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12.01.2012 Verein

Kieler Nachrichten: Lautsprecher im Landgericht

Emotionaler Handball-Prozesstag - Staatsanwaltschaft will Gerhard Lütje als Zeugen vernehmen

Aus den Kieler Nachrichten vom 12.01.2012:

Kiel. Älteren Leser dürfte die Sendung "Königlich bayrisches Amtsgericht" noch gut in Erinnerung sein. Ähnlich deftig ging es gestern im Kieler Handball-Prozess zur Sache.
In die Rolle des Poltergeistes schlüpfte im Landgericht Michael Gubitz. Am Ende des 16. Verhandlungstages fielen Worte wie "Sauerei" und "falsches Spiel" und alles nur, weil Oberstaatsanwalt Axel Goos zu Beginn des mehr als vierstündigen Ringens um Aufklärung, ob die ehemaligen THW-Granden Uwe Schwenker und Noka Serdarusic denn nun das Champions-League-Finale 2007 gegen die SG Flensburg-Handewitt manipuliert haben oder nicht, eine vermeintlich letzte Trumpfkarte ausspielen wollte.

Die Ermittlungsbehörde hatte am 28. Dezember vom Kieler Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluss erhalten und diesen am 3. Januar in die Tat umgesetzt. Von den direkten Prozessbeteiligten wurde zwar nicht bestätigt, dass die Kanzlei des Berliner Anwalts Björn Sendke auf den Kopf gestellt wurde, aber schließlich sickerte der Name jenes Juristen doch durch, der Noka Serdarusic' Auflösungsvertrag mit dem THW Kiel im Sommer 2008 ausgehandelt hatte.

Bei dieser Durchsuchung wurde eine Akte gefunden, aus der Axel Goos gestern einen Beweisantrag formulierte, in dessen Mittelpunkt ein prominenter Kieler steht: Gerhard Lütje. Dem Unternehmer, Sponsor des THW und der KSV Holstein, soll Mirjana Serdarusic Ende 2008 erzählt haben, dass Schwenker und ihr Mann mehrere Champions-League-Partien manipuliert haben sollen.

Die Kammer unter Vorsitz von Matthias Wardeck lehnte zu Beginn der Verhandlung ab, jegliche Erkenntnisse aus dieser Durchsuchung zu verwerten. Wardeck nannte die Verwendung dieser Akte sogar für das nicht öffentliche Selbstleseverfahren problematisch und führte eine mögliche Verfassungswidrigkeit an. Es folgten zwei längere Pausen, in denen sich die Kammer mit der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft beriet - und der Beweisantrag von Goos kam trotzdem.

Darin heißt es unter anderem, Lütje habe Mirjana Serdarusic empfohlen, den mutmaßlichen Geldboten an die polnischen Finalschiedsrichter, Nenad Volarevic, eine Selbstanzeige formulieren zu lassen. Im Gegenzug solle die Trainer-Gattin sich zurückhalten. Besonders eine Formulierung von Goos schürte schließlich die Emotionen. "Der Zeuge (Lütje) wird bezeugen, dass er spätestens Ende des Jahres 2008 über Spielmanipulationen und deren Hintergründe durch die Angeklagten Schwenker und Serdarusic informiert war."

Diese doppeldeutige Wortwahl brachte das Gemüt von Gubitz in Wallung. War Lütje etwa von Schwenker und Serdarusic direkt informiert worden? Das wäre eine sensationelle Wendung am Ende einer mehr als dreimonatigen Beweisaufnahme. Goos schwächte seine Erklärung zwar prompt ab, doch das rettete ihn nicht vor Gubitz' emotionaler Eruption. "Sie fassen etwas zusammen, was die Akten nicht hergeben. Das ist ein falsches Spiel", schimpfte er die Lautstärke erhöhend: "Ich halte das für einen vorläufigen Tiefpunkt der Verhandlung. Diese Missverständlichkeit haben Sie bewusst gebracht, das ist eine Sauerei."

Matthias Wardeck war bemüht, zur ihm eigenen sachlichen Verhandlungsführung zurückzukehren. "Wir müssen das, was wir gehört haben, sacken lassen und werden darüber beraten." Am Ende könnte die Entscheidung stehen, dass die Kammer den Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnen wird und Gerhard Lütje somit am kommenden Mittwoch das zweifelhafte Vergnügen erspart bleibt, als Zeuge auftreten zu müssen.

In diese Rolle wird auch Lütjes Freund Willi Holdorf nicht schlüpfen müssen. Den früheren THW-Gesellschafter bezeichnet der ehemalige THW-Buchhalter Günther Dittmer in einem von Gubitz verlesenen Brief als Mitwisser der augenscheinlichen Fehlbuchungen zweier Barauszahlungen von Schwenker an Serdarusic im Frühjahr 2008. Laut Staatsanwaltschaft soll mit diesen insgesamt 60 000 Euro versucht worden sein, unter anderem das Champions-League-Finale gegen Ciudad Real zu manipulieren. Beweise fehlen, doch der von Schwenker nicht informierte Dittmer verbuchte in seiner Ratlosigkeit beide Zahlungen unter anderem nebulös als "Aufwendungen für Schiedsrichter".

Laut Dittmer sollen Ex-Gesellschafter Hubertus Grote und Holdorf diese irreführenden Formulierungen in der Bilanz abgesegnet haben. Dass laut Dittmer womöglich sogar mit Georg Wegner ein weiterer früherer Gesellschafter informiert gewesen sein könnte, ist neu. Wegner hatte dies als Zeuge bestritten. Das Gericht scheint jedoch nicht geneigt zu sein, die eigentlich abgeschlossenen Zeugenvernehmungen wieder aufzunehmen. Am 26. oder 27. Januar soll schließlich das Urteil verkündet werden.

(von Gerhard Müller, aus den Kieler Nachrichten vom 12.01.2012)


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