18.06.2010 | Champions League |
Champions-League-Sieger 2010: THW Kiel |
Der Tscheche und Kim Andersson, mit acht Toren bester Werfer, erzielten die ersten sechs Kieler Tore nach dem Seitenwechsel. Doch die kampfstarken Spanier ließen nicht nach, vor allem der Kroate Buntic (8 Tore) hielt Leon, in der heimischen Liga Asobal mit 4:6 Punkten katastrophal gestartet, im Spiel. So führte Kiel in der 56. Minute nur knapp (32:30). Trotz eines Peter Gentzel, der Siebenmeter von Stranovsky und Krivoshlykov parierte. Andersson entschied die Partie schließlich mit einem wuchtigen Tor zum 33:30. Zu einem Zeitpunkt, als die Unparteiischen passives Spiel angezeigt hatten. Jicha, überragender Akteur der zweiten Halbzeit, ließ mit dem 34:30 endgültig die Luft raus.
"In der Abwehr waren wir zu freundlich", meinte Lund. "In der Champions League darf man härter zur Sache gehen." Einen bitteren Auftritt hatte Aron Palmarsson, der eingewechselt wurde, als die Uhr 57 Minuten und 53 Sekunden anzeigte. Acht Sekunden später kassierte er eine Zeitstrafe (58:01). Zwei Sekunden zu viel, um wieder eingewechselt zu werden.
Die erste Halbzeit lieferte einen Lehrfilm für die Rubrik "Tempohandball", die Tore fielen teilweise im Sekundentakt. Nach der Pause spielten sich mit Thierry Omeyer, gerade zum Welthandballer gekürt, und David Barrufet die Torhüter in den Vordergrund. So gelang den Kielern zwischen der 32. und 43. Minute nur ein Tor, eine Phase, in der die Katalanen ausglichen (22:22). Letztlich konnten die "Zebras" sich bei Omeyer (21 Paraden) bedanken, der im zweiten Durchgang alle vier Siebenmeter der Hausherren parierte und in der Schlussphase bei einem Gegenstoß von Igropulo verhinderte, dass "Barca" auf 27:29 verkürzen konnte.
"Barcelona beschäftigt sich wie wir mit einem personellen Umbruch, das hat man gemerkt", meinte Alfred Gislason. "Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass "Barca" ins Final Four einziehen wird." Er sollte Recht behalten...
Gegen die offensive Deckung des siebenfachen mazedonischen Meisters taten sich die Kieler schwer, zudem verwarfen sie vor der Pause zwei Siebenmeter, scheiterten fünfmal an Pfosten oder Latte. Bis zur 40. Minute (20:19 für Kiel) hielt Vardar mit, dann drehte der THW auf. Jicha (4), Ahlm und Christian Sprenger warfen nun sechs Tore in Folge, die Partie war entschieden. Das merkten auch die Fans, die sich "Komiti" nennen. So wie die Widerstandskämpfer, die sich einst gegen die Herrschaft der Türken gewehrt hatten. Zwar war neben dem Mitführen von Hunden auch das von Waffen ausdrücklich verboten, manche Sequenzen der außergewöhnlichen Geräuschkulisse erinnerten aber an Schüsse. Laut, hitzig, aber fair - am Ende applaudierten die "Komiti" auch dem THW.
Kiel war ohne Andreas Palicka, Tobias Reichmann (Reha), Börge Lund (Sehnenabriss im Daumen) und Aron Palmarsson angetreten, der sich bei einem Zusammenprall mit Igor Anic tags zuvor im Training eine schwere Knieprellung zugezogen hatte. Während die Dänen den Punkt wie einen Sieg feierten, rechnete ein erboster Alfred Gislason mit der Länderspielpause seiner Nationalspieler ab: "Das ist ein völliges Desaster. Narcisse und Ilic sind total platt zurück gekommen." Für die EM im Januar, so Gislason, wären diese Lehrgänge ohne Wert.
Die Kieler mussten in Zürich auf Filip Jicha (Grippe) verzichten, dafür war Börge Lund fünf Wochen nach seinem Sehnenabriss im Daumen wieder dabei. Bester Werfer in einem unterhaltsamen Spiel wurde Henrik Lundström (11/3). Als Kiel mit einem 19:12 in die Kabine entschwand, hatte der Linksaußen (9) fast die Hälfte der THW-Treffer erzielt. Im zweiten Durchgang stand bereits Schonung an. So führte Lund Regie, und an seiner Seite bildeten Aron Palmarsson und Christian Zeitz ein Trio, das in dieser Form noch nicht zusammengespielt hatte. Mit dem ungefährdeten Sieg qualifizierte sich der THW vorzeitig für das Achtelfinale.
"So eine Atmosphäre erlebt man selten", meinte Marcus Ahlm, der mit seinen Kollegen sehr warmherzig empfangen worden war.
"Für uns ist es etwas ganz Besonderes, in der Kathedrale des Handball zu gewinnen", freute sich dagegen FC-Trainer Xavier Pascual. "Dieser Sieg hat für uns eine riesige Bedeutung."
Bevor Gentzel kam, hatte der THW eine souveräne Führung verspielt und Thierry Omeyer mit einer brüchigen Abwehr entnervt. "Wir haben ihn im Stich gelassen", meinte Jicha. Mit Gentzel, einer Abwehr, die nach der Pause den Namen verdiente, und Momir Ilic, der sich in einen Spielrausch steigerte, ließ der THW nur noch einmal einen Ausgleich (19:19/33.) zu, der Rest war eine sehr souveräne Show. "Damit haben wir Barcelona unter Druck gesetzt", meinte ein zufriedener Alfred Gislason. Was er nicht wusste: Das noch ausstehende Heimspiel gegen Barcelona sollte das Team aus Kastilien widerstandslos abgeben.
Randnotizen: Erstens: Momir Ilic verwandelte nicht nur vier Siebenmeter souverän, sondern benötigte für seine fünf weiteren Tore nur fünf Versuche. Zweitens: Auf dem Rückweg zum Tor klatschte Kim Andersson einmal freudestrahlend mit den Fans in der ersten Reihe ab. Freude pur. Drittens: Als Börge Lund nicht wusste, wohin er den Ball abspielen sollte, zog er aus ungünstiger Position ab und traf durch die Beine von KIF-Torhüter Ole Erevik zum 28:14. Ein Tag, an dem alles klappen sollte. "Wir haben schon nach zehn Minuten gemerkt, dass wir heute keine Chance haben", meinte Bo Spellerberg (KIF).
"Ich bedanke mich bei Kolding. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet", meinte Alfred Gislason, der zuvor zum "Trainer des Jahres" gekürt worden war. "Das Spiel habe ich nicht gesehen, direkt danach aber aus allen Richtungen SMS bekommen." Als mögliche Gegner im Achtelfinale erwarteten den THW nun Constanta aus Rumänien, Velenje (Slowenien) oder der FC Kopenhagen. Die Dänen wurden als schwerstes Los eingestuft. Es galt, Kopenhagen aus dem Weg zu gehen. Das gelang nicht...
Trotzdem waren die Dänen in der Lage, sich auf den Sport zu konzentrieren. Auch der hohe Rückstand entmutigte sie nicht. Und als der THW in der letzten Viertelstunde auf Rotation setzte, holten die Gastgeber auf. "Das lässt uns eine kleine Chance für das Rückspiel", meinte Boquist. Kiel musste auf Aron Palmarsson (Knöchelprobleme) verzichten. Zudem wurde Kim Andersson wegen seiner Knieschmerzen geschont. "Es fühlt sich an, als hätte mir einer ein Messer ins Knie gerammt", meinte der Schwede, der noch nicht ahnte, dass ihn eine Knieoperation und das vorzeitige Saisonende erwartete. So blieb es an Filip Jicha hängen, nach einem an ihm verursachten Foul per Strafwurf Sekunden vor dem Abpfiff zumindest einen Zwei-Tore-Vorsprung zu retten. Der Tscheche riss zwar die Arme hoch, die große Enttäuschung konnte sein 13. Treffer aber nicht vertreiben. "Wir fühlten uns am Ende zu sicher. Jetzt müssen wir sehr aufpassen, sonst erreicht Kopenhagen die nächste Runde." Blumen, die Erlend Marmelund (FC) mit Gelächter quittierte. Dem Norweger war klar, dass die Lässigkeit des Gegners dieses schmeichelhafte Ergebnis ermöglicht hatte. "Viertelfinale? Keine Chance, das ist für uns eine Mission impossible."
Aber auch in sportlicher Hinsicht sollte es ein bemerkenswertes Abschiedsspiel werden. Die Halle - 10.000 Kieler, 50 Dänen - war zwar von Beginn fest in den Händen der Hausherren. Doch auf dem Feld sah das Kräfteverhältnis lange anders aus. Eigentlich wollte Alfred Gislason seinen Kreisläufer Marcus Ahlm schonen, den eine Verhärtung in der linken Wade plagte. Doch nach zehn Minuten musste er den Plan ändern. Die Dänen führten 7:4, dem THW gelang nichts. Thierry Omeyer ohne Bindung, die 6:0-Deckung zu passiv, der Angriff ratlos. "Ich kannte das Risiko", sagte Gislason, der seine Befürchtungen bestätigt sah, als Ahlm (28.) mit einer Zerrung vom Feld humpelte. "Er hat sich für die Mannschaft geopfert", meinte Gislason, der die THW-Viertelstunde mit Ahlm als wegweisend bezeichnete. "Mit ihm bekam unser Spiel Struktur." Ahlm zögerte keine Sekunde, als er das Zeichen erhielt. "Ich bin kein 20-Jähriger mehr und wusste, worauf ich mich einlasse. Ich will immer alles dafür tun, damit die Mannschaft Erfolg hat", meinte der 31-Jährige. "Oft genug hat es geklappt, diesmal nicht." Nach einer Viertelstunde stellte Gislason auch auf eine offensivere Abwehr um, seine Spieler hatten ihm zu passiv gewirkt. "Das geht bei der 3:2:1-Deckung gar nicht. Hier sind alle gezwungen, zu agieren." Der Sieg gegen die Dänen war auch ein Befreiungsschlag für Daniel Narcisse, der nach einer bislang unglücklichen Saison mit sieben Toren großen Anteil daran hatte, dass die Schlussphase zu einem Schaulaufen geriet.
Auf der Bank saß mit Raul Alonso ein neues Gesicht. Der gebürtige Spanier wirkt hauptamtlich als Trainer der 2. Mannschaft (Regionalliga). In Mannheim ersetzte er in der Champions League erstmals Ole Viken, Co-Trainer der Ligamannschaft, der sich beim Gewichtheben schwere Muskelverletzungen zugezogen hatte. Neben Viken fehlte auch Kim Andersson, der zwei Tage zuvor am Knie operiert worden war. Christian Zeitz, der in den Kopenhagen-Spielen im Angriff unglücklich gespielt hatte, konnte ihn diesmal gut ersetzen.
Den Unterschied zwischen zwei nahezu gleichwertigen Teams machten in diesem Spiel auf hohem Niveau die größere Durchschlagskraft des Kieler Rückraumes und - wieder einmal - die schier unglaublichen Reflexe von Torhüter Thierry Omeyer aus. Als der Franzose den Wurf von Nationalspieler Michael Müller beim Stand von 30:28 aus nächster Nähe parierte, waren die Tickets für das Final4 gelöst. Die Löwen erwiesen sich als würdiger Viertelfinalgegner, waren mit dem Team, das im vergangenen Jahr mit 23:37 Toren aus der Halle geprügelt worden war, überhaupt nicht zu vergleichen. Vielleicht war es am Ende auch der etwas größere Wille im Kieler Team, der den Ausschlag gab. So auch der großartige Einsatz von Dominik Klein, der sich den Ball gegen zwei Kontrahenten im Hechtsprung sicherte und Daniel Narcisse mit dem vorentscheidenden Konter zum 29:27 auf die Reise schickte. Er sei stolz auf diese Mannschaft, resümierte Alfred Gislason, gezeichnet von 60 Minuten schwerstem Einsatz an der Seitenlinie. "Ich freue mich riesig auf Köln."
(aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 27.05.2010)
Dennoch sah es lange Zeit so aus, als würde die spanische Startruppe auch im dritten Duell in Folge den längeren Atem haben: 20:16 führte Ciudad Real nach 38 Minuten, ehe der THW den Turbo zündete. Unterstützt durch einen aufdrehenden Thierry Omeyer egalisierten Ahlm, Sprenger, Klein und Narcisse den Spielstand binnen vier Minuten und ließen sich auch trotz vieler Unterzahlsituationen nicht mehr abschütteln. Einmal mehr war es der unermüdliche Filip Jicha sowie "Mister 100 Prozent" Christian Sprenger, die wichtige Treffer setzten. Die tschechische Tormaschine fehlte den Kielern indes in der Schlussphase, als Ciudad Real noch einmal die Chance zum Ausgleich bekam. Doch Omeyer hielt den letzten Wurf von Entrerrios, auf der Gegenseite machte Aron Palmarsson mit einem Slalomlauf gegen eine offensive Deckung endgültig alles klar.
(Sascha Krokowski)
Doch Alfred Gislason zog nun seine letzten Trumpfkarten: Mit Lundström für den keineswegs schlechten Dominik Klein, Börge Lund und Igor Anic, der in der Abwehr als Sonderbewacher für Rutenka abgestellt wurde, starteten die "Zebras" eine unvorstellbare Aufholjagd. Nach drei Treffern in Folge von 19:25 auf 22:25 (43.) stand auch das Publikum wieder vollkommen hinter den Kielern, die bereits nach 51 Spielminuten den Ausgleich zum 29:29 schafften und wenig später erstmals in Führung gingen. Bis zum zweiten Erfolg in der Champions League war es aber noch ein langer, steiniger Weg, da Barcelona sich nach einem 30:33-Rückstand noch einmal zurückkämpfte. Aber nur so konnte sich auch Peter Gentzel noch in die Kieler Heldengeschichte eintragen: Zwei Minuten vor Schluss parierte der Schwede einen Strafwurf des zuvor neunmal von der Siebenmeterlinie erfolgreichen Garcia, wenig später setzte der wiedererstarkte Filip Jicha den Schlusspunkt - der Rest war Konfetti, Jubel, Sektdusche und Gesang.
(Sascha Krokowski)
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