17.-29.01.2009 - Letzte Aktualisierung: 29.01.2009 | WM 2009 |
Es herrschte eine eigenartige, frostige Atmosphäre in der fast leeren Sporthalle. Fleißige Helfer räumten die WM weg, wir grübelten - und gönnten uns ein Abschieds-Bier. "Jens", warf plötzlich W. aus L. ein, "Du bist Schuld. Hast an der Bande gesessen und nur teilnahmslos zugeguckt, als der Ball ins leere norwegische Tor flog." Jens ist der Kollege aus Lübeck, einer, der wirklich weiß, worüber er schreibt. Mit vollem Namen heißt er Jens Kürbis, er hat 31 Handball-Länderspiele für Deutschland als Torhüter absolviert.
J. K. schaute überrascht hoch: "Wie?" Klar, lautete die Antwort, "Du hättest über die Bande springen und im Hecht das Tor verhindern können, Deutschland wäre im Halbfinale, Du ein Held für alle Zeiten." Es wurde eine witzige Diskussion. Hätte der Blödsinn geklappt, stünden unsere Handballer morgen tatsächlich in Zagreb vor 15 000 im Halbfinale, da wo wir alle hinwollten. Die Regel nennt solche Vorfälle nämlich "Höhere Gewalt", keiner, nicht einmal slowenische oder rumänische Schiedsrichter, hätten das verhindern können. Aber die Vorstellung, wie 14 riesige polnische Handballer über unseren Jens hergefallen wären, hat uns schnell wieder zur Vernunft gebracht.
Genug, diese WM bleibt ganz sicher haften mit allen positiven und negativen Eindrücken. Bog, Kroatien, es war eine schöne Zeit.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 29.01.2009)
Akkurates Einpacken wäre allerdings schwer gefallen. Schlafmangel. Schuld war eine norwegische Schulklasse. Die Wikinger-Kinder fielen wie Barbaren über das Hotel her. Nachts um halb zwei begann das Inferno. Türen krachten, Schreie zerschnitten die Stille, es polterte und wackelte. Wird gleich vorüber sein, dachten wir Überfallenen. Pustekuchen, um zwei Uhr erreichte das Spektakel seinen Höhepunkt. Jetzt hatten sich auch andere Hotelgäste eingemischt, versuchten in Hemd und kurzer Hose, herumflitzende Teenager aufzuhalten. Vergeblich, wohl nur ein Heiner Brand in Norwegen-Pose hätte diesen Pulk erschreckt.
Gegen 2.30 Uhr war der Spuk vorüber. Am Frühstückstisch gab's viele zerknirschte Gesichter. Kollege A. aus HH hatte gar nicht mehr geschlafen, Kollege W. aus Leipzig "die blöde Hexe" als Anstifterin ausgemacht. Abends trafen wir die Gruppe im norwegischen Fanblock wieder. Den Lautstärkepegel aus der Nacht schaffte sie nicht annähernd: alles Pulver auf dem Hotelflur verschossen.
Egal, Reisetag. Diese Wikinger sehen und hören wir nie wieder. Dovidenja, Zadar.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2009)
Aber Heiner Brands Jungs können heute sogar das Halbfinale schaffen. Also ist sie plötzlich wieder da: die Socken- und Unterhosenknappheit. Und das schlechte Gewissen. Bin ich etwa der Einzige, der nicht an das DHB-Team geglaubt hat? Das Gespräch am Frühstückstisch lässt alle Selbstzweifel verpuffen. Einer vermisst saubere Hemden und T-Shirts, zwei weitere: Unterhosen und Socken.
Ha, jetzt durfte auch ich meinen Notstand schildern, mit der Anmerkung, gleich in den Supermarkt marschieren zu wollen, um diesen zu beheben. Journalisten verteilen gerne Aufträge. Socken waren dabei und Slips. Meine Bedingung für den Freundschaftsdienst: Die Auswahl übernehme ich. Für den Kollegen aus München habe ich zwei besonders scharfe Teile ausgesucht. Violett mit roter Aufschrift: "I AM THE GREATEST". Das haut seine Frau garantiert aus den Socken.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2009)
Angst vor Bären müssen wir im Süden Kroatiens nicht mehr haben. Die braunen Gesellen treiben sich mit ihren Kumpels, den Wölfen und Schakalen, oberhalb der Küstenlinie, in den zum Teil schneebedeckten Berglandschaften des "Gorski Katar" herum - hinter Gittern. In Wirklichkeit ist nämlich nicht der Bär Feind des Menschen, sondern wir machen dem scheuen Gesellen zu schaffen. Viele ließen ihr Leben bei Autounfällen, deswegen wurde die gesamte Länge der Autobahn zwischen Zagreb und Zadar, ca. 300 Kilometer, links und rechts mit robusten Gittern gesäumt und zum Gefängnis für Autofahrer umgebaut. Die Seiten darf Bär trotzdem wechseln. In 20-km-Abständen wurden "Grüne Brücken" errichtet, auf denen Vierbeiner die Autobahn queren dürfen. Dann, wenn auch sie Bewegungsdrang verspüren oder einfach nur Fernweh haben.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 26.01.2009)
Es wird gezetert, geschrieen, Krach gemacht. Die südlichen Kollegen sind nicht nur mit dem Kopf dabei, sondern vor allem mit dem Bauch, tragen auf der Pressetribüne das eigene Nationaltrikot, errichten vor jedem Spiel einen Altar" mit Autogrammkarten, Schals und anderen Fan-Utensilien. Jedes Tor der eigenen Mannschaft wird bejubelt, der Gegner ausgepfiffen. "Fans" auf der Pressetribüne, nicht witzig.
Gestern wäre es fast zum Eklat gekommen, weil einem Hamburger Kollege der Kragen platzte, er bat um etwas weniger Lautstärke und erntete eine ausgewachsene Schimpfkanonade. Ein weiteres Wort und der Presseraum wäre zum Boxring mutiert.
Nun ja, die Algerier sind wir los, President's Cup. Unsere schöne "Mona Lisa" von der Autobahn-Mautstelle ist im Norden zurückgeblieben. Nicht einmal ein Abschiedslächeln, ihr Dienstplan hatte wohl etwas dagegen. Goran und unsere neuen kroatischen Freunden aus "Martins Bar" bleiben auch zurück Varazdin. Ob's ein Wiedersehen gibt? Wohl eher nicht. Die Karawane zog weiter und wurde an der Adria mit blauem Himmel, Grad plus und Hotel mit Blick aufs Meer empfangen. Auch nicht schlecht.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 24.01.2009)
Äußerst reizvoll ist der sieben Kilometer lange Autobahnabschnitt, der unseren Aufenthaltsort Varazdinske Topliche (Varazdins Kurort) mit dem deutschen Vorrunden-Spielort Varazdin verbindet. Autobahn, reizvoll!? Okay, nur die Ausfahrt. Dort wartet nämlich der absolute Höhepunkt, lacht uns täglich aus tiefblauen Augen an. Die Mautstelle, an der wir zwei Kuna, umgerechnet 23 Cent, Autobahngebühr liegen lassen müssen, ist besetzt von einer "Göttin", wie der Kollege auf dem hinteren Sitz die schwarzhaarige Schönheit mit dem Lächeln der Mona Lisa spontan getauft hat. Von meinen drei Mitfahrern habe ich den Auftrag, mich der Schranke stets nur im Schneckentempo zu nähern. Wenn die "Göttliche" ihr Fenster öffnet, herrscht gespannte Stille, jeder will etwas abbekommen von diesem geheimnisvollen Moment. Und natürlich ist das Geld nicht abgezählt, wird erst umständlich und zeitraubend zusammengesammelt. Die kleine Autoschlange, die sich bildet, ist uns egal, Mona Lisa erträgt die Prozedur - mit ihrem Lächeln. Längst hat sich die attraktive Mautstelle auch bei den anderen Kollegen herumgesprochen. Radiomann Per will sogar über die Autobahn joggen, mit zwei Kuna in der Sporthose.
Heute heißt es, Abschied nehmen. Der Journalistentross zieht um in den 400 Kilometer entfernten Hauptrunden-Spielort Zadar an der Adria-Küste. Wir wollen mit einem 500-Kuna-Schein zahlen - das Wechselgeld muss Mona Lisa in kleinen Münzen auszahlen.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 23.01.2009)
In den Rauchschwaden hinter dem Tresen erkennt man Goran. Er spricht perfekt Deutsch, hat einige Zeit in Berlin gelebt und schenkt mit launigen Bemerkungen Bier, Wein und Schnaps aus. Wir sind gerne dort, haben Kontakte mit Einheimischen, von denen viele Deutsch oder Englisch sprechen. Die Getränke sind gut, an der Wand hängt ein Flachbildschirm, die Musikbox dudelt neue und alte Hits.
Durch das große Fenster schaut Ivano Balic herein - oder das, was von seinem stolzen, in allen Einzelheiten kunstvoll gefertigten Körper übrig geblieben ist. Vor ein paar Tagen maß der Eismann noch stolze zwei Meter, so groß wie sein Original selbst. Jetzt sinkt er, von Sonnenstrahlen und warmen 15 Frühlingsgraden gepeinigt, rasend schnell in sich zusammen, ist auf ein Häufchen Elend geschrumpft. Aus Gründen der Scham hatte man dem eisigen Ivano schon zu kalten Zeiten das auffällige Gemächt entrissen "Martins Bar" liegt direkt neben der katholischen Kirche.
Wenn die Kroaten im 85 Kilometer entfernten Zagreb spielen, ist hier die Hölle los, die Luft zum Schneiden dick, der Lärmpegel nur mit Oropax auszuhalten. Bisher wurden stets Siege bejubelt, dann ging es raus zum Eismann, er sollte mitfeiern. Spätestens morgen aber dürfte sich Ivano ganz und gar aufgelöst haben. Hoffentlich kein schlechtes Omen für den WM-Gastgeber.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 22.01.2009)
Filmproduzent Horst Wendland hatte diese Region in den 60er und 70er Jahren als Kulisse für seine kitschig-liebevollen Winnetou-Streifen ausgewählt. Verständlich, wie wir nach den ersten Metern durch die prägnante Landschaft um Varazdinske Toplice feststellen. Die Sinne dafür verlieren sich allerdings sehr schnell. Bei der ersten Bergankunft geht der Puls gegen 150 Schläge, unsere Köpfe: puterrot. Nach der Anhöhe lacht wie zur Belohnung die "Abfahrt". Der Verstand schaltet sich langsam wieder ein - und kramt Wissen aus dem Reiseführer hervor. Zum Beispiel, dass in diesen gebirgigen Regionen Kroatiens große Raubtiere wie Braunbären, Wölfe, Goldschakale oder Luchse zu Hause sind!
Plötzlich richten sich alle körpereigenen Antennen auf, die Sensoren sind hoch sensibilisiert, jedes Geräusch aus den Schluchten und Wäldern wird nach dem Gefahrengrad sortiert; die Schritte werden schneller, Puls spielt keine Rolle. Erst als die ersten Häuser auftauchen, kehrt Entspannung ein, die ein nicht angeketteter Kampfhund (Mischung American-Stafford-Doberman) indes postwendend verscheucht. Das Ungetüm besinnt sich zum Glück seiner wahren Pflichten und behütet mit furchterregendem Knurren weiter sein Haus. Morgen geht es zurück an die Save. Egal, wie das Wetter wird.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 21.01.2009)
Dem kroatischen Tabakkonsumenten geht es besser, er wird nicht vor die Tür gejagt, sondern darf Nikotin weiterhin in vollen Zügen einsaugen. In Kneipen, Restaurants, außer in Linienbussen überall. Wäre auch Quatsch, die Raucher zu verbannen, sie sind eine erdrückende Mehrheit. Gefühlt qualmt jeder Kroate und jede Kroatin, Katze, Hund und Kind. Tabakgenuss ist die Volkssucht Nummer eins. Fast jeder Mensch zieht ununterbrochen an einer Zigarette. So wird der Besuch einer Gaststätte für Nichtraucher zur Qual. Dicke Schwaden vernebeln die Sicht, legen sich auf Tische und Bänke, kriechen in die Kleidung, sorgen für Gestank und Atembeschwerden. Zustände, die sogar rauchenden Kollegen die gute Laune verderben. Er sei lieber ein "Aussätziger" in Deutschland als in diesen unerträglichen kroatischen Qualmwolken zu ersticken, stöhnt Zigaretten-Fan und Rundfunk-Kollege T. W. Dem ist nichts hinzuzufügen.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2009)
Richtig geraten, das Hotel Minerva, zwei Sterne, landesüblich, ist ein Reha-Zentrum, eine Kureinrichtung. Wir Journalisten sind exotische Gäste, ausnahmsweise für die WM-Tage einquartiert. Varazdinske Toplice heißt das verträumte Örtchen, eingebettet in eine kleine Gebirgskette und 15 Kilometer entfernt vom WM-Ort Varazdin. Schon die Römer badeten hier und nannten die Stätte Aquae Iasae, Wasser der ewigen Jugend.
Seitdem hat sich wohl kaum etwas verändert. Unsere Herberge ist ein Riesenschuppen, 220 Zimmer, Thermalbad mit 58 Grad warmer Schwefelquelle. Das Ambiente des 1979 noch unter General Josip Broz Tito errichteten und vermutlich nie sanierten Gebäude-Ungetüms erinnert stark an die FDGB-Erholungszentren der ehemaligen DDR, der Geruch hat jedenfalls hier überlebt. Wohl fühlen kann man sich trotzdem in diesem Retro-Schloss. Mein Kollege aus L. besonders. J. K. ist nämlich in der DDR groß geworden. Er fühle sich wie zu Hause, scherzt er. Und sicher sind wir sowieso. Stationsärztin Julijana Sujicu Miljava wacht in Zimmer 357 über uns. Sprechstunde täglich von sieben bis 15 Uhr.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 19.01.2009)
Aus den Kieler Nachrichten:
Meine Kollegen von anderen Zeitungen aber ebenfalls. Kein Grund zur Unruhe also. 14 Tage vor dem Start.
Leicht kribbelig geworden, schickte ich eine Anfrage an den WM-Veranstalter. Ob denn mein Name irgendwie aktenkundig sei, lautete der scheue Einwand. Keine Antwort. Zehn Tage noch bis zum Start. Kollege K. aus L. meldete stolz den Eingang seiner Zulassung. Na ja, K kommt vor P. Als Kollege W. aus H. Vollzug meldete, wurde ich nervös. Anrufe beim Präsidenten des Presseverbandes, national, international. Gespräche mit dem WM-OK bis hoch zum Chef. Am Dienstag, als der Koffer fast schon wieder im Keller lag, kam die Entwarnung. Ein paar e-mail-Zeilen von einem Herrn Vukelic öffneten auch für mich die WM-Pforte. Die Verzögerung? Ein Versehen. Käme vor bei 1400 Anträgen.
Gestern war alles ganz einfach. Eine freundliche Dame machte ein Foto, sah sich das knapp gehaltene Zulassungsschreiben an, zuckte die Schultern und händigte die Plastikkarte aus. Die Akkreditierung wäre wohl auch gegen ein x-beliebiges Schreiben mit meinem Namen drauf über den Tresen gegangen. Egal, die Spiele können beginnen.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 17.01.2009)
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