, der Fragen aufwirft. Der 27-jährige Gymnastiklehrer, den die Mittelmacht TBV Lemgo gerade vor die Tür gesetzt hat, kann sich flink bewegen. Doch ihm fehlt der Körper, um für die Rückraumspieler Lücken zu reißen, und in der Abwehr ist er ebenfalls keine Hilfe.

Heuberger, so wirkt es, weiß, was er will. Er wollte Theuerkauf und er will die Demokratie. Vor dem Tschechien-Spiel diskutierte er mit seiner Mannschaft, welche Deckungsvariante sie denn für geeignet halten würde, um Welthandballer Filip Jicha zu stoppen. "Es hilft nichts, wenn ich das anordne", sagt Heuberger. "Sie muss sich mit der Entscheidung wohlfühlen." Ein neuer Weg. Die Mannschaft, mit der Brand am Ende die Kommunikation eingestellt hatte, ist dafür dankbar. Ob sie auch die Demokratie leben kann, wird sie nun beweisen müssen.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 13.01.2012) Aus den Kieler Nachrichten vom 13.01.2012:

Die deutschen Gegner im Kurzporträt
Mazedonien: Der Außenseiter setzt auf die eigenen Fans. Sie werden die Halle in Nis in einen Hexenkessel verwandeln. Großer Hoffnungsträger ist Kiril Lazarov von Atletico Madrid, der bei der WM 2009 in Kroatien Torschützenkönig war.
Bilanz gegen Deutschland: 2 Spiele, 2 Niederlagen.

Schweden: Der stärkste deutsche Vorrundengegner will den vierten Platz von der Heim-WM 2011 bestätigen. Die mit Verletzungsproblemen antretenden Schweden sind eine Sorge los: Sie haben sich bereits einen Platz bei einem Olympia-Qualifikationsturnier gesichert.
Bilanz: 97 Spiele, 47 Siege, elf Remis, 39 Niederlagen.

Tschechien: Die großen Erfolge liegen lange zurück. Doch vollkommen chancenlos reist der Weltmeister von 1967 nicht an. Unumstrittener Star ist Welthandballer Filip Jicha vom THW Kiel. Auf seinen Schultern lastet die Verantwortung, der 29-Jährige soll und muss für die Tore sorgen.

Bilanz: 81 Spiele, 26 Siege, acht Remis, 47 Niederlagen.

(aus den Kieler Nachrichten vom 13.01.2012)


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