Es hat nicht sollen sein: Die durch Verletzungen arg dezimierte deutsche Nationalmannschaft hat den
Einzug ins Finale der
Europameisterschaft hauchdünn verpasst. Im
Halbfinale gegen Dänemark gab das Brand-Team noch einmal alles,
doch ein von Lars Christiansen in der letzten Sekunde verwandelter Siebenmeter riss das DHB-Team
aus allen Goldträumen. Am Ende gewannen die Dänen mit 26:25 (10:13) und zogen damit
erstmals in ein Finale bei einer kontinentalten Meisterschaft ein, wo sie am Sonntag auf Kroatien
treffen. Die Kroaten besiegten zuvor den haushohen Favoriten Frankreich mit 24:23. Deutschland
spielt nun am Sonntag um 13.30 Uhr gegen Frankreich um die Bronzemedaille.
Mit großen personellen Sorgen startet die deutsche Auswahl in die Partie gegen einen Gegner,
der nicht nur Bestbesetzung, sondern auch mit viel Selbstvertrauen antrat. In der Abwehr sollte
der kurzfristig nachnomminierte Frank von Behren das Loch stopfen, das Oliver Roggisch durch sein
verletzungsbedingtes Fehlen riss. In der Anfangsphase fehlte deshalb noch ein bisschen die Abstimmung
in der DHB-Abwehr, die mit viel Kampf und noch größerem Einsatzwillen aber kompensiert werden konnte.
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Erneute eine starke Leistung: Markus Baur.
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Die ersten Minuten gehörten im Angriff ganz klar Holger Glandorf, der drei seiner Treffer bis
zur neunten Minute erzielte. Da war noch nicht viel passiert, die Führung hatte gewechselt. Auch,
als es nach Hens 5:4 (11.) in der Offensive sieben Minuten lang hakte, wurde man auf Seiten des
Weltmeisters nicht nervös - auch wenn die Dänen durch Knudsen und ein Geschoss von Jensen mittlerweile
mit 7:5 in Führung gegangen waren (18.). Was folgte war die unglaubliche Johannes-Bitter-Show: Die Riese
im Tor schwang sich zu eben solchem auf, vereitelte reihenweise klarste Chancen der Dänen und leitet
damit ein ums andere Mal schnelle Gegenstöße ein. Glandorf aus dem Stand, Kraus mit einem
Alleingang, Kehrmann mit einem Heber über den starken Hvidt, Kehrmann per Tempogegenstoß: Aus dem Zwei-Tore-Rückstand
hatte die deutsche Mannschaft innerhalb von vier Minuten einen Zwei-Tore-Führung gemacht, ließ
sich in ihrem Vorwärtsdrang auch durch eine von Dänen-Coach Wilbek genommene Auszeit nicht
beirren. Bitter hielt - und das DHB-Team zog davon. 12:7 hieß es nach 26 Minuten, sieben Treffer in Folge
sorgten für Unruhe bei den Dänen. Doch durch Fehler im Angriff und einigen Löchern in der Defensive baute
das deutsche Team den Gegner wieder auf. Ganze 30 Sekunden benötigten die, um durch Boldsen und
Nöddesbo den Anschluss wieder herzustellen. Auch
Jansens toller Dreher schockte die Skandinavier nicht, mit dem
10:13 zur Pause konnten sie gut leben.
Kehrmanns 14:10 aus nahezu unmöglichem Winkel sollte den Auftakt zu dramatischen 30 Minuten bilden.
Dänemark hatte trotz des Treffers den besseren Start, zwei Minuten - drei Treffer - nur noch 14:13 für
die deutsche Mannschaft (34.), weitere vier Minuten später glichen die Dänen, bei den Hvidt nun zum
immer stärkeren Rückhalt seiner Verteidigung wurde, aus. Ein offener Schlagabtausch entwickelte sich,
in dem sich die Waagschale jedoch zusehends in Richtung der Skandinavier neigte. Den deutschen Rückraum,
durch eine Verletzung von
Zeitz und den Blessuren von Kraus
früh seiner Alternativen beraubt, wurde nun immer öfter Opfer der dänischen Abwehr-Jagd. Vor allem
Pascal Hens hatte einmal mehr keinen guten Tag erwischt, Holger Glandorf verließen zusehends die Kräfte.
Vom Kreis kam wenig Unterstützung, sowohl Klimovets als auch
Preiß waren
vollkommen abgemeldet. Aber immer, wenn man glaubte, Dänemark könne sich absetzen, kehrte die deutsche
Mannschaft wieder in die Partie zurück. Zumeist war es Bitter, der nach der sensationellenv ersten Hälfte
abbaute, der mit einigen schönen Paraden seine Vorderleute zur Energiefreimachung antrieb.
Als Kehrmann jedoch beim Tempogegenstoß zum 19:20 endgültig seinem Körper Tribut zollen und zur Behandlung
in die Kabine musste, war es um das Angriffsspiel nicht mehr gut bestellt - zumal das DHB-Team kurz
darauf eine doppelte Unterzahl zu überstehen hatte.
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Lars Christiansen dreht nach seinem finalen Siebenmeter jubeln ab.
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Aber auch die nutzten die Dänen nicht für eine Vorentscheidung, auch wenn sie in dieser Phase
aus einem 21:22-Rückstand eine 23:22-Führung machen konnten. Spätestens als Christansen zum 25:23 traf (58.), schien
die Partie endgültig entscheiden. Doch der Handball-Gott hatte noch einen finalen Akt im Ärmel:
Preiß verkürzte, Dänemark beging ein Stürmerfoul und 23 Sekunden vor
Schluss tankte sich Kraus einmal mehr durch die Abwehr - 25:25! Die Sekunden verrannen, doch in
die Verlängerung konnten sich Brands Mannen nicht mehr retten.
Preiß
wusste sich gegen Knudsen nur mit einem Foul zu behelfen, die Schiedsrichter pfiffen Siebenmeter. Drei Sekunden
vor dem Ende beorderte Brand
Henning Fritz ins Tor, hoffte mit dem
ehemaligen Magier ein Wunder herauf beschwören zu können. Doch es half nichts: Christansen verwandelte
den Strafwurf ungewohnt kaltschnäuzig - der Rest war dänischer Final-Jubel!
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Riesenjubel: Dänemark erreichte zum ersten Mal überhaupt ein EM-Finale.
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Für die deutsche Mannschaft geht es nun im kleinen Finale gegen den entthronten Europameister
Frankreich um die Bronze-Medaille. Anpfiff ist um 13.30 Uhr am Sonntag, das ZDF überträgt die
spannungsgeladene Partie live.
(Christian Robohm)
Im ersten Spiel Halbfinale unterlag Frankreich gegen Kroatien mit
23:24 (9:11)
(siehe Spielbericht).
Lesen Sie bitte auch den ausführlichen Spielbericht der KN.
Bundestrainer Heiner Brand gegenüber der ARD:
Die Verletzungen waren bitter, weil wir keine Alternativen hatten und unsere
Kräfte in der Schlussphase schwanden. Pascal Hens und Holger Glandorf mussten heute
wieder durchspielen. Von der Einstellung her war das heute aber in Ordnung, das Team hat gefightet.
Bei 12:7 in der ersten Hälfte haben wir wieder zu früh abgeschlossen und Dänemark rankommen
lassen, wenngleich man in solch einer frühen Phase sich mit Sicherheit nicht vorentscheidend
hätte absetzen können. In der zweiten Hälfte hatten wir dann Schwierigkeiten, zum Torerfolg zu
kommen: Der Angriff war nicht mehr dynamisch, nicht präzise und ein wenig zu ungeduldig - das
nutzen die Dänen, sie sind eine Spitzenmannschaft. Unsere Kräfte haben am Ende einfach nicht
mehr gereicht.
gegenüber den KN:
Heute hat uns am Ende die Frische
gefehlt, der Gegner hatte auf den zentralen Positionen
aber auch mehr Wechselmöglichkeiten.
Johannes Bitter gegenüber der ARD:
Unser Kräfteverschließ war enorm, am Ende konnten wir einfach nicht mehr
gegenhalten, weshalb der Sieg der Dänen gerechtfertigt ist. Aber wir haben
einmal mehr das Herz in beide Hände genommen und gekämpft - das kann aber nicht
immer klappen. Natürlich tut dies auch ein bisschen weh.
Markus Baur gegenüber der ARD:
Es war ein spannendes Spiel, dass Dänemark ein bisschen verdient gewonnen hat.
Aber wir haben uns nichts vorzuwerfen, haben ein gutes Spiel gemacht. Am Ende hat
es halt nicht gereicht, unsere vielen Verletzten sollten dafür auch nicht als
Entschuldigung herhalten. Aber was soll man machen: Lars Christiansen verwandelt zum
ersten Mal in seinem Leben einen Siebenmeter in einer wichtigen Phase eines wichtigen Spiels - und
das ausgerechnet gegen uns (lacht). Morgen werden wir noch einmal alles geben und alles
versuchen: Bronze ist ja schließlich auch etwas!
Frank von Behren gegenüber der ARD:
Wir haben in der zweiten Hälfte abgebaut und zu wenig Tore erzielt. Zugleich ist
Dänemark stärker geworden, letztlich geht deren Sieg in Ordnung - sie haben es auch
einmal verdient. Nun können wir morgen mit einer Medaille noch einen krönenden Abschluss
dieser Titelkämpfe feiern.
Lars Christiansen gegenüber den KN:
Ich habe oft gegen Fritz an der Strafwurflinie
gestanden. Ich wusste, dass ich dieses
letzte Tor machen werde. Es ist ein Traum für einen Handballer, in solchen Momenten
zu treffen. Der Sieg war verdient.
- Dänemark:
-
Hvidt (1.-60., 15 Paraden),
Henriksen (n.e.);
Boesen (3),
Joergensen (1),
Jensen (2),
Christiansen (5/3),
Spellerberg (2),
Knudsen (4),
Nöddesbo (1),
Jeppesen,
Sondergaard (1),
Boldsen (3),
Lindberg,
Nielsen (3);
Trainer: Wilbek
- Deutschland:
-
Fritz (1 Siebenmeter, 0 Paraden),
Bitter (1.-60., 18 Paraden);
Hens (3),
v. Behren,
Klein,
Preiß (1),
Glandorf (4),
Baur (4),
Zeitz (1),
Jansen (2),
Klimovets (1),
Kraus (3),
Kehrmann (6),
Kaufmann (n.e.);
Trainer: Brand
- Schiedsrichter:
-
Poladenko / Chernega (RUS)
- Zeitstrafen:
-
Dänemark: 2 (Boesen (26.), Knudsen (49.)) ;
Deutschland: 4 (v. Behren (49.), Zeitz (52.), Klimovets (54.), Preiß (60.))
- Siebenmeter:
-
Dänemark: 3/3 ;
Deutschland: 1/0 (Hvidt hält Baur (8.))
- Spielfilm:
-
1. Hz.: 1:0, 1:2 (3.), 3:3, 5:5 (12.), 7:5 (18.), 7:7 (19.), 7:12 (26.), 9:12 (28.), 10:13;
2. Hz.: 10:14, 13:14 (34.), 15:15 (38.), 18:18 (44.), 20:18 (46.), 20:20 (48.), 22:22, 24:22 (57.), 25:23,
25:25 (60.), 26:25.
- Zuschauer:
-
6012 (Hakons Hall, Lillehammer (NOR))
Aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2008:
Weltmeister mit leeren Händen
Peinlicher Auftritt beim 26:36 im Bronzespiel gegen Frankreich - Halbfinal-Niederlage gegen Dänemark saß tief
Lillehammer - Mit großen Hoffnungen war der Weltmeister
in Norwegen an den Start gegangen. Nach der peinlichen 26:36 (9:18)-Niederlage gegen Frankreich
im Spiel um Platz drei standen die Schützlinge
von Heiner Brand gestern Nachmittag in der Hakonshall
von Lillehammer am Ende allerdings mit leeren
Händen da.
In einem dramatischen Halbfinale hatten die Deutschen
tags zuvor gegen Dänemark (25:26) den Traum von der
Goldmedaille platzen lassen.
Die Entscheidung fiel einmal mehr in den letzten Sekunden,
als Sebastian Preiß den dänischen Kreisläufer Michael
Knudsen umklammerte und mit ihm in den Kreis stürzte. Die Entscheidung
war eindeutig: Siebenmeter. Lars Christiansen sollte werfen,
der in einem spannenden Spiel bis dato mehr Schatten als Licht erlebt hatte. Brand
wechselte Henning Fritz ein, der sich zu Kieler Zeiten viele
Duelle mit dem Linksaußen der SG Flensburg-Handewitt
geliefert hatte. Doch Christiansen traf, raste quer durch
die Halle und verschwand unter einer rot-weißen Spielertraube.
Dass der 35-Jährige sicher vollstreckte, war symptomatisch
für eine dänische Mannschaft, die die Selbstzweifel der Vergangenheit endlich abgelegt
hat. "Das war der erste entscheidende Siebenmeter, den er verwandelt hat", meinte
ein geknickter Markus Baur, dessen Team zuvor einen 5:7-Rückstand (18.) in eine
12:7-Führung (26.) umgedreht hatte und wie ein Sieger aussah. Johannes Bitter hatte
wie ein Titan gehalten, der nachnominierte Frank von
Behren im Mittelblock ein starkes Spiel abgeliefert und
Florian Kehrmann, der Mann ohne Nerven, gewohnt zuverlässig
getroffen. Doch der Rechtsaußen zog sich beim
Stand von 9:7 eine Oberschenkelzerrung zu, biss auf die
Zähne, pendelte ständig zwischen Bank und Spielfeld hinterher,
bis er nach seinem sechsten Tor zum 19:20 die
weiße Fahne hissen musste. "Da hat der Muskel endgültig
zugemacht." Sebastian Preiß
quälte sich mit einem entzündenden Knie über die Ziellinie,
Christian Zeitz mit Rückenschmerzen,
Michael Kraus mit einer Prellung im
linken Unterarm. Das Lazarett glich durch zwei Tore von
Kraus und Preiß noch einmal auf 25:25 aus, als Bo Spellerberg
mit seinem finalen Pass Knudsen fand. "So einen Ball
spielt er sonst nie. Das hat er sich bei mir abgeschaut", lobte
ein feixender Joachim Boldsen.
Entsprechend frustriert schlichen die Deutschen in die
Kabine und trugen den Kopf auch noch unter der Schulter,
als sie gestern um Bronze spielen sollten. "Die Verletzten
haben auf der Tribüne alles gegeben", lobte Pascal Hens. "Aber denen, die auf
dem Platz standen, wollte einfach einfach nichts gelingen. Es war
eine einzige Katastrophe." Wie Auszubildende, die dem
Meister ehrfürchtig über die Schulter blicken, erlebte das
Brand-Team seinen Untergang. 2:10 nach elf Minuten -
was wie Grönland klingt, war tatsächlich der Weltmeister.
Brand hatte zu diesem Zeitpunkt schon Fritz vom Feld
genommen, der dies entsprechend
angefressen aufnahm.
So blieb er demonstrativ auf seinem Stuhl kleben, als sich
die Kollegen bei einer Auszeit neuen Mut zusprechen wollten.
Ein wütender Fritz war eines der wenigen Lebenszeichen
einer Mannschaft, die es der Gnade des Gegners zu verdanken
hatte, nicht noch stärker unter die Räder gekommen
zu sein. Ohne Baur, der in der 12. Minute umgeknickt
war und mit Verdacht auf eine starke Stauchung im Knöchel
das Feld räumen musste, ergaben sich die Deutschen, die in
ihrer Not Lars Kaufmann als Kreisläufer aufboten, gänzlich
ihrem Schicksal. Die Stimmung besserte sich erst
eine Stunde nach dem Abpfiff in der Kabine, als sie sich den
Frust mit Bier wegspülten.
(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2008)