22.09.2011 | Verein |
Dass sich die einstigen "Könige von Kiel", wie der "Spiegel" zu Beginn der Manipulationsaffäre am 9. März 2009 titelte, im September 2011 als Angeklagte wiedersehen würden, hätten sie sich nach dem laut Staatsanwaltschaft erkauften Champions-League-Titel 2007 gegen die SG Flensburg-Handewitt nicht träumen lassen. Doch die Entlassung Serdarusics am 26. Juni 2008 brachte einen Stein ins Rollen, der den Handballsport und Rekordmeister THW Kiel im Frühjahr 2009 erschütterte.
Entsprechend groß war das Medien-Interesse am Eröffnungstag. Kein Wunder, geht es doch um angebliche Schiedsrichter-Bestechung und die Bildung einer schwarzen Kasse, um Zickenzoff unter Frauen und womöglich übler Nachrede der Bundesliga-Konkurrenz aus Hamburg und Mannheim, um den Rekordmeister aus Kiel vom Sockel zu stoßen. Großer Stoff für großes Kino.
Doch der erste Tag vor der 5. Große Strafkammer unter Vorsitz von Matthias Wardeck verläuft sehr sachlich. Oberstaatsanwalt Thomas-Michael Hoffmann beispielsweise sagt nach der Verlesung der Anklageschrift durch seinen Kollegen Axel Goos einen bemerkenswerten Satz: "Sollte sich am Ende der Beweisaufnahme ergeben, dass die Vorwürfe nicht nachweisbar sind, wird die Staatsanwaltschaft als erste die entsprechenden Maßnahmen ergreifen."
Diese Beweisaufnahme beginnt mit der Verlesung von Schwenkers Aussage im November 2009 vor dem Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft. Es geht um einen feucht-fröhlichen Tag auf der Jacht und der Finca von HSV-Boss Andreas Rudolph auf Mallorca, wo Schwenker Schiedsrichter-Bestechungen eingeräumt haben soll, um das Treffen des Ex-Managers mit Löwen-Gesellschafter Jesper Nielsen am 1. Februar 2009 am Rande des WM-Endspiels in Zagreb und natürlich um die Gründe für die Überweisungen des THW an Noka Serdarusic in Höhe von 60 000 Euro und den Kroaten Nenad Volarevic in Höhe von 92 000 Euro. Es geht auch um Alkohol und Eitelkeiten und veranlasst Serdarusic-Verteidiger Erich Samson zu einer pointierten Feststellung: "Der sympathisch-bodenständige THW ist unter die Räder der Ballermann-Schickeria geraten. Und es ist ein Hauch von Menschlichkeit dabei, der sich bezieht auf den Zickenkrieg der Ehefrauen."
Die anschließende Befragung der Kriminaloberkommissarin Eva Heiden ergibt, dass Schwenker im November 2009 bei den Vernehmungen sehr kooperativ gewesen sei: "Die Atmosphäre war freundlich, man hatte das Gefühl, dass er aussagen wollte." Schwenker habe das Scouting-System des THW erläutert und damit die Zahlungen an Nenad Volarevic begründet, unter anderem für Tipps beim Transfer von Igor Anic. Außerdem sei es um die beiden Darlehen an Serdarusic gegangen, die Schwenker mit dem hohen Lebensstandard der Familie und dem Zocken von Mirjana Serdarusic begründet habe. Dass diese Darlehen bei der Vertragsauflösung des Ex-Trainers 2008 nicht von diesem zurückgezahlt wurden, gehört ebenso zu den Ungereimtheiten dieser Geschichte wie die Tatsache, dass der Staatsanwaltschaft bei der Aussage von Dieter Matheis, Aufsichtsratschef der Rhein-Neckar Löwen, entgangen zu sein scheint, dass dieser zwei verschiedene Daten nannte, an denen er 2009 von den Manipulationsvorwürfen erfahren haben will. Schwenkers Verteidiger Gereon Wolters zog daraus den Schluss, dass die Staatsanwaltschaft schlampig gearbeitet habe: "Die Anklage ist sehr, sehr schwach, das hat sich heute bestätigt."
Die Angeklagten beschlossen, nachdem der THW 2007 das Champions-Lague-Finale erreicht hatte, den Titelgewinn auch mit Beeinflussung der Schiedsrichter zu ermöglichen. Zu diesem Zweck überwies Schwenker am 25. April 2007 56 400 Euro auf das Konto von Nenad Volarevic in Zagreb. Volarevic hob am 26. April 45 000 Euro in bar ab. Am Tag darauf flog er über München nach Warschau und traf dort Schiedsrichter Miroslav Baum, um diesem einen Geldbetrag zu übergeben. Das Final-Rückspiel fand am 29. April in Kiel statt und wurde vom THW 29:27 gewonnen, wofür der THW eine Siegprämie in Höhe von 320 000 Euro erhielt.
Volarevic stellte am 20. Juni 2007 eine Rechnung über 92 000 Euro an den THW, die Schwenker am 26. Juni in Höhe von 35 600 Euro unter Berücksichtigung der vorangegangenen 56 400 Euro beglich. Dies geschah unter Mitwirkung von Serdarusic.
2008 wollte der THW das Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona manipulieren. Die Angeklagten unternahmen den vergeblichen Versuch, den Schiedsrichtern Vakula und Liudovik aus der Ukraine 20 000 Euro zuzuwenden. Dieser Betrag war Serdarusic zum Weiterleiten an die Schiedsrichter übergeben worden. Gleiches wurde beim Final-Rückspiel gegen Ciudad Real versucht, doch die Serdarusic zur Verfügung gestellten 40 000 Euro konnten den slowenischen Schiedsrichtern Repensek und Pozeznik nicht übergeben werden.
... es wurde kein Geld an Schiedsrichter bezahlt und auch nicht mit Schiedsrichtern darüber verhandelt.
... beim Treffen auf der Finca von HSV-Chef Andreas Rudolph auf Mallorca ist reichlich Alkohol geflossen. Am Abend waren alle stark angetrunken. An diesem Tag wurde viel geflachst. Die Behauptung, ich hätte dort gesagt, 90 000 Euro an Schiedsrichter bezahlt zu haben, habe ich nie gemacht. Das war eine Kampagne von Rudolph, mit der er dem THW schaden wollte.
... am Rande des WM-Finales 2009 in Zagreb habe ich Löwen-Manager Thorsten Storm und Löwen-Gesellschafter Jesper Nielsen klar gesagt, es habe nie eine Manipulation von uns gegeben. Auf diesem Niveau würde ich nicht mit ihnen reden, es bleibe bei der von uns geförderten Ablösesumme für Karabatic und Kavticnik in Höhe von 3,5 Millionen Euro. Ein paar Tage später kam ein Angebot der Löwen für beide über 1,8 Millionen Euro.
... Nenad Volarevic hat 2007 92 000 Euro für Tipps über junge Spieler vom Balkan erhalten.
... Noka wurde im Juni 2008 beurlaubt, weil sein Verhältnis zur Mannschaft zerrüttet war. Spieler gingen wegen seiner schlechten Laune nur noch widerwillig zum Training. Ich habe mehrere Versuche unternommen, das zu kitten, doch als Kapitän Stefan Lövgren schließlich den THW-Gesellschaftern sagte, es gebe nur eine Chance von zehn Prozent, die nächste Saison mit Noka zu überstehen, gab das den Ausschlag.
Zuschauer: Gestern blieben einige Zuschauerplätze frei. Offenbar hatte die Ankündigung, dass nur 30 Sitzgelegenheiten zur Verfügung stünden, den einen oder anderen Interessierten abgeschreckt.
Fernsehen: Die Tagesschau hatte den Prozessauftakt in ihre Planung aufgenommen. Die ARD sendete aber um 20 Uhr keinen Beitrag.
Zeugen I: Mirjana Serdarusic, Frau von Noka Serdarusic, und der frühere THW-Buchhalter Günther Dittmer werden nicht als Zeugen vernommen werden. Nachdem beide angekündigt hatten, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen zu wollen, verzichteten Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf eine jeweilige Vorladung.
Zeugen II: Nach den polnischen Final-Schiedsrichtern der Champions League 2007, Miroslaw Baum und Marek Goralczyk, die am 28. Oktober und 4. November aussagen werden, treten Gerd Butzeck, Vorsitzender der Group Club Handball, der Vereinigung der europäischen Spitzenvereine, und Thorsten Storm, Manager der Rhein-Neckar Löwen, in den Zeugenstand.
Nächster Termin: Am zweiten Verhandlungstag am kommenden Mittwoch um 9 Uhr werden von Löwen-Gesellschafter Jesper Nielsen Erläuterungen erwartet zu seinem Gespräch mit Uwe Schwenker am 1. Februar 2009 nach dem WM-Finale in Zagreb sowie einem Treffen mit Noka Serdarusic in dessen Haus in Kiel.
(von Gerhard Müller, aus den Kieler Nachrichten vom 22.09.2011)
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