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16.09.2011 Verein

Kieler Nachrichten: Sieben Spieler und ein Rentner

Aus den Kieler Nachrichten vom 16.09.2011:

Der 29. April war für den THW Kiel schon ein besonderes Datum, bevor es 2007 zum denkwürdigen Finalspiel gegen Flensburg kam - das Spiel, das nun Thema im Kieler Landgericht ist. An jenem Sonntag jährte sich zum siebten Mal das verlorene Champions-League-Finale beim FC Barcelona.
Den "Zebras" fehlte damals nicht nur ein einziges Tor auf dem Weg ins Glück. Es fehlte ihnen auch der Glaube daran, von den Schiedsrichtern gerecht behandelt worden zu sein. Sieben Jahre später gewannen sie gegen die SG Flensburg-Handewitt endlich den ersehnten Titel. Im zehnten Anlauf und mit außergewöhnlichem Teamgeist.

Das Schicksal wollte es so, dass am 22. und 29. April 2007 zwei Vereine um die Krone des europäischen Vereinshandballs spielten, die sich seit Jahren leidenschaftliche Derbys lieferten. Das war diesmal nicht anders: Die "Zebras" hatten ihren Lieblingsfeind gerade im Pokal-Halbfinale besiegt, sich zudem ein sattes Sieben-Punkte-Polster in der Meisterschaft auf die SG erarbeitet. Die Flensburger, die stets das Gefühl beklemmte, nur der kleine Bruder des großen THW zu sein, wollten nun endlich aus dem langen Schatten treten. Die Chancen standen gut.

Dem Team von Noka Serdarusic, einst in Flensburg gefeuert, fehlten mit den verletzten Henning Fritz, Stefan Lövgren, Marcus Ahlm, Viktor Szilagyi und dem Ex-Flensburger Lars Krogh Jeppesen fünf Stammkräfte. "Ich habe nur sieben Feldspieler und einen Handball-Rentner", sagte Serdarusic und meinte den Russen Andrei Xepkin (42), den der THW in seiner Not verpflichtet hatte. Beim Gegner meldete sich mit Frank von Behren (Kreuzbandriss) dagegen auch der letzte Verletzte als geheilt zurück - die Trümpfe lagen in den Händen von SG-Trainer Kent-Harry Andersson.

Doch mit Christian Zeitz, der die Seinen als Kapitän in die gefürchtete Campushalle und als Mittelmann zu einem 28:28 im Hinspiel geführt hatte, wendete sich das Blatt. Der Linkshänder spielte in seiner neuen Rolle überragend, warf mit dem unglaublichen Nikola Karabatic 31 der 56 Kieler Final-Tore. Unvergessen blieb die Hinspiel-Szene aus der 49. Minute, als Zeitz einen Gegenstoß mit einem knallharten Wurf auf den Kopf von Jan Holpert abschloss. "Ich bring Dich um" - mit diesen Worten stürzte sich die SG-Ikone auf den Kieler, der seine Unschuld beteuerte. "Es war ein Versehen, ich hätte lieber ein Tor gemacht." Die Emotionen überschlugen sich, auf den Rängen regierte der Hass, auf dem Feld rangelten die Akteure, der Rahmen für ein dramatisches Rückspiel war abgesteckt.

"Das Schlimmste für mich wäre, wenn die SG mit dem Pokal nach Hause fährt", sagte THW-Manager Uwe Schwenker, den mit seinem ehemaligen Assistenten Thorsten Storm, inzwischen erfolgreicher SG-Geschäftsführer, schon damals eine tiefe Abneigung verband.

In ihrer Ostseehalle hatten die Kieler zuvor gegen Veszprem und Pamplona Hinspiel-Niederlagen in begeisternder Art und Weise ausgebügelt. Doch gegen Flensburg, das war allen klar, würde der Heimvorteil nicht helfen. Zu oft hatten Routiniers wie Holpert, Johnny Jensen, Joachim Boldsen oder Lars Christiansen hier gespielt. Außerdem kehrte mit dem zuletzt gesperrten Ljubomir Vranjes der Chef zurück. Es sollte sich ein Sport-Drama entwickeln, das alle Beteiligten in seinen Bann zog. Einzige offensichtliche Fehlentscheidung der Unparteiischen blieb der Platzverweis für Boldsen (19.), dessen Trikottest auch Zeitz, der Gefoulte, lediglich mit einer Zeitstrafe geahndet hätte. "Ich glaube zwar nicht, dass diese Rote Karte berechtigt war", sagte Boldsen später, "aber entscheidend war sie nicht."

Die Statuten wollten es so, dass das Rückspiel nicht in einer Verlängerung entschieden werden sollte, um dem Gastgeber keinen Vorteil einzuräumen. Sollte auch das zweite Duell 28:28 enden, hätte es ein Siebenmeterwerfen gegeben. Davon trennte das Geschichtsbuch nur 13 Sekunden. Kiel hatte, mit den Kräften am Ende, einen Drei-Tore-Vorsprung verspielt. Es stand 28:27. Nach Zeitstrafen gegen Zeitz (Rot) und Dominik Klein waren die Kieler noch zu viert, aber sie hatten den Ball. Über Karabatic und Henrik Lundström landete der Ball bei Kim Andersson, und der Schwede sorgte mit dem 29:27 für einen Urknall in der Halle.

Die Verlierer bewahrten Größe. Trainer Kent-Harry Andersson sprach davon, dass der THW "an diesem Tag die bessere Mannschaft" gewesen sei. Auch Thorsten Storm sah in den Schiedsrichtern Miroslaw Baum ("Die Flensburger haben uns zu unserer guten Leistung gratuliert") und Marek Goralczyk keine Sündenböcke. "Kiel hat den Titel verdient gewonnen." Der Schlüssel zum Erfolg sei Torhüter Omeyer gewesen. "Er hat überirdisch gehalten." An diesem 29. April 2007 waren Sieger und Besiegte noch der Meinung, dass der famose Franzose den Unterschied ausgemacht habe.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 16.09.2011)


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