21.06.2013 | Champions League |
Der deutsche Meister von 2011 veredelte damit seine 39:33-Gala im Halbfinale des Final4-Turniers gegen Titelverteidiger THW Kiel, der nach einem 30:31 (12:19) gegen den polnischen Meister KS Vive Targi Kielce nur den enttäuschenden vierten Platz belegte. "Hamburg ist ein verdienter Sieger", sagte THWManager Klaus Elwardt. "Sie waren an diesem Wochenende einfach die beste Mannschaft."
Im Halbfinale hatten die "Zebras" gegen einen entfesselt aufspielenden HSV keine Chance. "Ich habe Hamburg noch nie so gut gesehen", sagte Elwardt. "Wir dagegen haben ohne Abwehr und ohne Torhüter gespielt." Tatsächlich fand die Deckung des Rekordmeisters in keiner Phase zur gewohnten Stabilität. Allerdings - der HSV war an diesem 1. Juni in der mit 20000 Zuschauern ausverkauften Arena einfach die bessere Mannschaft.
"Pascal Hens hat seit drei, vier Jahren nicht mehr so gut gespielt", lobte THW-Trainer Alfred Gislason den Kapitän, der bei der triumphalen Rückkehr nach Hamburg fehlte, weil er sich in Wiesbaden am Sprunggelenk operieren ließ. Gegen Kiel biss er noch einmal auf die Zähne und warf acht Tore. Noch besser war Domagoj Duvnjak, der an seinem 25. Geburtstag elfmal traf. Der Kroate wurde in den Tagen nach dem "Final4" zurecht zum besten Spieler der abgelaufenen Bundesliga-Saison gewählt.
Zweiter wurde Kiels Filip Jicha, der in Köln ein Wochenende des Schreckens erlebte. "Ich kann mich nicht erinnern, am Frühstückstisch jemals eine so traurige Mannschaft gesehen zu haben", sagte er am Tag nach dem Halbfinal-Aus. "Nach einer solchen Niederlage um Platz drei spielen zu müssen, ist eine sehr schwere Aufgabe."
Tatsächlich fanden die Enttäuschten gegen den polnischen Meister Kielce bis zur Pause nicht die nötige Einstellung, erlebten teilnahmslos, wie das Team von Bogdan Wenta über eine 14:5-Führung schließlich mit einem Sieben-Tore-Vorsprung (19:12) in die Halbzeit verschwand. "In der Kabine haben wir uns gesagt, dass wir uns so nicht präsentieren wollen", sagte Elwardt. "Schließlich waren wir zu diesem Zeitpunkt noch der amtierende Champions-League-Sieger." Angefeuert vom Gros des fantastischen Publikums rafften sich die "Zebras" noch einmal auf und hätten fast noch den Ausgleich geschafft. Doch Momir Ilic (Siebenmeter) und Jicha (Verzweiflungswurf in der letzten Sekunde) trafen nur die Latte.
"Wir waren schlechter als der HSV und nicht besser als Kielce", sagte Torhüter Andreas Palicka, der in der Schlussphase am Mittelkreis von Denis Buntic umgerissen worden war. "Deshalb haben wir es auch nicht verdient, die Champions League zu gewinnen."
Der HSV schon. Die meisten Experten hatten erwartet, dass das Team von Martin Schwalb nach dem Sieg gegen Kiel im Finale einbrechen würde. Doch das passierte nicht. Zwar fand Kiel-Knacker Hens diesmal gar nicht ins Spiel, doch für ihn sprang ausgerechnet Michael Kraus in die Bresche. In Hamburg hatte er die hohen Erwartungen nie erfüllen können, seine Rückkehr nach Göppingen war längst beschlossene Sache. Doch im Finale erinnerte er an jenen Spieler, der die Deutschen vor sieben Jahren zu WM-Gold geführt hatte.
Die Besiegten gaben sich anschließend als gute Verlierer. So lobte "Barca"-Trainer Xavi Pascual den Ausrichter, die Europäische Handball-Föderation (EHF), für ein "spektakuläres Event". Zwar würde er gerne einmal auch den Fans in der Heimat eine solche Veranstaltung präsentieren, aber derzeit sei das nicht vorstellbar. Es würden schlicht die Rahmenbedingungen fehlen, die Deutschland zu bieten hätte. "Dieses Turnier ist die beste Hallenveranstaltung für Vereinsmannschaften der Welt. Und Köln dafür der richtige Platz." Alle Besiegte waren gute Verlierer? Siarhei Rutenka, der mit drei Vereinen bereits fünfmal die Champions League gewonnen hatte, erschien nicht zur Siegerehrung.
In Kiel Tradition, in Hamburg eine Ausnahme - nach dem Triumph lud Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz den HSV auf den Rathausbalkon ein: "Die Handballer haben sich und der sportbegeisterten Stadt Hamburg mit dem Sieg in der Champions League ein großartiges Geschenk gemacht." Tatsächlich war ihnen ein kleines Wunder gelungen, hatten sie doch das Endspiel des Wildcard-Turniers in St.-Raphael gegen den Gastgeber erst in der Verlängerung mit 32:31 gewonnen. Durch ein Tor von Blazenko Lackovic. Seinem einzigen...
Bis hin zum Final4 war die Champions-League-Saison eine turbulente. Sie hatte noch nicht begonnen, da gab es bereits den ersten Skandal: AG Kopenhagen, in der vergangenen Spielzeit erst im Halbfinale gescheitert, musste Insolvenz anmelden. Das Team um Welthandballer Mikkel Hansen fiel auseinander, der dänische Vizemeister BSV Bjerringbro-Silkeborg rückte nach. Für die Kieler begann die Königsklasse dagegen erwartungsgemäß - mit drei Siegen.
Zunächst gelang dem Titelverteidiger eine Revanche für die Finalniederlage um den Super Globe. Hier hatte der THW gegen Atletico Madrid 23:28 verloren und statt 400.000 Dollar Siegprämie nur die Hälfte abgeräumt. In dem mit knapp 9000 Zuschauern gefüllten Palacio Vistalegre lieferten die "Zebras" beim 32:27-Sieg eine bravouröse Leistung ab, profitierten aber davon, dass Madrid-Trainer Talant Duschebajew auf sein Weltklasse-Gespann im Tor verzichten musste.
Arpad Sterbik hatte sich kurzfristig dem FC Barcelona angeschlossen. Jose Hombrados fehlte wegen eines Kreuzbandrisses. Zwei Gründe für Duschebajew, zum Rückspiel gar nicht erst in Top-Besetzung anzureisen. Er ließ mit Ivano Balic, Jonas Källman, Kiril Lazarov und Kreisläufer Julen Aguinagalde vier Stars zu Hause. Trotzdem hielten die Spanier lange mit. In der 55. Minute stand es noch 26:26, dann ließ der dreizehnfache Torschütze Filip Jicha das Pendel zu Gunsten der "Zebras" ausschlagen, die 31:27 siegten.
Bei MKB Veszprem, der letzten Station von Kiels Neuzugang Marko Vujin, verloren die Kieler die Punkte eins und zwei. In der schon Wochen zuvor ausverkauften Veszprem-Arena sangen die 5000 Zuschauer bereits vor dem Anpfiff die Nationalhymne und verzichteten bis zum Abpfiff darauf, sich hinzusetzen. Vujin, der aus Gewohnheit auf dem Weg in die Veszprem-Kabine war, als ihn Trainer Alfred Gislason und Pressesprecher Christian Robohm stoppten, wurde herzlich begrüßt. Doch sobald das intensive Spiel angepfiffen wurde, kannten die Fans nur noch ein Ziel: Ihre Mannschaft zum Sieg schreien. Mit Erfolg: Die Kieler kassierten an diesem 18. Oktober die erste Niederlage (30:31) in der Champions League seit der Heimpleite gegen Montpellier (23:24) am 9. Oktober 2011.
Ein Spiel und vier Wochen später verloren die "Zebras" erneut, kurioserweise in einer Halle, die nach den gleichen Bauplänen errichtet wurde. In der Zlatorog-Arena sorgten die Fans von RK Celje für eine ähnliche Atmosphäre, die den Slowenen einen 31:28-Sieg bescheren sollte. War die Niederlage gegen die Ungarn noch nachvollziehbar, überraschte der Ausrutscher in Celje schon, hatte Manager Roman Pungartnik bei dem Traditionsclub doch nach dem Rauswurf von Trainer Noka Serdarusic auch einige Alt-Stars vor die Tür gesetzt. Im Kader standen so zehn Spieler, die das vereinseigene Internat besucht hatten. Auch drei Tage später, beim Rückspiel in Kiel, unterlag das junge Team von Vladan Matic erst nach großem Kampf mit 26:30. Für die Kieler bedeutete dieser Erfolg die vorzeitige Qualifikation für das Achtelfinale, hatten sie zuvor doch auch die beiden Heimspiele gegen IK Sävehof (43:34) und HCM Constanta (35:14), mit Ex-"Zebra" Milutin Dragicevic, souverän gewonnen.
Der 40:29 (20:15)-Sieg bei IK Sävehof, mit dem der THW sich vorzeitig Platz zwei sicherte, hatte einen außergewöhnlichen Rahmen: Rund 800 Fans reisten mit der Stena Line nach Göteborg, um die "Frölundaborg" zu stürmen. "Wir haben heute auch den Wettkampf auf der Tribüne gewonnen", sagte Andreas Palicka, der vor den Augen seiner Familie und vielen Freunden ein starkes Spiel ablieferte. Der Start (4:8/14.) ging daneben, dann drehten die Gäste, die angesichts dieser Unterstützung gar keine waren, den Spieß um. "Wir haben den Mut verloren", sagte der neunfache Torschütze Kristian Bliznac, der aber auch zu den Siegern gehörte - er verdiente sich einen Vertrag bei der HSG Wetzlar. Zuvor hatte er noch Marcus Ahlm (Augenprellung) mit einem harten Wurf außer Gefecht gesetzt.
Auch ohne ihren Kapitän feierten die "Zebras" anschließend eine Party gegen MKB Veszprem. Die Ungarn, die zuvor alle Gruppenspiele gewonnen hatten, gingen in Kiel 21:32 (13:17) unter und hatten damit den direkten Vergleich verloren. Was aber nur von Bedeutung gewesen wäre, wenn Veszprem auch sein finales Heimspiel gegen Madrid verloren hätte - was nicht geschah. Das konnte an diesem 17. Februar aber keiner ahnen. Thierry Omeyer erwischte einen Glanztag, aber in die Herzen der Fans spielte sich Niclas Ekberg, der sich eine Platzwunde an der Stirn in der Kabine eilig mit drei Stichen nähen ließ. Als er mit Kopfverband zurückkehrte, erhoben sich die Zuschauer.
Der abschließende Erfolg bei HCM Constanta (28:25/16:11) war bedeutungslos, aber kurios. So dürfte der am Schwarzen Meer beheimatete Gastgeber die schwierigere Anreise gehabt haben. Weil die "City Hall" in Constanta nicht mehr den EHF-Statuten entspricht, muss der rumänische Meister in der Champions League in der vier Busstunden entfernten Hauptstadt Bukarest antreten. So kamen nur knapp 2000 Zuschauer in die Sala Polivalenta, in der gespenstische Ruhe herrschte. Auch, als Constanta gegen ein müde wirkendes Kieler Team, dem 17 technische Fehler unterliefen, einen Sechs-Tore-Rückstand (16:22/47.) auf 22:24 (51.) verkürzen konnte. "Heute haben wir unsere menschliche Seite gezeigt", sagte Filip Jicha.
Auf dem Weg nach Köln hatte der Titelverteidiger zweimal Lospech. Im Achtelfinale erwischte er mit Medwedi Tschechow den größten Hecht im Teich, im Viertelfinale wiederholte sich mit MKB Veszprem dieses Schicksal.
Das erste Duell mit den Russen verlor der THW dann auch mit 35:37 (17:19) und hatte noch Glück, verkürzten doch "Goggi" Sigurdsson und der überragende Momir Ilic (10/2) in den letzten Sekunden einen Vier-Tore-Rückstand. So zerfahren wie der THW spielte, so chaotisch verlief die Rückreise. Stundenlang harrte der THW-Tross auf einer Startbahn des Moskauer Flughafens im Schneetreiben aus, bis sie schließlich doch abheben durften. "Ich konnte zusehen, wie die Eisschicht auf den Tragflächen immer dicker wurde", sagte Gislason, dessen Team ein paar Tage später in Göppingen unterging. Eine verpatzte Generalprobe für das Moskau-Rückspiel, in dem der THW seine beiden Gesichter innerhalb eines Spiels zeigte. Famos bis zur 23:13 (38.), leichtfertig danach. Letztlich rettete Marko Vujin die Kieler mit zwei späten Toren ins Viertelfinale.
Dort trafen die "Zebras" auf einen alten Bekannten: MKB Veszprem. Das Team um den elffachen Torschützen Laszlo Nagy spielte im Hinspiel in Kiel groß auf, führte mit 24:18 (43.). Erst dann rafften sich die "Zebras", die von ihren Fans bedingungslos angefeuert wurden, zu einem furiosen Endspurt auf, warfen sechs Tore in Folge und hatten in Daniel Narcisse ihren Matchwinner. Er warf seine vier Tore alle in der Schlussphase, das letzte Sekunden vor dem Abpfiff, als er unmittelbar nach einem Freiwurf die MKB-Hünen im Alleingang narrte.
Narcisse war auch eine der zentralen Figuren im Rückspiel, in dem Veszprem (12:8/24.) ebenfalls den besseren Start erwischte. Gislason stellte die Abwehr dann auf die 3:2:1-Variante um, beorderte Narcisse an die Spitze und ließ Aron Palmarsson gegen Superstar Nagy verteidigen - ein genialer Schachzug. "Das war ein Sieg der Taktik", lobte ein sichtlich aufgewühlter Klaus Elwardt den Trainer nach dem dramatischen 29:28 (12:14)-Erfolg in der heißesten Halle der Welt. Nachdem sie in der Vorrunde hier mit 30:31 verloren hatten, baten Elwardt und Gislason nicht nur um eine andere Kabine, sie änderten auch Rituale. Diesmal rasierte sich der Manager vor dem Spiel, der Trainer kam dagegen mit Drei-Tage-Bart.
Stark auch Marko Vujin, der gegen seinen Ex-Klub nicht nur sieben Tore warf, sondern auch dafür sorgte, dass die Sieger nicht länger warmes Dosenbier trinken mussten - ein Kellner brachte ein Tablett gekühltes Pils im Glas in die Kabine.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 15.06.2013)
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